Von Ende Juli bis Ende September haben wir bei mosaik sieben Artikel im Rahmen der Reihe mosaik strategy summer veröffentlicht. Eine Zusammenschau dieser Artikel zeigt: Die Linke befindet sich in der Defensive. Ein Ergebnis, das sich auch durch den gestrigen Ausgang der Nationalratswahl bestätigt. Eine Einschätzung der mosaik-Redaktion.
Sonntag, kurz nach 17.00 Uhr: Die Balken der ersten Hochrechnung der Nationalratswahl schnellen in die Höhe. Das Ergebnis ist wenig überraschend. Die rechtsextreme FPÖ führt mit knapp 29%. Dahinter liegt die ÖVP mit 26% auf Platz zwei und auf Platz drei die SPÖ mit etwas mehr als 20%. NEOS und Grüne rittern mit jeweils ca. 8,5% noch um Platz vier. Bei der KPÖ schwinden mit einem ersten Ergebnis von 2,9% die Hoffnungen auf den Einzug in den Nationalrat.
Doch zwei Monate zurück: Ende Juli haben wir als mosaik den strategy summer ausgerufen. Jede Woche sollte ein Artikel erscheinen, der strategische Fragen linker und emanzipatorischer Bewegungen und Kämpfe diskutiert. Die Motivation dahinter hat erst einmal nichts mit der Nationalratswahl zu tun. Es ging stattdessen darum, als ‚Linke‘ überhaupt in die Debatte zu kommen. Denn unsere Analyse war es, dass wir uns zu wenig austauschen, zu wenig solidarisch streiten und uns zu wenig die Frage stellen, was wir eigentlich wie erreichen wollen. Als ‚Linke‘ verstehen wir dabei alle, die emanzipatorische Antworten auf die Krisen des Kapitalismus suchen – und das nicht selektiv, sondern immer im Versuch, die Auswirkungen von Herrschaftsverhältnissen zusammenzudenken.
Ein schwieriges gesamtgesellschaftliches Klima
Als diese Linke befinden wir uns gesamtgesellschaftlich in der Defensive. Die gestrigen Wahlergebnisse sind ein Ausdruck davon. Dabei interessieren uns gar nicht die konkreten Prozentpunkte. Mit Sorge betrachten wir das schiefe Verhältnis zwischen den großen ökologischen, sozialen und globalen Krisen und der verschwindend geringen Lösungskompetenz, die die stimmenstärksten Parteien für diese Krisen bereithalten. In einem solchen gesamtgesellschaftlichen Klima – welches sich nicht nur auf Österreich beschränkt – linke, emanzipatorische Politik voranzutreiben, ist schwierig.
Ausbleibende Erfolge
Linke, emanzipatorische Politik ist vielfältig. Die Artikel des strategy summer haben eine breite Palette davon abgedeckt: Medien, Klimagerechtigkeit, Antifaschismus und Internationalismus. Außerdem waren Artikel dabei, die sich einer Analyse des Zustands der außerparlamentarischen Linken allgemein und ihrer Beziehung zu Parteien abseits des Wahlkampfs wie auch im Wahlkampf widmeten. Andere wichtige Themen wie migrantische, Anti-Abschiebe- oder feministische Kämpfe haben gefehlt.
In Summe zeigen die Artikel des strategy summer: Wenn wir wollten, könnten wir den Kopf in den Sand stecken. Breite Erfolge und ein Wirken aus der Szene oder aus den Bewegungen in die Öffentlichkeit hinein finden gerade nur sehr beschränkt statt. Die Artikel zeigen aber auch noch etwas anderes: Wir haben in den letzten Jahren viel liegen gelassen. Es ist nicht so, als hätten wir alles gegeben und sind damit gescheitert. Nein, wir befinden uns in einer (neuen) Findungsphase als Bewegung(en) und emanzipatorische Linke.
Ein neues linkes Hegemonieprojekt
Der Befund der Versäumnisse soll auf keinen Fall jenen auf die Füße treten, die in den letzten Jahren – teilweise über ihre Belastungsgrenzen hinaus – für linke, emanzipatorische Politik gerannt sind. Er soll stattdessen – wie schon der strategy summer – zum gemeinsamen Nachdenken aufrufen und Grundlagen für eine gemeinsame Praxis bieten. In ihrem Beitrag zum strategy summer schreibt die Interventionistische Linke (IL): „Was wir […] schaffen müssen, ist ein linkes Hegemonieprojekt zu bilden. Einen linken Block, der so viel gesellschaftliche Ausstrahlungskraft besitzt, dass er es mit Neoliberalen und Rechten aufnehmen kann.“ Wir meinen, das gilt auch für Österreich.
Dabei werden verschiedene Bewegungen verschiedene Rollen einnehmen (müssen). Im ersten Artikel des strategy summer spricht mosaik-Redaktuer Hannes Grohs von einer politischen Zeitschleife. Das Ziel des Hegemonieprojekts – sprich das Suchen und Finden inhaltlicher und praktischer Angebote, auf deren Basis sich wieder Mehrheiten organisieren lassen – und die Einsicht in seine Notwendigkeit sind nicht neu. Bei seiner Gründung 2015 wurde mosaik auch als Politprojekt konzipiert, das im Rahmen der Initiative Aufbruch versuchte, die Linke in Österreich näher zusammenzubringen. Die Einschätzung damals: „Die Situation ist ernst, die gesellschaftlichen Konflikte spitzen sich zu und wenn es uns nicht gemeinsam gelingt, demokratische und solidarische Alternativen stark zu machen, werden wir von rechts überrollt.“
Neuer politischer Kontext
Mit dieser Einschätzung befinden wir uns tatsächlich in einer Zeitschleife. Was den politischen Kontext betrifft, hat sich die Uhr allerdings weitergedreht. 2015 gab es ausgehend von Spanien und Griechenland in Europa eine linke Aufbruchstimmung. Heute müssen wir uns fragen, ob uns die Rechte nicht schon überrollt hat. Dazu kommt eine immer weiter eskalierende Klimakatastrophe und sich global zuspitzende militärische Auseinandersetzungen.
Konkret mit Blick auf Österreich muss aber auch gesagt sein, dass es mit der KPÖ bundesweit und mit LINKS in Wien wieder linke Parteien gibt, an die eine grundlegende linke Politik anschlussfähig ist bzw. die sich selbst als Teil davon sehen. Und es gibt diese Parteien nicht nur: Die KPÖ hat bei den jüngsten Gemeinderatswahlen – Steiermark, Salzburg, Innsbruck – auch Erfolge erzielt. Bei der gestrigen Nationalratswahl hat der Einzug ins Parlament mit 2,4% für die Kommunist*innen nicht geklappt. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass eine Steigerung der Stimmen (+1,7%) und insbesondere in Wien ein beachtliches Ergebnis erzielt werden konnten. In der Bundeshauptstadt kratzt die KPÖ an der 4%-Marke. Dabei spielen Wahlen für die KPÖ nicht einmal die größte Rolle. Sie denkt sich – nachzuhören im strategy summer – nicht als „Wahlverein“, sondern als sozialer Raum, wo sich Menschen organisieren können.
Gesellschaftliche Anschlussfähigkeit
Soziale Bewegungen in Österreich werden sich überlegen müssen, ob und wie sie diesen Raum nutzen wollen. Es stellen sich ihnen aber auch noch andere Fragen. Ein wiederkehrendes Thema im Rahmen des strategy summer war jenes nach der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit. Wie können wir unsere Kämpfe stärken, indem wir mehr Menschen davon überzeugen und einbinden? Die Methode des Organizing stand dabei hoch im Kurs. Die IL will in Zukunft mehr auf „Gespräch an der Haustür“ setzen. Bereits getan hat das die Initiative „Wir* gegen rechts“ in ihrem „Wahlkampf ohne Partei“.
Ein Wunsch nach Anschlussfähigkeit drückt sich auch in den Artikeln im Kontext Klimagerechtigkeitsbewegung und Antifaschismus aus. Fabian Hattendorf schreibt mit Blick auf die Proteste der „Aufstände der Erde“ in Frankreich, dass die lokale Verankerung unzureichend war. Auch im Rahmen eines „neuen Internationalismus“ geht es darum, wie die lokale und internationale Ebene besser verbunden werden können. Und Andreas Aipeldauer will den Antifaschismus durch das Überwinden des subkulturellen und defensiven Zugangs antifaschistischer Politik aus der Krise holen: „Der beste Schutz gegen den Rechtsextremismus ist immer noch eine starke Linke, die etwas will und Wege findet, das auch zu vermitteln.“
Raus aus der Defensive
Auf der Suche nach einem neuen Hegemonieprojekt in der Linken oder – kleiner angefangen – nach einer besseren Verständigung und Zusammenarbeit innerhalb der Linken sehen wir als mosaik unsere Rolle gemeinsam mit anderen alternativen Medien in dieser Vermittlung. Der strategy summer sollte ein Beitrag dazu sein. Die Linke mag sich in der Defensive befinden. Aber wir glauben immer noch an ihr Lösungspotenzial. Um es auch zu entfalten, müssen wir strategischer denken und agieren als zuletzt, eingeübte Muster und Choreographien grundlegend hinterfragen und neue Wege der Zusammenarbeit finden.
Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass uns auch Abwehrkämpfe bevorstehen. Wer Teil der nächsten österreichischen Regierung wird, ist noch nicht ausgemacht. Gewiss ist aber, dass rund 1,4 Millionen Menschen in Österreich nicht gezögert haben, ihr Kreuz bei einer rechtsextremen Partei zu machen, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Weitere rund 1,3 Millionen stimmen für eine ÖVP, die sich in ihren Positionen immer weiter radikalisiert (hat). Das hat auch Einfluss auf die Stimmung auf der Straße und die Sicherheit all jener Menschen, die nicht zu dieser – im Wahlergebnis ausgedrückten – ‚Mehrheitsgesellschaft‘ gehören.
In eine solidarische Zukunft
Das gesamtgesellschaftliche Klima für linke und emanzipatorische Politik wird auf absehbare Zeit schwierig bleiben. Umso wichtiger ist es, aus der Defensive wieder in die Offensive zu kommen. Deswegen laden wir umso mehr – auf und abseits unseres Blogs – zur Diskussion ein. Lasst uns der scheinbaren Aussichtslosigkeit zum Trotz, Vorschläge für eine solidarische Zukunft formulieren und gemeinsam Wege finden, sie auch zu beschreiten.
Der mosaik stratgey summer zum Nachlesen und -hören:
#1 „mosaik – Politik weiterhin neu zusammensetzen“
#2 „Sind wir hier noch genau richtig? – Die Interventionistische Linke im Umbruch“
#3 „Wahlkampf ohne Partei. Geht das?“
#4 „Kämpfe um Wassergerechtigkeit in der französischen Klimabewegung – (k)ein Erfolgsrezept?“
#5 „Antifaschismus in der Krise“
#6 „Soziale Bewegungen und linke Parteien“ (Podcast)
#7.1 „Internationalismus entlang der Pipeline organisieren – Teil 1“
#7.2 „Internationalismus entlang der Pipeline organisieren – Teil 2“
Titelbild: Hintergrundfoto Luke Dean Weymark on Unsplash | Montage mosaik
…weitere Bildquellen bei den jeweiligen Artikeln.