Was wir vom Wunder von Mals lernen können

Die überwältigende Mehrheit der Malser Bevölkerung stimmte 2014 dafür, dass die Südtiroler Gemeinde pestizidfrei wird. Die Geschichte macht deutlich, was eine breite Mobilisierung alles in Bewegung bringen kann. Und wie konservative Kräfte alles daran setzen, sie zunichte zu machen. Das Crossroads-Festival zeigt am 5. November einen Film über das „Wunder von Mals“.

Mals zählt kaum mehr als 5000 Einwohner*innen, erhält aber seit einigen Jahren Aufmerksamkeit aus ganz Europa und darüber hinaus: Die Gemeinde im Südtiroler Vinschgau wurde im September 2014 infolge einer Volksabstimmung zur pestizidfreien Gemeinde und damit zum Präzedenzfall. In Mals zeigte sich, was eine breite, kreative Kampagne bewirken kann und wie Initiativen direkter Demokratie fortschrittliche Politik auf den Weg bringen können. 75 Prozent der Gemeindebevölkerung stimmten für das Pestizidverbot, knapp 70 Prozent beteiligten sich an der Abstimmung. Trotzdem ist offen, ob das Verbot bestehen bleibt.

Europas Apfelkammer

In Südtirol, entlang der Sprachgrenze am Fluss Etsch, liegt das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet der EU. Gut 50 Millionen Apfelbäume stehen hier, rund eine Million Tonnen Äpfel werden jedes Jahr geerntet. Die Apfelkulturen erstrecken sich vielerorts über weite Teile der Talkessel – und sind nach wie vor auf dem Vormarsch. Denn der Anbau von Äpfeln ist profitabel, meist deutlich profitabler als beispielsweise Viehzucht auf einer vergleichbaren Fläche. Seit einigen Jahren mehren sich die Plantagen zunehmend auch im Vinschgau, der früher als „Kornkammer Tirols“ bekannt war.

Das Geschäft mit den Äpfeln hat allerdings seinen Preis, der Pestizideinsatz ist hoch. Die klimatischen Bedingungen im Vinschgau verschärfen das Problem: Weil der Wind hier immer bläst, verteilen sich die Pestizide weit über die gespritzten Flächen hinaus im ganzen Tal. Sie wurden nicht nur auf benachbarten Feldern und Weiden nachgewiesen, sondern ebenso mitten in den Ortsgebieten.

Mals, das kleine gallische Dorf

Mehrere Versuche, die Pestizidbelastung mittels freiwilliger Maßnahmen zu verringern, die gemeinsam mit Bäuer*innen und Bauernbund entwickelt worden waren, liefen ins Leere. Auch die Landesregierung nahm das Problem nicht ernst. Anfang 2013 hatte eine Gruppe von etwa 50 Malsern und Malserinnen genug. Sie gründeten ein Kommitee, um eine Volksabstimmung über ein Pestizidverbot auf Gemeindeebene auf den Weg zu bringen. Die Initiative wurde zur Erfolgsgeschichte: Eineinhalb Jahre später stimmten drei Viertel der Gemeindebewohner*innen für ein pestizidfreies Mals.

Was war passiert? Zunächst bereitete der Malser Bürgermeister Ulrich Veith den Boden. Als überzeugter Befürworter direkter Demokratie ließ er 2012 die Gemeindesatzung ändern: die Ergebnisse von Volksabstimmungen in Mals wurden bindend.

Auf breiter Basis

Auf dieser Grundlage konnte die Arbeit des Komitees aufbauen. Die Aktivist*innen setzten im Vorfeld des Referendums vor allem auf Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Dabei ging es nicht nur um Aufklärung über die mit Pestiziden verbundenen Gefahren, sondern auch um Visionen für die Zukunft der Region abseits des industrialisierten Obstbaus. Sie wollten Alternativen greifbar machen. In den eineinhalb Jahren von der Gründung des Komitees 2013 bis zur Abstimmung organisierten sie mehr als 20 Veranstaltungen, die immer wieder auch von künstlerischen Interventionen begleitet wurden.

Doch dabei blieb es nicht. Die Basis wurde breiter und breiter. Da gab es zum Beispiel das Manifest von über 50 Ärzt*innen, Tierärzt*innen, Zahnärzt*innen, Apotheker*innen und Biolog*innen des Oberen Vinschgaus. Im Sinne des „Rechts auf Unversehrtheit von Luft, Wasser und Boden“ und der Gesundheit der Bevölkerung appellierten sie an die Entscheidungsträger*innen: „Wir fordern mit unserer Unterschrift die Bürgermeister des Einzugsgebietes ‚Oberer Vinschgau‘ und alle im Land Südtirol Verantwortlichen auf, ernsthafte Anbaualternativen umzusetzen, bis hin zum Verbot der Ausbringung von chemisch-synthetischen Pestiziden und Insektiziden.“

Und dann waren da zahlreiche weitere Interventionen wie die 300 Transparente mit Aufschriften wie „Landschaft nützen und schützen, für uns und unsere Gäste“ oder „Unser Lebensraum frei von Pestiziden“, die über Nacht in der ganzen Gemeinde an Fenstern Balkonen, Gartenzäunen auftauchten. Die lebensgroßen Heupuppen in Pestizidschutzanzügen, die in der Früh am Markt saßen. Eine Serienleserbriefaktion mit über 70 Teilnehmer*innen in einer bekannten Regionalzeitung, um nur ein paar Beispiele zu nennen.. „Es geht um Lebensqualität: um eine Landschaft, in der wir uns erholen können, ohne in den Urlaub fahren zu müssen“, so Pia Oswald, eine der Initiatorinnen der Gruppe „Hollawint“, die dafür verantwortlich war.

Gegenwind

Aber auch die Gegner*innen der Abstimmung gründeten eine Plattform. Im Verband mit Bauernbund und Landesregierung ließen sie sich einiges einfallen, um die Abstimmung zu verhindern. Das gelang zwar nicht, allerdings folgten auf die Abstimmung mehrere Klagen, beispielsweise von 40 betroffenen Bauern und Bäuerinnen, die argumentierten, in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht zu sein. Bis dato verhinderten sie auf dem Rechtsweg, dass das Pestizidverbot tatsächlich in Kraft tritt. Anfang nächsten Jahres wird sich entscheiden, ob der Klage stattgegeben wird.

Das Beispiel Malosco macht jedenfalls Mut. Die Trentiner Gemeinde führte schon 2010 ein Pestizidverbot ein. Auch damals schaltete sich der Bauernbund ein und klagte, weil das Verbot das Selbstbestimmungsrecht der Bauern und Bäuerinnen beschneiden würde. Die Klage wurde allerdings von der letzten Instanz, dem Consiglio di State in Rom, abgewiesen, denn: Vorsorgemaßnahmen, die langfristig der Gesundheit der Menschen zu Gute kommen, haben Vorrang.

Das „Crossroads – Festival für Dokumentarfilm und Diskurs“ findet von 31. Oktober bis 11. November im Forum Stadtpark in Graz statt. Das ganze Programm findest du hier. Der mosaik-blog begleitet das Festival als Medienpartner. Der Film wird auch beim “Hunger.Macht.Profite” in Horn, Katsdorf und Dornbirn gezeigt.

Isabelle Schützenberger arbeitet zurzeit als Wissenschaftlerin und ist in der Bewegung für Ernährungssouveränität aktiv.

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