Juan Perez beobachtet in Österreich eine zunehmende Verschlechterung des Lebens. Die politische Rechte schlägt daraus Kapital. Wie kann es linken Kräften gelingen, die Marginalisierten zu vereinen?
Die wirtschaftliche und politische Lage in Österreich ist derzeit angespannt. Globale Krisen wie der Krieg in der Ukraine, die protektionistischen Maßnahmen sowie die Nachwirkungen der Pandemie führen zu Inflation, Investitionsrückgang und einer allgemeinen wirtschaftlichen Stagnation. Darüber hinaus führt der militaristische Kurs, den die EU auf regionaler Ebene eingeschlagen hat, zu erhöhten Rüstungsausgaben – weswegen wiederum die Staaten ihre Sozialbudgets kürzen.
Österreich rutschte seit 2023 in eine Rezession. Investitionen und Exporte reduzieren sich und Insolvenzen nehmen zu. Auch die Arbeitslosigkeit steigt und durch die Energiekrise haben sich die Energiepreise erhöht. Die steigenden öffentlichen Ausgaben und Schulden haben das Budgetdefizit verstärkt. Dies führt zu weiteren materiellen Einbußen, Arbeitsplatzverlusten und einer Verteuerung der Grundbedürfnisse. Anders als die globale Krise von 2008 handelt es sich in Österreich um eine strukturelle Krise, die vor allem den für das Land bedeutsamen Exportsektor trifft. Um diese Krise zu sanieren, hat sich die neue Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS mit der Haushaltsplanung 2026 bewusst dafür entschieden, vor allem Haushalte mit geringem Einkommen zu belasten.
Dieser politisch-ökonomische Kontext in Österreich bringt in Summe auch gewisse soziale Unzufriedenheit, Vertrauensverlust in die Politik und eine fehlende Repräsentation unter große Teile der Bevölkerung. Diese Krise wird von der extremen Rechten ausgenutzt. Ihr ist es wieder einmal gelungen ist, Teile der marginalisierten Klassen durch ihre Agenda anzusprechen.
Die marginalisierten Klassen in Österreich
Marginalisierte – also verarmte und an den Rand gedrängte – Klassen sind unter anderem Arbeiter*innen, Kleinbäuer*innen, aber auch andere unterdrückte Gruppen wie Migrant*innen, Menschen mit Fluchterfahrung und Asylbewerben*innen, FLINTA*-Personen, BBIPOC, Studierende, Arbeitsloser*innen, Menschen mit Behinderung und alte Personen. Kurz: Menschen die Unterdrückung und Diskriminierung aber gleichzeitig eine erweiterte Ausbeutung aufgrund ihrer Positionierung in der Gesellschaft erfahren.
In der Tat gibt es in Österreich zwei parallele Welten. Es gibt die Welt derer, die materiell in den Genuss sozialer Rechte kommen. Und es gibt die andere Welt, die der marginalisierten Klassen. Sie müssen ausschließlich von ihrer eigenen Arbeit überleben. Obwohl der Staat in diesem Land verhältnismäßig viele soziale Rechte garantiert, wissen wir, dass diese nach Klasse, Geschlecht und Ethnie ungleich verteilt und je nach Rechtsstatus – Menschen mit Fluchterfahrung, aus Drittstaaten und Asylbewerben*innen – stark eingeschränkt sind. Es sei darauf hingewiesen, dass in Österreich fast jede*r fünfte Einwohner*in bei den letzten nationalen Wahlen aufgrund des rechtlichen Status nicht wählen durfte. Obwohl der Staat ihnen Steuern abverlangt, dürften sie nicht entscheiden, was mit ihrem gesellschaftlichen Beitrag gemacht wird.
Prekarisierung des Lebens
Die oben beschriebene politisch-ökonomische Situation bedeutet eine zunehmende Marginalisierung in Österreich. Eine Krise so fördert die Entstehung neuartiger sozialer Konflikt und lädt uns dazu ein, über Formen einer Politisierung außerhalb der traditionellen Sozialpartnerschaftsmodelle nachzudenken. Themen wie z.B. Energie-, Lebensmittel- und Mietpreise, sowie strukturelle und steigende Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Menschen aus Drittstaaten aufgrund des österreichischen Migrationssystems und Rassismus, werden zunehmend problematischer.
Um die bis jetzt erkämpften sozialen Rechte zu verteidigen, aber auch um sie zu erweitern, ist es notwendig, die marginalisierten Klassen, zu vereinen. Zum Beispiel teilen und erleben die prekärisierten Migrant*innen und die prekärisierten Weißen ähnliche Situationen der Marginalisierung und Erniedrigung. Sie befinden sich sogar oft in denselben Wohngebieten bzw. Arbeitsplätzen. Allerdings existiert derzeit fast keine politisch-linke Initiative, in der beide Gruppen zusammentreffen. Die Marginalisierung erzeugt Gewalt, die sich oft in Emotionen wie Ressentiments und Hass niederschlagen. Ohne einen politischen Inhalt äußert sich die Energie von solchen emotionellen Reaktionen in körperlicher Gewalt, Vandalismus, sowie in Chauvinismus. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Zahl der Femizide und der Fälle von Gewalt gegen Frauen und LGBTTIQ-Personen hat zugenommen.
Aktivismus und Formen des Kampfes
Wie sieht Aktivismus in Österreich aktuell aus? Im Allgemeinen konzentrieren sich die Strategien der österreichischen Linken – etwa von LINKS, der kommunistischen Partei, aber auch von manchen autonomen Projekten – auf wöchentliche Demonstrationen und Veranstaltungen, bei denen den marginalisierten Klassen Mahlzeiten oder kostenlose Sozialberatung angeboten werden. Diese Aktionen sind auf taktischer Ebene relevant. Einerseits bauen sie eine Beziehung zu den marginalisierten Klassen auf und politisieren sie. Andererseits sind sie wichtig für die Aktivist*innen, um sich die sozialen Probleme der Menschen bewusst zu machen. Das mittelfristige Ziel besteht jedoch darin, diese Menschen so zu organisieren, dass sie ihre eigenen autonomen Organisationen gründen und für ihre eigenen Rechte kämpfen. Zusammenfassend muss es aber neben diesen wichtigen Tätigkeiten auch darum gehen, sich gemeinsam mit den marginalisierten Klassen zu organisieren.
Basisorganisationen, Sozialzentren oder ähnliche Räume in der Städten zu schaffen, wo marginalisierte Personen sich treffen, spielt eine zentrale Rolle für einen Aktivismus mit gesellschaftlicher Verankerung. Hier ist eine politische linke Praxis notwendig, die die gemeinsamen Unterdrückungs-, Ausbeutungs- und Diskriminierungserfahrungen bewusst macht. Aus diesem Zusammenschluss heraus können die Aktivist*innen konkrete Forderungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen (Nahrungsmittel, Gesundheit, Bildung, Wohnung, Arbeit usw.) der Marginialisierten erarbeiten, um ihre Rechte zu erweitern. Durch diese politische Arbeit, solche sozialen Kämpfe und den täglichen Austausch zwischen den Marginalisierten sollten die Linken einen Prozess der Herausbildung einer Identität und eines Klassenbewusstseins der marginalisierten Klassen in Österreich in Gang setzen. Dieser Wandel würde auch einen Beitrag zu einer politischen linken Alternative für Österreich bedeuten. Aktivismus sollte weder Subkultur noch „Lebensstil“ sein.
Ein Beispiel: Volksküchen mit Klassenperspektive und Engagement
Wie lässt sich diese Vereinigung der marginalisierten Klassen aufbauen? Ein konkretes Beispiel kann helfen, darüber näher zu reflektieren: die Volksküchen. In Lateinamerika decken die Volksküchen nicht nur materielle Bedürfnisse. Sie sind auch ein Raum für sozialen Austausch. Sie bilden ein Netz für die Solidarität in den Nachbarschaften. Obwohl der Staat in Österreich sehr präsent ist, gibt es immer mehr soziale Sektoren, die am Rande seiner Sozialpolitik stehen. Deshalb können die linken Aktivist*innen der Volksküchen in Österreich die bestehende gemeinschaftliche Verhältnisse zwischen den Menschen weiter vertiefen. Es ist wichtig, dass in diesen Projekten die Partizipation der Marginalisierten und ihr Empowerment weiter angeregt wird, dass ihr kulinarisches Wissen eingebunden wird, dass sie eine plurikulturelle Perspektive erhalten und dass sie regelmäßiger in den ärmsten Vierteln stattfinden.
Außerdem ist es wichtig, diese Räume mit anderen sozialen Organisationen zu koordinieren, z. B. mit Migrant*innenorganisationen, Organisationen zur Rettung von Lebensmitteln, Sportvereinen und ihren Fans, Pensionist*innen, usw. Auf diese Weise können Themen wie Migration, ökologische Kritik an der Konsumgesellschaft, die Lösung materieller Bedürfnisse von Menschen am Rande der Gesellschaft und die Förderung der kulturellen Interaktion zwischen den verschiedenen Gemeinschaften, die im selben städtischen Raum leben, angegangen werden. Die Anregung sozialer Interaktion durch Mahlzeiten, die Politisierung sozialer Ungerechtigkeiten und die Sichtbarmachung gemeinsamer Interessen marginalisierter Klassen tragen zum Bilden einer Gruppenidentität mit einer Klassenperspektive bei. Diese Prozesse sind zwar zeitaufwendig und konfliktbeladen, aber notwendig für einen langfristigen politischen Kampf und den Aufbau des Wunsches nach einer anderen Welt in den Unterdrückten.
Ein Bündnis marginalisierter Klassen
Die Wahlerfolge der Linken (bspw. der KPÖ bei den Kommunalwahlen in Graz 2021 und Salzburg 2023) können, wenn sie nicht in den Aufbau von sozialen Organisationen umgesetzt werden, nur vorübergehende und kurzlebige politische Fortschritte bedeuten. Das haben wir bei den letzten Nationalratswahlen gesehen. Deshalb ist es notwendig, ein Bündnis der marginalisierten Klassen aufzubauen. Dieses hat zur Aufgabe, die von der extremen Rechten durchgesetzte Verknüpfung von Einwanderung, Wirtschaftskrise und Unsicherheit als Erklärung für die aktuelle kapitalistische Krise aufzulösen. Es muss die politischen Instrumente der österreichischen Linken überdenken, wenn wir Widerstand leisten und in die nationale Politik eingreifen wollen. Ansonsten bleibt die einzige überzeugende „Anti-System“-Alternative für Teile der marginalisierten Klasse, die extreme Rechte.
Foto: Joanna on Unsplash

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