„Eine Mauer um Europa”: Zynische Migrationspolitik mit Tradition

Grenzübertritt mit Gedenk-Blumenkranz

EU-Ministerin Karoline Edtstadler möchte eine Mauer um Europa bauen. Damit reiht sie sich in eine migrationspolitische Tradition der Mauern und Zäune ein, schreibt die Gruppe Push-Back Alarm Austria.

Es scheint fast, als hätte Karoline Edtstadler mit ihrem Vorstoß eine für Politiker*innen sehr seltene Fähigkeit gezeigt: Selbstironie. Eine Mauer um Europa – Dieser offensichtlich unsinnige Vorschlag bringt mit bewundernswerter Knappheit die Brutalität, Rücksichtslosigkeit und Ineffizienz der österreichischen Asyl- und Migrationspolitik der letzten Jahre auf den Punkt.

Erinnern wir uns etwa an den Zaun von Spielfeld, den die rot-schwarze Regierung im Dezember 2015 in Angriff genommen hat. Für fünf Kilometer Zaun gab sie 170.000 Euro aus. Damals bewiesen die österreichischen Parlamentsparteien übrigens tatsächlich Sprachwitz. Das Wort Zaun war verpönt. Stattdessen war die Rede von einem Leitsystem, einer baulichen Maßnahme oder, besonders kreativ, einer Tür mit Seitenteilen.

Funktionslose Tür mit Seitenteilen

Diese sehr teure Tür mit ihren Seitenteilen blieb von Anfang an weitgehend funktionslos. Entgegen seiner häufig geäußerten Behauptung hat der damalige Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz selbstverständlich nicht die Balkanroute geschlossen – Fluchtrouten lassen sich weder durch Zäune und Mauern, noch durch andere Maßnahmen schließen – aber so verlegt, dass kaum mehr Geflüchtete nach Spielfeld kamen.

Kurz und andere Mitglieder der österreichischen Regierung haben dagegen seit 2015 Barrieren errichtet, die Flucht zunehmend lebensgefährlicher und das Leben an den Fluchtrouten für die Bevölkerung  belastender machen. Diese Barrieren haben einen ähnlichen Effekt, wie sie eine hypothetische Mauer um Europa hätte. Zentraler Teil dieser Strategie ist die sogenannte Kooperation mit dem Westbalkan. Sie bestand von Beginn an aus der Zusammenarbeit mit demokratisch zumindest zweifelhaften Partnerregierungen und der Erpressung von Ländern, die darauf hoffen, der EU und dem Schengenraum beizutreten. 

Österreich und die Balkanstaaten

Ausgehandelt werden diese Maßnahmen ab 2016 bei den sogenannten Westbalkankonferenzen. Die zwölfte (und bisher letzte) dieser Konferenzen wurde Anfang Dezember dieses Jahres in Tirana abgehalten und widmete sich wieder einmal dem „Grenz- und Migrationsmanagement“ der EU. Also der Errichtung von Mauern rund um die EU durch repressive Maßnahmen. Die Beschlüsse der Konferenz lassen sich kurz zusammenfassen: Geflüchtete sollen außerhalb der EU gehalten werden, sei es an den EU-Außengrenzen oder in Nicht-EU-Ländern wie Bosnien und Herzegowina, und von dort in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Österreich nimmt bei diesen Konferenzen eine Vorreiterrolle ein. Im Rahmen von Entwicklungsarbeit übergab das Land beispielsweise bereits 2021 eine Million Euro an die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Bosnien und Herzegowina. Auch weitere Finanzierungen sind geflossen. Das Innenministerium gibt in einer parlamentarischen Anfrage an, dass mehr als 800 000 Euro an das Geflüchtetenlager Lipa gingen. Auch dies stellt einen Beitrag zur Mauer um Europa dar. Lipa liegt in einem schwer zugänglichen Waldgebiet in den bosnischen Bergen und ist zusätzlich rigide bewacht. 

Die oberösterreichische Volkspartei legte noch einmal 110 000 Euro für die Aufrüstung des Lagers drauf, umgesetzt durch die ihnen politisch nahestehende Organisation vor Ort, „Hilfswerk International”. So werden Geflüchtete daran gehindert, in die EU zu kommen. Es scheint auch wahrscheinlich, dass auf lange Sicht Menschen den Ausgang ihres Asylverfahrens mittelfristig in geschlossen Lagern außerhalb der EU abwarten sollen. Ähnliche Pläne gab es schon während der ÖVP/FPÖ-Regierung in Bezug auf Serbien.

Tradition der Mauern und Zäune

Man kann auch noch weiter in der Geschichte zurückgehen, um Österreichs Begeisterung für den Mauerbau zu belegen. Etwa bis zur Gründung des Salzburg-Forums 2000, einem regelmäßigen informellen Treffen zwischen Österreich und (süd-)osteuropäischen Ländern, bei dem Kooperationen in den Bereichen Polizei und Grenzschutz ausgehandelt werden. Oder bis zum „Strategiepapier zur Immigrations- und Asylpolitik“ der österreichischen Ratspräsidentschaft von 1998. Bereits hier wurde eine partielle Auslagerung dieser Angelegenheiten in Nachbarländer empfohlen. Oder sogar bis zur Gründung des ICMPD (International Center for Migration Policy Development) im Jahr 1993. Eine Institution, die unter dem Mantel der wissenschaftlichen Evaluierung und Prognostik die Einführung von Informations- und Grenzkontrollsystemen unterstützt.

Zurzeit unterstützt die österreichische Polizei ihre ungarischen Kolleg*innen an den Grenzen. Glaubt man der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Innenminister Karner vom Beginn dieses Jahres, dann beteiligen sich österreichische Polizist*innen nicht an Rückführungen aus Ungarn, sondern nur an Kontrollen von Personen und Gütern. Berichte von Betroffenen widersprechen dieser Darstellung und auch Menschenrechtsexpert*innen sehen die Zusammenarbeit mit der ungarischen Behörden hart an der Grenze von bestehendem EU Recht. Das Ungarn Ende 2020 aufgrund rechtswidriger Pushbacks vom EuGH verurteilt wurde, ist dabei nebensächlich. Schließlich wurde auch Österreich im Vorjahr zweimal für illegale Pushbacks verurteilt. Das Vorgehen klänge, laut Aussage des damals zuständigen Richters, nach einem systematischen Einsatz illegaler Praxen.

Das Recht folgt der Politik

Man kann der österreichischen Regierung allerdings nicht vorwerfen, dass sie sich nicht um die Angleichung von politischer Praxis und Recht bemühe. Das tut sie nicht durch die praktische Umsetzung rechtlicher Vorgaben, sondern durch den umgekehrten Weg: die Veränderung des Verfassungsrechts. Schon 1998 schlug die rot-schwarze Regierung eine grundlegende Überarbeitung der Genfer Konvention vor. Knapp ein Jahr bevor die FPÖ über die Ibiza-Affäre stolperte, teilte der damalige Innenminister Herbert Kickl der Öffentlichkeit mit, dass das Recht der Politik zu folgen hätte. Die ÖVP startete erst vor kurzem eine Diskussion darüber, ob die Menschenrechtskonvention noch zeitgemäß wäre. Und vermutlich stellten die Ergebnisse der letzten Westbalkankonferenz in Tirana für den österreichischen Innenminister Karner eine Enttäuschung dar. Schließlich wünschte er sich im Vorfeld dieses Treffens eine „Refoulement Richtlinie“, also die Verrechtlichung von staatlichen Handlungen, die gegen das Folterverbot verstoßen.

Der Traum von…

Im Bereich Asyl und Migration setzt Österreich alle Mittel ein, um seinen Einfluss auf die EU-Politik zu vergrößern. Das Land ist dabei durchaus erfolgreich. Dies liegt wohl nicht in erster Linie am diplomatischen Geschick der hiesigen Regierung, sondern daran, dass es eine weitgehende Einigung in der EU gibt, Asyl und Migration mit allen Mitteln einzuschränken.

Dies ist menschenverachtend, belastet die ärmeren Staaten Europas überdimensional, widerspricht geltendem Recht – und ist auch bemerkenswert ineffizient. Ein Blick auf die Zelte in der sogenannten „Wartezone Spielfeld” zeigt, dass Geflüchtete es offensichtlich trotzdem noch nach Österreich schaffen. Um einen Bruchteil der Millionen, die in Grenzschutz investiert werden – oder übrigens auch um das Geld, das nach Lipa geflossen ist – könnte man Geflüchtete in Österreich menschenwürdig unterbringen und versorgen. Aber natürlich kann man stattdessen auch von einer Mauer um Europa träumen.

Bild-Credits: Helen Zeru. Das Titelbild dieses Artikels zeigt einen Ort der Erinnerung an zwei vom EU-Grenzregime getöteten Menschen. Illyes und Hussein wurden am 2.12.2021 beim Grenzübertritt von der Slowakei nach Österreich von einem Zug bei Hainburg getötet. Die beiden sind aus Angst vor einem Pushback durch die österreichischen Behörden auf den Gleisen Richtung Wien unterwegs gewesen. May they rest in power!

Push-Back Alarm Austria betreibt eine Unterstützungshotline für Menschen, die an den Grenzen Österreichs und seiner Nachbarstaaten Pushbacks und andere Formen der Grenzgewalt erleben, dokumentiert solche Fälle und unterstützt gerichtliche Beschwerden dagegen. Hier könnt ihr die derzeitige Spendenkampagne unterstützen.

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