Michael Ludwig gegen Andreas Schieder: Standort schlägt Folklore

Bei der Wahl zwischen Michael Ludwig und Andreas Schieder ging es nicht um Rechts gegen Links. Trotzdem wird der Sieg Ludwigs den Rechtsrutsch der SPÖ beschleunigen – und zwar auch im Bund. Eine Analyse von mosaik-Redakteur Martin Konecny.

Das Rote Wien war einmal der Versuch, eine Utopie zu verwirklichen. Dieser Versuch war alles andere als perfekt. Doch im 20. Jahrhundert ist es der Sozialdemokratie gelungen, ihre Vision von Gesellschaft in Wien ein Stück weit zu verwirklichen: gute Wohnungen für hunderttausende Menschen, öffentliche Dienstleistungen vom Schwimmbad bis zur Volkshochschule und vieles mehr.

Im 21. Jahrhundert reicht das nicht mehr. Die Sozialdemokratie bietet keine Antworten auf Herausforderungen wie Klimakrise, Digitalisierung und Automatisierung und eine Stadt, in der inzwischen ein Viertel der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. In den vergangenen zwanzig Jahren konnte die SPÖ das kaschieren – dank der perfekten Verwaltung des Bestehenden und der Figur Michael Häupl. Doch jetzt wird ihr dieser Mangel zum Verhängnis.

Konkurrierende Seilschaften, keine Flügel

Eine Neubestimmung dessen, was das Rote Wien heute sein soll, würde interne Debatten und Auseinandersetzungen über diese Frage voraussetzen. Und tatsächlich haben die Medien uns die Konkurrenz zwischen Andreas Schieder und Michael Ludwig als einen Konflikt zwischen Links und Rechts verkauft. Doch parteiinterne Flügel, also relativ klar definierte Gruppen mit bekannten gemeinsamen Positionen, gibt es in der SPÖ nicht und hat es nie gegeben.

Was es hingegen gibt sind persönliche Seilschaften. Die Wiener SPÖ ist voll von Verwandtschaften, Freundschaften und Liebesbeziehungen.

Keine Visionen für Stadt und SPÖ

Andreas Schieder ist der Sohn des früheren Stadtrats Peter Schieder und Lebensgefährte der ehemaligen Stadträtin Sonja Wehsely. Bürgermeister Michael Häupl und Finanzstadträtin Renate Brauner waren lange ein Paar und sind immer noch eng verbunden. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.

Viele FunktionärInnen kennen einander aus Jugendorganisationen, andere aus der jeweiligen Bezirkspartei. Die Ebenen durchdringen einander und liegen manchmal auch quer, was die Lage für Außenstehende oft undurchschaubar macht.

Politische Unterschiede? Fehlanzeige

Die vielen Netzwerke in der Wiener SPÖ decken sich teilweise mit gemeinsamen politischen Positionen – doch bestimmend sind persönliche Loyalitätsverhältnisse. Das Match Ludwig gegen Schieder war deshalb viel weniger eines zwischen zwei Flügeln als zwischen Freundeskreisen.

In der SPÖ, die keine Erfahrung mit inhaltlichen Debatten hat, wurde dieser Mangel als reifer und respektvoller Umgang miteinander missverstanden.

Inszenierung mit Folgen

Doch trotz inhaltlicher Austauschbarkeit ist das Wahlergebnis nicht egal. „Links(liberal) gegen Rechts“ war eine Inszenierung – aber diese Inszenierung hat den Konflikt verändert. Er wurde mit jenen politischen Fragen aufgeladen, die die SPÖ derzeit spalten.

In dieser Hinsicht verheißt der Erfolg von Michael Ludwig nichts Gutes für die Sozialdemokratie und die Zukunft von Wien. Zugleich ist die Auseinandersetzung ein Armutszeugnis für die Perspektiven der Linksliberalen in der SPÖ.

Andreas Schieder: Der Kandidat fürs rote Herz

Besonders ernüchternd war der interne Wahlkampf von Andreas Schieder. In einem Interview für Wien Heute erklärte Schieder, dass es zwar Unterschiede zwischen ihm und Ludwig gebe, jede/r Delegierte am Landesparteitag aber für sich selbst entscheiden müsse, welche das seien.

Konkrete Vorschläge vermied Schieder weitgehend. Dafür schmeichelte er dem roten Herz und bemühte sozialdemokratische Folklore, indem er Wien als Gegenentwurf zu Schwarz-Blau beschwor und vor den Gefahren des Neoliberalismus warnte.

Pathetisch ohne Inhalt

Von einer positiven Vision eines sozial-ökologischen Wiens im 21. Jahrhundert war bei Schieder und den AkteurInnen hinter ihm nichts zu hören. Pathetische Auftritte konnten nicht verbergen, dass Schieder für kein grundlegend anderes Entwicklungsmodell als das bisherige, neoliberal geprägte steht. Wenn er doch einmal konkret wurde, verteidigte er wie Ludwig den verheerenden Bau des Lobautunnels oder stellte eine Wartefrist für die Mindestsicherung in den Raum.

Die Unfähigkeit Schieders und des Kreises um ihn herum, sozialdemokratische Politik neu zu bestimmen und einen offenen Konflikt zu führen, musste fast notwendig in der Niederlage enden.

Michael Ludwig: Konkreter und beängstigender

Michael Ludwig hat konkretere Vorstellungen. Sein Programm und die Tatsache, dass er damit überzeugen konnte, sind aber beängstigend.

Michael Ludwig will Wien nicht als stadtgewordene Opposition zu Schwarz-Blau positionieren, sondern in erster Linie als erfolgreichen Wirtschaftsstandort im globalen Kapitalismus. Das ist die ehrliche Fortsetzung der Politik der vergangenen Jahre – und wird notwendigerweise dazu führen, dass Löhne, Sozial- und Umweltstandards weiter unter die Räder kommen.

Klimafeindlich und neoliberal angepasst

Dementsprechend setzt Michael Ludwig auf klimafeindliche Projekte wie die dritte Piste am Flughafen Schwechat oder den Lobautunnel. Statt neuer Gemeindebauten will er weiter mit den mächtigen Genossenschaften und der Versicherungswirtschaft Wohnungen bauen. Statt von Ungehorsam gegen den Fiskalpakt, der Wien eine neoliberale Budgetpolitik aufzwingt, spricht Ludwig davon, dass er den Haushalt stabilisieren werde.

All das ist keine Utopie vom Roten Wien im 21. Jahrhundert – sondern das Versprechen, dass alles so bleibt, wie es ist. Es war Ludwigs technokratische Vision von Wien, die sich gegen Schieders schöne, aber leere Worte durchgesetzt hat.

SPÖ wird zur sozialen Heimatpartei

Das Ergebnis hat auch für die Bundes-SPÖ große Bedeutung. Die Wiener Basis bestätigte den Oppositionskurs, der sich in den vergangenen Wochen angedeutet hat und in den sich Ludwig eingereiht hatte.

Die SPÖ präsentiert sich als die echte „soziale Heimatpartei“. Sie attackiert Schwarz-Blau dafür, MigrantInnen ins Land zu holen. Sie kritisiert an Innenminister Kickl, dass er nicht genug Menschen abschiebe. Ob es damit gelingt, FPÖ-WählerInnen zu gewinnen, ist letztlich egal. Diese Politik betreibt den Rechtsrutsch mit, den es zu bekämpfen gilt.

Die Wiener Landespartei und vor allem ihr Vorsitzender Michael Häupl waren in den vergangenen Jahren der Garant dafür, dass bestimmte Linien nicht überschritten werden. Das ist jetzt vorbei. Außer den Jugendorganisationen gibt es jetzt kaum noch Strukturen, die einen anderen Kurs der SPÖ aktiv einfordern werden.

Keine gute Nachricht für Linke

Ob der verschärfte Rechtsrutsch der SPÖ im Bund wie in Wien eine Chance für linke Wahlprojekte ist, bleibt abzuwarten. Das hängt letztlich von der Fähigkeit der Linken ab, selbst eine glaubhafte Alternative aufzubauen.

Angesichts der schwarz-blauen Angriffe und der autoritären Wende ist der Sieg Michael Ludwigs aber für die gesellschaftliche Linke, die sozialen Bewegungen und die Zivilgesellschaft als Ganzes eine schlechte Nachricht.

Ein Wiener Bürgermeister, der an Großdemos gegen Schwarz-Blau teilnimmt, wäre für sie allemal besser gewesen. Schieder mag dabei nicht sonderlich glaubwürdig sein, aber im Gegensatz zu Ludwig hätten ihn Linke und soziale Bewegungen ganz anders unter Druck setzen können. Dass es jetzt weder auf Bundes- noch Landesebene eine echte Opposition gegen Schwarz-Blau gibt, kann niemanden freuen.

Die Opposition ist auf der Straße

Die einzige verbliebene, ernstzunehmende Opposition ist auf der Straße. Sie findet sich in der Zivilgesellschaft und sie existiert in vielen solidarischen Projekten im ganzen Land. All das wird aber nicht reichen, um eine bessere Politik durchzusetzen.

Für all diese Kräfte gilt es jetzt, ein glaubhaftes Gegenprojekt zu Schwarz-Blau zu entwickeln. Ohne eine positive Vision von der Zukunft wird es nicht gelingen, den Rechtsrutsch zu stoppen. Eine solche fehlt nicht nur der SPÖ, sondern dem solidarischen Lager insgesamt.

Autor

  • Martin Konecny

    Martin Konecny ist Bildungsreferent der KPÖ. Er hat jahrelang für das zivilgesellschaftliche Netzwerk „Seattle to Brussels“ zu europäischer Handelspolitik gearbeitet.

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