The Lincoln Project: Wie US-Rechte gegen Trump mobilisieren

Die Videos von „The Lincoln Project“ erreichen Millionen Menschen im Internet. Die Plattform macht gegen Donald Trump mobil – und will vor allem Republikaner*innen erreichen. Dahinter stecken berüchtigte Spindoktoren, Kriegstreiber und beleidigte Rechte, schreibt Tamara Kamatović.

Das Coronavirus wütet in den USA. Monatelang hatte der Präsident die Gefahr der Pandemie klein geredet, sie mit der Grippe verglichen und nötige Maßnahmen ins Lächerliche gezogen. Jetzt sind Krankenhäuser, Leichenhallen und Bestatter landesweit überlastet.

Mit allen Mitteln versucht Trump nun, sich dennoch als Staatsmann zu gebärden. Für seine Rede anlässlich des US-Unabhängigkeitstages am 4. Juli musste deswegen der Mount Rushmore als Kulisse dienen. Dort sind mit George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln gleich vier „große Präsidenten“ in Stein gemeißelt. Es ist vor allem Lincoln, über den Trump an diesem Tag spricht. Dieser – der „erste republikanische Präsident“ – habe „das Land durch seine dunkelsten Stunden geführt“ und „in dem blutigsten Krieg dem Land als Oberbefehlshaber gedient“.

Trumps Ziel besteht darin, mit Hilfe von „Amerikas großen Männern“ eine kontinuierliche Geschichte des Fortschritts zu erzählen. Er will dadurch hart erkämpfte Errungenschaften für sich reklamieren und vereinnahmen. Aber er ist nicht der einzige, der die historische Figur Lincoln verwendet und zitiert. Das sieht man vor allem an „The Lincoln Project“, einem neu gegründeten Super-PAC, das Anti-Trump-Wahlwerbung macht.

Virale Videos von The Lincoln Project

Nach US-Wahlrecht sind Super-PACs Organisationen, die unbegrenzt Geld für Wahlkampagnen ausgeben können – solange keine „offizielle Koordination“ mit den Kandidat*innen selbst stattfindet. In diesem Sinne möchte The Lincoln Project alles tun, um eine zweite Amtszeit für Trump zu verhindern. Merkwürdig daran ist, dass die Gründer*innen Republikaner*innen sind. Ihre Agenda erinnert an eine Anklage vor einem Militärtribunal. Sie wollen diejenigen, „die ihren Eid auf die Verfassung brechen und andere vor Amerikanern bevorzugen, zur Verantwortung ziehen“.

In den letzten Wochen entfesselten die viralen Kampagnenvideos von The Lincoln Project einen Sturm und brachten erschöpften Demokrat*innen neue Hoffnung, die Trump besiegen, sich dabei aber nicht schmutzig machen und schon gar nicht zu weit nach links rücken wollen.

Republikaner rächen sich an Trump

Die Berührungsängste mit Schmutz haben die Personen hinter The Lincoln Project längst überwunden. Dabei ist unter anderem Rick Wilson, ein „erfahrener republikanischer politischer Berater“. Wilson war 2002 für ein berüchtigtes Video verantwortlich, das den demokratischen Senator Max Cleland seine Wiederwahl kostete. Einer der Vorwürfe aus Rick Wilsons Giftküche war, dass Cleland Terroristen gegenüber „zu sanft“ sei und er es gewagt habe, gegen mache Vorschläge des damaligen Präsidenten Bush zu stimmen. Ein weiteres prominentes Mitglied ist George Conway, ein Anwalt, der einmal auf einer Kandidatenliste Trumps für den Posten des Generalstaatsanwalts stand und dessen Frau Kellyanne Conway Trumps engste politische Beraterin ist.

Ein weiteres Mitglied ist Ben Howe. Seinem Rachefeldzug gegen Trump widmete die Vanity Fair einen ganzen Artikel. Howe erklärt, dass er in seinen Videos eine doppelte Strategie verfolgt. Auf der einen Seite will er Trump persönlich verärgern. Andererseits möchte er unentschlossene Republikaner*innen, die nie demokratisch wählen würden, davon überzeugen, das doch zu tun. Howe stammt ursprünglich aus der Tea Party, einem Anti-Obama-Bündnis von Erzkonservativen und radikalen Wirtschaftsliberalen.

Kitschiges Pathos, reaktionäre Vision

Die Videos des Lincoln Project haben Titel, die John Grisham-Romanen entnommen sein könnten: „Betrayed“, „Bounty“, „Strong“, „Truth“.  Das bis dato erfolgreichste Video „Mourning in America“ (Trauer in Amerika) kritisiert Trumps Corona-Politik.

Die Videos schwanken zwischen kitschigem Pathos und martialischer Empörung. Dabei verbindet sie ein Thema: Trump sei ein schwacher Führer. So behauptet der ehemalige Elite-Soldat Dan Barkhuff, dass „jeder Oberbefehlshaber mit Rückgrat die Scheiße aus den Russen prügeln würde“. Andere Videos zeigen Trump und Putin, wie sie angeblich gemeinsam den Tod von amerikanischen Soldat*innen in Afghanistan planen. Das Video „Chyna“ erklärt, dass Trump das Schoßhündchen Chinas sei und dass das chinesische Militär vom wirtschaftlichen Abstieg der USA profitiere.

Mehr Reagan als Lincoln

In Wirklichkeit ist der Name des Super-PACs eine Mogelpackung. Der eigentliche geistige Vater der Gruppe ist nicht Abraham Lincoln, sondern Ronald Reagan. Als Präsident war er in den 1980er Jahren für die neoliberale Wende in den USA verantwortlich. Das Video „How a President Leads“ (siehe oben) zeichnet eine Kontinuität von Reagan bis Obama. Sie werden als Staatsmänner dargestellt, die ihr Land erfolgreich durch Krisen führen. Nun breche Trump mit dieser Tradition, er sei der einzige Präsident, der selbst Katastrophen verursache.

Das Video ignoriert dabei beispielsweise den völkerrechtswidrigen Krieg von George Bush im Irak, die Zerschlagung der Gewerkschaften durch Ronald Reagan und den Drohnenkrieg Barack Obamas, der hunderte Zivilist*innen das Leben kostete. Dennoch wird das Lincoln Project auch von der demokratischen Partei unterstützt. Knapp 17 Millionen US-Dollar hat sie bereits dafür gespendet.

Zwei falsche Lincolns

Doch eines verbindet Donald Trump und das Lincoln Project: Beide missbrauchen Abraham Lincoln und den amerikanischen Bürgerkrieg als Projektionsfläche aus der Vergangenheit. Die damaligen Brüche, die den aktuellen Zustand der Vereinigten Staaten verursacht haben, interessieren sie nicht. Lincoln wird zu einem Label reduziert, das sowohl für Trumps Partei wie für die demokratische Partei selbstverständlich ist. Beide Parteien sind in dem Sinne falsche Lincolns, die im Gegensatz zu ihrem Vorbild weder eine Vision des Zusammenlebens noch eine Verarbeitung der Vergangenheit zulassen.

Auch die beiden Flügel des Lincoln Projekts – die beleidigten Republikaner*innen, die das Projekt gegründet haben sowie die kapitalfreundlichen Demokrat*innen, die es jetzt finanzieren – eint nur ein reaktionäres Bild eines vergangenen Heilbringers. Auch wenn es aus linker Perspektive wichtig ist, dass Trump in November verliert: Es sollte allen zu denken geben, dass die offizielle Opposition offenbar eine Weltanschauung vertritt, die Trumps eigener so stark ähnelt.

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