„Es braucht eine linke Opposition in Wien“

Eine neue Liste startet in den Wahlkampf für die Wiener Gemeinderatswahl im Oktober. LINKS will nicht weniger als die Demokratisierung aller Lebensbereiche und echte Umverteilung. Dazu braucht es laut eigenen Angaben eine starke linke Opposition im Gemeinderat. Mosaik-Redakteurin Franziska Wallner hat die drei frisch gewählten Spitzenkandidat*innen Anna Svec, Angelika Adensamer und Can Gülcü zum Gespräch gebeten.

Mosaik: In drei Monaten, am 11. Oktober, finden die Wiener Gemeinderatswahlen statt – LINKS will erstmals antreten. Warum habt ihr euch dazu entschlossen? In Wien läuft doch alles super, oder?

Anna: Weil wir davon überzeugt sind, dass es für Wien eine starke linke Opposition braucht. Das heißt für uns: die Ungleichheiten, die es gibt, offen auszusprechen und sich kämpferisch dagegen zu positionieren. Deswegen wollen wir einerseits jene einbinden, die schon lange wichtige politische Arbeit in Wien machen, und auf der anderen Seite auch ganz viele Leute erreichen, die das bisher noch nicht in organisierter Form gemacht haben. Wir wollen ein Ort sein, bei dem sich alle diese Leute organisieren können und gemeinsam für eine gerechtere Stadt kämpfen.

Can: Wien ist toll, aber gleichzeitig lebt jeder fünfte Mensch in Wien armutsgefährdet. Natürlich ist Wien in mancherlei Hinsicht vorbildhaft, zum Beispiel was sozialen Wohnbau angeht. Aber nichtsdestotrotz sind die Mieten bei Privatvermietungen in den letzten zehn Jahren um fünfzig Prozent gestiegen. Vierzig Prozent aller Kinderarztpraxen in Wien sind privat, in manchen Bezirken findet man kaum mehr Kassenärzt*innenplätze. Außerdem dürfen ein Drittel der Wienerinnen und Wiener nicht wählen.

Wie geht ihr damit um, dass ihr bei einer Wahl antretet, bei der so viele Menschen nicht wählen dürfen?

Angelika: Um auf das Level zu kommen, wo man Dinge konkret verändern kann, muss man den Weg über die Parlamente gehen.

Can: Wir leben in einer Stadt, die von Mitte-Links-Parteien regiert wird. Da könnte man sich denken, dass hier ein progressives kommunales Wahlrecht umgesetzt wird. Tatsächlich hat diese Regierung in den letzten zehn Jahren gar nichts dafür gemacht. In Vertretungskörpern vertreten zu sein, heißt auch, zu jeder relevanten politischen Frage Anträge und Anfragen zu stellen, den Regierenden auf die Nerven zu gehen und auch Sichtbarkeit zu schaffen für Themen, die sonst nicht in die Öffentlichkeit kommen. Es sind immer nur die rechten Parteien, die beispielsweise die Korruption in Wien kritisieren. Nicht weil sie nicht selber korrupt genug wären, sondern um daraus politisches Kleingeld zu schlagen. Wir dürfen diese Themen nicht den Neos, der FPÖ und der ÖVP überlassen. Dafür braucht es eine linke Opposition.

LINKS gibt es ja nicht erst seit heute – ihr habt euch schon im Jänner mit der Gründungsversammlung der Öffentlichkeit präsentiert und seid in den letzten Monaten sehr aktiv gewesen. Was ist seit der Gründungsversammlung passiert?

Anna: Die Partei ist relativ frisch gebacken. Es waren ganz viele Leute schon auf der Gründungsversammlung, und es haben sich schon dort Bezirksgruppen gegründet. Die sind sehr motiviert in die Arbeit gestartet. Dann hat uns natürlich Corona getroffen. Das war nicht so einfach, in einer Phase, in der eigentlich ein Rausgehen und Organisieren hätten stattfinden sollen. Ich habe aber das Gefühl, dass LINKS das verhältnismäßig gut überstanden hat.

Es gibt flächendeckend funktionierende, tolle Bezirksgruppen, die es zum Großteil geschafft haben, auch in der Corona-Zeit Online-Treffen abzuhalten und neue Leute zu erreichen. Wir haben gerade in allen Bezirken, nach Quoten, die Bezirkslisten gewählt. Weil wegen der Corona-Regelungen kein großes Wahlforum stattfinden konnte, gab es jetzt eine große, demokratische Briefwahl für die Gemeinderatsliste.

Angelika: Und wir werden bald das Programm präsentieren!

Anna: Jetzt starten wir gerade mit dem Sammeln von Unterstützungserklärungen, die für den Antritt notwendig sind – das sind in unserem Fall 2950. Die Bezirksgruppen haben ganz viele Veranstaltungen, wo sie auf die Straße gehen, vor den Bezirksämtern stehen, und LINKS auch im Bezirk bekannt machen.

Angelika: Und jetzt sollen bitte alle Leserinnen und Leser solche Unterstützungserklärungen unterschreiben. (lacht)

Ich würde gerne wissen, warum ihr jeweils persönlich kandidiert. Can?

Can: Ich hab’ mir lange Zeit, und ich glaube auch aus guten Gründen, kein Engagement in einer Partei angetan. Das hat sich jetzt geändert. Auf der einen Seite, weil ich überzeugt bin, dass es an der Zeit ist. Ich wollte nicht mehr nur ein bisschen von außen dabei sein und kommentieren, was andere tun. Und zweitens hat mir davor ein bisschen der Mut gefehlt.

Wir alle sehen, wie wir in Gesellschaft und Politik hinter das zurückfallen, was einmal errungen wurde. Da nichts dagegen zu tun, wäre fahrlässig. Es ist Zeit, dass wir tatsächlich Verantwortung übernehmen. Das heißt nicht, dass alle auf einer Liste stehen müssen, es gibt auch andere Wege sich einzubringen und etwas beizutragen. Aber es läuft so viel falsch, dass wir das jetzt einfach selbst in die Hand nehmen müssen, da führte für mich kein Weg vorbei.

Angelika, warum kandidierst du?

Angelika: Ich habe manchmal das Gefühl, die Verhältnisse eskalieren seit ein paar Jahren derartig, dass es die Möglichkeit, einfach abzuwarten immer weniger gibt. Irgendwann kommt der Punkt, wo man das einfach selber machen muss – und zwar in einer Form, die wirklich auf Wahlen und Einflussnahme auf der Ebene der Parlamente abzielt.

Die Themen Polizeigewalt und Diskriminierung liegen mir total am Herzen. Das ist ja als politisches Thema gerade nochmal hochgekocht – einerseits mit den massiven und existenzschädigenden Strafen während der Ausgangsbeschränkungen zu Corona, wo es unbedingt eine Amnestie gebraucht hätte, die aber nicht gekommen ist. Und zugleich gibt es in der Polizei – eine Institution mit extrem viel Macht – eine zutiefst rassistische Struktur. Das spielt einen wichtigen Faktor im Leben von ganz vielen Leuten. Sie müssen Angst haben vor rassistischen Übergriffen und Diskriminierung durch die Polizei. Die Stadt Wien könnte und müsste hier auf jeden Fall viel mehr eingreifen, zum Beispiel mit Beratungsangeboten und Unterstützung bei Beschwerden gegen die Polizei.

Was heißt für euch Sicherheit in der Stadt?

Angelika: Sicherheit bedeutet, dass du keine Angst haben musst um deine Existenz, dass du keine Angst haben musst, aus deiner Versicherung rauszufallen oder keine Gesundheitsversorgung zu haben. Du musst keine Angst haben, dass deine Kinder nicht die Ausbildung bekommen, die sie brauchen. Und du musst keine Angst vor der Polizei oder vor anderen Mitmenschen haben, wenn du dich in der Stadt bewegst.

Warum kandidierst du, Anna?

Anna: Ich hab’ ja auch schon mal für KPÖ Plus kandidiert. Das heißt, es gibt den Gedanken bei mir einfach schon länger. Ich hätte gerne eine Partei – und ich glaube das kann LINKS sein – wo man diese verschiedenen Kämpfe zusammen bringen und umso stärker führen kann. Wir dürfen den Rechten nicht die politische Spielwiese überlassen. Das gilt auch für Wahlen. Das ist eine Ebene, wo ganz viele Menschen erreicht werden und es ist wichtig, zu zeigen, dass man das ernst nimmt.

Da geht es auch darum, auszusprechen, dass die allermeisten Leute unter der Art, wie unsere Gesellschaft funktioniert, leiden. Das müssen wir hinaustragen. Dann würde sichtbar werden, wie viele davon eigentlich betroffen sind. Ich habe das Gefühl, dass Corona schon ganz leicht sichtbar gemacht hat, dass Dinge nicht in Stein gemeißelt sind. Ich glaube, dass jetzt eigentlich ein sehr guter Moment ist, um zu zeigen, dass das System wie es ist, keine Naturgewalt ist, sondern dass man das auch ändern könnte – oder ändern muss.

Abschließend noch die Frage: Wofür steht LINKS?

Can: Auf jeden Fall für Gerechtigkeit, und zwar in mehrfacher Weise. Es geht um soziale Gerechtigkeit. Alle Menschen sollen das Recht auf ein gutes Leben haben, auf soziale Sicherheit, auf Unversehrtheit. Dann steht LINKS für die Demokratisierung der Gesellschaft – auch hier in mehrfacher Weise. Das bedeutet Zugang zu Ressourcen, also gleichberechtigten Zugang zum Wohlstand, aber es bedeutet auch, dass viel mehr Menschen mitreden und mitbestimmen können. Da geht es nicht nur um das Drittel der Wiener*innen, das nicht wählen kann, sondern es geht um viel mehr. Wir leben in einer Stadt, die sehr stark und sehr autoritär von einer Partei und den Institutionen, die von ihr kontrolliert werden, bestimmt und regiert wird. Dabei sollten wir alle mitbestimmen, was mit dem passiert, das wir gemeinsam erarbeiten.

LINKS steht für die notwendigsten – und das sind oft die radikalsten – Lösungen in Umweltfragen, in Mobilitätsfragen, in Sicherheitsfragen, in Migrationsthemen oder was Chancengleichheit oder Gleichberechtigung angeht. Und ich glaube, diese radikale Veränderung muss sowohl auf der Straße als auch in den unzähligen Initiativen als auch in den Bezirksräten als auch im Gemeinderat vorangetrieben werden. Das ist es, warum wir uns auf den Weg machen.

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