Eine Gewerkschaftsmitgliedschaft ist ungefähr so politisch wie eine Haushaltsversicherung. Das sagen die Organisator:innen einer Tagung zu „linker Betriebsarbeit“, die diese Woche in Wien stattfindet. mosaik traf sich zum Gespräch über Sozialpartnerschaft, Selbstorganisierung und Weltuntergang.
Linke Betriebsarbeit – was hat es damit auf sich?
In den 1970er und 1980er Jahren gab es in vielen europäischen Ländern linke Strukturen in den Betrieben. Sie organisierten Streiks oder Besetzungen und trieben die offiziellen Gewerkschaften vor sich her. Mit der neoliberalen Offensive der 1990er Jahre ist viel davon weggebrochen. Doch inzwischen gibt es Anzeichen für einen Aufschwung.
In Florenz zum Beispiel wehrt sich das linksradikale Colletivo di Fabrica gegen die Schließung einer ehemaligen Autozulieferfabrik. Die kämpfen dort gemeinsam mit antifaschistischen und feministischen Gruppen für den ökosozialen Umbau der Fabrik. Und auch in Österreich gibt es linke Organisierung in den Betrieben: Im Bildungs- und Sozialbereich existieren viele selbst-organisierte Strukturen. Oder „Wir fahren Gemeinsam‟, das ist ein Bündnis zwischen Klima-Aktivist:innen und Gewerkschafter:innen. Ebenso bietet der Arbeitskampf der Essenslieferant:innen Anknüpfungspunkte für linke Organisierung. Wenn wir den drohenden Weltkatastrophen begegnen wollen, brauchen wir all das – und noch viel mehr!
Die Tagung findet in Österreich statt, da ist die Sozialpartnerschaft ganz groß.
Ja, die modernisierte Form der Sozialpartnerschaft hat Österreich immer noch fest im Griff. Das bedeutet, es gibt einen etablierten Klassenkompromiss, dessen gewerkschaftlich-institutioneller Apparat in erster Linie um den eigenen Machterhalt kämpft. Wir haben Gewerkschaften mit einem im internationalen Vergleich spektakulären Organisierungsgrad, die ihren Mitgliedern aber kaum Beteiligung oder gar Mitbestimmung erlauben. In Österreich Gewerkschaftsmitglied zu sein, ist ungefähr so politisch, wie eine Versicherung für das eigene Haus, Fahrrad oder Auto abzuschließen.
Die Gewerkschaft achtet penibel darauf, dass es kaum Streiks gibt, und gibt sich selbst in Zeiten galoppierender Teuerung mit moderaten Lohnerhöhungen zufrieden, um den Frieden im Betrieb aufrecht zu erhalten. Aber jede:r weiß, dass auf unsere Kosten Reiche reicher werden, während unser Lebensstandard im Durchschnitt sinkt. Viele Kolleg:innen würden gerne streiken und haben das Gefühl, sie können oder dürfen nicht.
Es ist ja nicht so, dass die Sozialpartnerschaft den Klassenkonflikt aufhebt – sie verwaltet ihn nur auf eine bestimmte Art. Arbeiterkammer, ÖGB-Gewerkschaften und Betriebsräte spielen darin eine Rolle, genauso wie die österreichischen Regierungen, die Wirtschaftskammer und Arbeitgeberverbände. Linke Betriebsarbeit muss versuchen, diesen Zustand zu überwinden. Wie das geschehen kann, darüber wollen wir auf unserer Tagung sprechen.
Und für dieses Überwinden braucht es Selbstorganisierung und Streikbereitschaft?
Der Kapitalismus braucht uns, er kann nicht ohne uns existieren. Also haben wir auch die Macht, dieses irre Karussell Richtung Weltuntergang zu unterbrechen – indem wir unsere Arbeitsplätze übernehmen, uns selbst verwalten und nur noch das produzieren, was wir brauchen. Die Stellvertreter:innenpolitik der Sozialpartnerschaft nutzt diese Möglichkeiten jedoch nicht, sie verhindert sie sogar. Wir brauchen stattdessen mehr Momente der Selbstermächtigung, als Kolleg:innen und als Klasse.
Wenn eine Belegschaft, egal in welchem Sektor, ihre Konkurrenz untereinander überwindet, zusammenkommt, sich organisiert, Forderungen erhebt und für diese Forderungen auch kämpft kann das auch ein sehr emanzipatorischer und selbstorganisierter Prozess sein – egal ob es zum Streik kommt oder nicht. Und wenn sie in diesem Zuge auch einen Betriebsrat wählt, der diesen Prozessen und Forderungen verpflichtet ist, kann das strategisch sinnvoll sein.
Auf der Tagung werden einige Kolleg:innen von solchen Prozessen erzählen. Einige von ihnen sind auch Betriebsrät:innen. Im Gegensatz zur offiziellen ÖGB-Politik geben wir uns nicht mit der gesetzlich vorgesehenen Stellvertreter:innenrolle zufrieden. Wir wollen gemeinsam mit unseren Kolleg:innen aktiv werden, für den Kampf um die ganze Bäckerei, nicht nur einen Teil des Kuchens.
Ihr deckt in eurer Tagung einen breiten Arbeitsbegriff ab. Wo hört der Betrieb denn jetzt auf?
Es hat im Kapitalismus System, dass ein Teil der Arbeiter:innenklasse gehetzt, gestresst und ausgebeutet wird, während ein anderer Teil, vorübergehend oder langfristig, keine Arbeit findet und dann vielleicht auch noch die Wohnung verliert. Hinzu kommt: Etwa die Hälfte der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in Österreich ist unbezahlt, passiert im ‚Privaten‘. Ein Großteil davon wird von Frauen erbracht.
Gleichzeitig werden im Kapitalismus Arbeiten bezahlt, die nur im Kontext dieser auf Profit und Ausbeutung basierenden Gesellschaft nützlich sind: Marketing, Banken, Versicherungen, Securities, Polizei, Militär und viele mehr. Wer bräuchte all das, wenn es um ein möglichst gutes Leben für alle Menschen ginge?
Betriebliche Organisierung ist wichtig. Aber wenn es uns um die Zukunft einer lebenswerten Gesellschaft geht, halten wir es mit den Überlegungen aus dem feministischen Streik: Es geht um „das Ganze der Arbeit“. Wir denken: Die Ausbeutung bezahlter und unbezahlten Arbeit sowie der Natur ist der Antrieb unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems und deshalb ist die Organisierung (über)betrieblichen Widerstands ein zentraler Hebel zu seiner Überwindung.
Leute, die die Tagung besucht haben, mit was werden die rausgehen?
Wir wollen in einem angenehmen und solidarischen Rahmen einige Menschen zusammenbringen, die sich an ihren Arbeitsplätzen, aber auch darüber hinaus organisieren. Und wir wollen jene einladen, die vielleicht nach Inspirationen suchen.
Wir möchten voneinander lernen und über Strategien diskutieren. Und wir möchten damit einen kleinen Beitrag zum Aufbau klassenkämpferischer Selbstorganisation leisten. Wir denken, dass es die brauchen wird, wenn wir erfolgreich gegen die wachsende faschistische Bedrohung, den Klimakollaps und für eine lebenswerte Zukunft kämpfen wollen.
Die Tagung „linke Betriebsarbeit“ findet von kommenden Freitag bis Sonntag statt (11.-13.10.2024), im Kulturzentrum 4lthangrund (Augasse 2-6, 1090 Wien). Anmelden kann man sich hier.
Foto: Betriebsrat Bildung im Mittelpunkt