Die Besetzungen der Klima-Aktivist*innen von LobauBleibt in Hirschstetten sind geräumt, der Bau der Stadtautobahn läuft auf Hochtouren und die Mobilisierungskraft ist geschwunden. Und jetzt? Aktivist*innen Lucia Steinwender und Alexander Weidenauer über die strategische Ausrichtung der Bewegung und warum der Kampf noch lange nicht vorbei ist.
Ab sechs Uhr morgens ist es laut in Hirschstetten, dem Stadtteil im Nordosten Wiens, wo auf Geheiß der Wiener Stadtregierung die Stadtautobahn gebaut wird. Bagger um Bagger rollen und verwandeln fruchtbares Ackerland in Baustellen. Vor Bäumen machen sie genauso wenig Halt wie vor den zwei besetzten Baustellen, die monatelang den Bau verzögerten, bis die Polizei sie schließlich bei zwei Großeinsätzen räumte. Wo früher stolz die Pyramide stand und Aktivist*innen im „Grätzl 1“ gemeinsam bauten, lernten und lebten, entsteht nun die vierspurige Autobahn („Stadtstraße“). Sie soll die Tangente mit der Lobau-Autobahn (S1) verbinden. Aber ist die nicht längst Geschichte?
Die Lobau-Autobahn droht
Mit der Absage der Lobau-Autobahn durch Klimaministerin Gewessler haben wir als LobauBleibt-Bewegung einen großen Etappensieg gerungen. Aber dieser schwebt in gewaltiger Gefahr: Erst letzte Woche drohten SPÖ Wien und Wirtschaftskammer, die Lobau-Autobahn doch noch durchzuboxen. Dabei beriefen sie sich sogar auf EU-Recht. Um im kapitalistischen Standortwettbewerb bestehen zu können, soll Wien zum „Drehkreuz“ für den internationalen Warenverkehr werden. So verspricht es die Stadt Wien im Jänner diesen Jahres der Wirtschaftskammer in der Zukunftsvereinbarung. Neue Logistikzentren und Industriegebiete am Stadtrand sollen durch die Lobau-Autobahn als Teil des europäischen Transitrouten-Netzwerks TEN an den internationalen Schwerverkehr angebunden werden. Die unheilige Allianz aus Stadtregierung und Betonlobby macht deutlich, wem das Projekt eigentlich dient. Hinter Scheinargumenten von sozialem Wohnbau verbergen sich knallharte Profitinteressen.
LobauBleibt: Ein Finger in der Wunde
Kein Wunder also, dass die Stadt Wien alles Erdenkliche tut, um die Stadtautobahn doch noch zu bauen. Sie hat weder davor zurückgeschreckt, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und teils minderjährige Aktivist*innen mit Klagsdrohungen zu versehen, noch einen Brandanschlag auf das Leben von acht jungen Menschen öffentlich zu verharmlosen. Die Angriffe auf uns, von der Stadt Wien über die FPÖ bis hin zu Neonazis zeigen: Mit LobauBleibt haben wir einen Finger in die Wunde gelegt. Fridays For Future und die aufkeimende europäische Klimagerechtigkeitsbewegung wurden mehrere Jahre von der Politik gekuschelt. Wir haben nun einen bitteren Vorgeschmack davon bekommen, was passiert, wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung wirklich an der kapitalistischen Ordnung rüttelt.
Soziale statt kapitalistische Infrastruktur
Die globalen Krisen, die sich rasant zuspitzen – Klimakatastrophe, Pandemie und Krieg – werden wir in der Lobau nicht lösen. Und doch ist sie unser lokales Kampffeld gegen das ausbeuterische System. Die Lobau- und Stadtautobahn sind ein Symbol für die kapitalistische Infrastruktur. Sie baut für immer mehr Waren, Kapital und sogar Militär immer neue Autobahnen. Gleichzeitig hält sie die, die vor ihren Folgen fliehen, an Grenzen fest, spart soziale Infrastruktur wie das Gesundheitssystem kaputt und beutet Sorgearbeit aus. Am 28. Mai, dem SPÖ-Parteitag, wollen wir dagegen in einem breiten Bündnis aus Feminismus, Antirassismus, Landwirtschaft, Sozialbereich, Recht auf Stadt & Co. zeigen, dass wir nicht nur Österreichs derzeit größtes fossile Megaprojekt, sondern auch seine Profiteure und systemischen Wurzeln dahinter angreifen.
Was bedeutet horizontale Eskalation?
Dass wir es mit unserem Protest ernst genug meinen, um den Winter auf einer Baustelle zu verbringen, haben wir bereits bewiesen. Jetzt wenden wir uns anderen Strategien zu. Nur an der vertikalen Eskalationsleiter nach oben zu schrauben – eine Radikalisierung der Aktionsformen, wie in Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung diskutiert – erzeugt weder den nötigen Druck, um das Projekt doch noch zu kippen, noch entspricht es unserem Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig zu verändern. Schließlich wollen wir nicht nur durch Druck von unten Entscheidungen von den Mächtigen erzwingen. Wir wollen langfristig die Entscheidungsmacht selbst nach unten umverteilen. Eine breite Bewegung aufzubauen, ist also nicht nur Mittel, sondern auch Zweck und erfordert horizontale Eskalation: Wir müssen nicht (nur) krasser, sondern vor allem mehr werden.
Deshalb wollen wir am 25. Mai möglichst viele Menschen mitnehmen, um die Bauarbeiten gemeinsam zu blockieren. Aber vor allem wollen wir uns auch mit all jenen verbünden, die nicht auf Bagger klettern (können). Mit jenen, die stattdessen mit uns Zeitungen verteilen, Fußball spielen und am 28. Mai mit einer großen Demo zum SPÖ-Parteitag ziehen.
Es braucht einen langen Atem
Das mag sich zwischen Pandemie und weltweiter Aufrüstung manchmal anfühlen, wie gegen Windmühlen zu kämpfen. Der Krieg in der Ukraine, steigende Lebensmittel- und Energiepreise und soziale Not, rassistische Grenzregimes und Militarisierung bestimmen die politische Dynamik. Aber die Kämpfe dagegen hängen zusammen – und sind nur mit einem langen Atem zu gewinnen. Um diesen ringen wir auch bei LobauBleibt. Nach fast acht Monaten Baustellenbesetzung trennt das letzte widerständige Camp nur noch ein schmaler Zaun von der Zerstörung.
Auf der Straße hört man in diesen Tagen oft, es sei bereits zu spät, um die Stadtautobahn noch zu verhindern. Aber ein Blick in die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt, dass noch nicht Hopfen und Malz verloren ist. In Hainburg wurden bereits Bäume gefällt, in Zwentendorf stand das Kraftwerk sogar schon. Es ist also noch nicht zu spät, um für diesen kleinen lokalen Sieg zu kämpfen. Nein, inmitten der großen globalen Krisen ist es sogar richtiger denn je. Denn Rebellion entsteht aus Hoffnung, aber Hoffnung entsteht auch aus Rebellion.