Der Politiwissenschafter Thomas Schmidinger richtet sich nach der rotblauen Regierungsbildung im Burgenland mit einem offenen Brief an seine sozialdemokratischen FreundInnen. Er fordet sie dazu auf, entweder den Kampf um die SPÖ jetzt entschlossen zu führen und zu gewinnen, oder gemeinsam mit anderen eine neue plurale Linke aufzubauen.
Liebe sozialdemokratische FreundInnen,
Ich nehme Eure Empörung über Eure eigene Partei ernst. Ja, in Wien mögen manche aus Panik vor den Auswirkungen auf die Landtagswahlen sich von der burgenländischen Koalition absetzen, aber ansonsten gibt es Euch noch, die ehrlichen SozialdemokratInnen. Die, die immer geglaubt hatten, innerhalb der Partei etwas verändern zu können und deren Wut auf die eigene Partei ich sehr ernst nehme. Ich war nie Sozialdemokrat, ich habe Eure Arbeit aber respektiert und für wichtig gehalten. Ihr habt nun eine große Verantwortung! Bitte beschränkt Euch nicht darauf, zu schimpfen und still und heimlich eineR nach dem/der anderen frustriert die Partei individuell zu verlassen. Organisiert Euch! In einer klar erkennbaren und gut organisierten Fraktion und führt Euren Kampf. Wenn Ihr glaubt, dass das noch möglich ist, dann sorgt dafür, dass die SPÖ-Burgenland und die vielen anderen FPÖ-affinen Teile Eurer Partei ausgeschlossen werden und die farblose und ideologiefreie Parteiführung gestürzt und durch Personen ersetzt wird, die ein klares antifaschistisches und sozialdemokratisches Profil haben. Und wenn Euch das nicht gelingt, was ich leider befürchte, dann verlasst gemeinsam als Fraktion das sinkende Schiff und gründet eine neue sozialdemokratische Partei.
Ein Gegenmodell zur Faschisierung des Landes
Eine solche wäre von Anfang an im Nationalrat und einigen Landtagen vertreten und könnte sich gemeinsam mit Wien anders, der KPÖ, SLP, Mosaik – Politik neu zusammensetzen und vielen unabhängigen Linken zu einer neuen pluralen Linken formieren. Eine solche Linke darf nicht nur eine Ansammlung verschiedener mehr oder weniger antiquierter marxistischer Kleingruppen sein. Sie muss stattdessen durch zeitgemäße Kritik und Analyse der bestehenden Verhältnisse auch parteiunabhängige progressive Personen unterschiedlicher Herkunft ansprechen und sich nicht nur auf ein akademisch-bildungsbürgerliches und mehrheitsösterreichisches Milieu beschränken. Das wäre ein Gegenmodell zur Faschisierung dieses Landes. Die Demokratie in Österreich benötigt so eine politische Kraft, wenn sie gegen die neuen FaschistInnen verteidigt werden soll!
Die Grünen können das was die SPÖ verliert nicht wett machen. Es ist zwar schön, dass es eine linksliberale pro-ökologische Partei des Bildungsbürgertums gibt und diese wäre wohl auch ein bevorzugter zukünftiger Koalitionspartner für eine solche linke Partei, allerdings sprechen die Grünen schon allein soziokulturell völlig andere Schichten in der Bevölkerung an, als die SPÖ. Ein ersatzloser Zerfall bzw. Niedergang der SPÖ würde bedeuten, dass wir in Österreich auf lange Zeit hinweg Zweidrittelmehrheiten rechts der Mitte einzementieren würden und die extreme Rechte dabei möglicherweise sogar die stärkste Kraft wäre.
Rotblau schlimmer als Schwarzblau
Eine rotblaue oder blaurote Regierung hätte heute weitaus schlimmere Folgen als die erste Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000. Die SPÖ hat heute leider viel weniger Substanz als die ÖVP im Jahr 2000 und die FPÖ ist auch eine andere: Sie hat sich unter Strache radikalisiert und besteht heute nur noch aus deutschnationalen Burschenschaftlern, Nazis und antimuslimischen RechtsextremistInnenen und RechtspopulistInnen. Da gibt es keine schleimigen – aber politisch vergleichsweise harmlosen – OpportunistInnen, AufsteigerInnen und Buberln mehr. Diese Partei weiß im Gegensatz zur SPÖ genau was sie will.
Und schließlich wäre eine Regierungsbeteiligung der FPÖ heute kein Sonderweg mehr. In Ungarn regieren Rechtsextreme. Vielleicht bis dahin in Frankreich auch. Sollte es Deutschland gelingen in Griechenland die SYRIZA Regierung zum Scheitern zu bringen, wartet auch dort schon die Goldene Morgenröte auf ihre Stunde. Wir sind heute nach Jahren der Wirtschaftskrise mit einer kränkelnden Linken in den kapitalistischen Zentren an einem Punkt an dem Faschismus wieder denkbar wird. Ihr, meine lieben sozialdemokratischen FreundInnen innerhalb der SPÖ, seid fähig dem etwas entgegenzusetzen. Ihr müsst diesen Kampf nur jetzt führen!
Wenn Ihr glaubt, dass es in der Partei möglich ist ihn zu führen, dann führt ihn, allerdings bitte organisiert und mit einer Perspektive, das sinkende Schiff auch zu verlassen und etwas neues zu gründen. Die heutige SPÖ wird ohnehin untergehen und dann hat sie auch keine Posten mehr zu verteilen. Ihr werdet also bald nichts mehr zu verlieren haben als…
Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und im MA Lehrgang für Interkulturelle Soziale Arbeit an der FH Vorarlberg. Er ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie, Vorstandsmitglied der in Kurdistan tätigen Hilfsorganisation LeEZA und hat im Herbst das Buch „Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan“ veröffentlicht.