Anfang Dezember feierte die linke Buchhandlung „Librería Utopía“ in Wien ihren sechsten Geburtstag. Im Gespräch reden die BetreiberInnen über ökonomische Herausforderungen, den fünfzehnten Bezirk und warum sie mehr Sachbücher als Romane verkaufen.
Mosaik-Blog: Alles Gute zum Geburtstag, das vorweg. Als ihr vor sechs Jahren die „Libería Utopía“ eröffnet habt, habt ihr daran geglaubt, dass es euch so lange geben wird?
Stefanie Klamuth: Wir waren optimistischer als unser Umfeld. Die Leute haben die Idee alle toll gefunden, aber sie haben gemeint, dass das finanzielle Risiko viel zu groß ist. Aber wir wollten es probieren. Also nein, überrascht bin ich nicht.
Pablo Hörtner: Viele Buchhandlungen finanzieren sich über große Bestellungen von Schulen. Die müssen ihre Lehrbücher alle bei Buchhandlungen bestellen. Das ist irre lukrativ. So einen Deal haben wir nicht. Dass es uns trotzdem gibt, ist nicht selbstverständlich. Aber man muss auch dazu sagen, dass es uns ohne Lohnarbeit, die wir daneben machen, wahrscheinlich nicht mehr geben würde.
Und trotzdem macht ihr weiter. Was treibt euch an?
Stefanie: Als wir eröffnet haben, haben wir das aus einer Notwendigkeit heraus gemacht. Zumindest haben wir es als Notwendigkeit betrachtet. Es gab damals keine coole linke Buchhandlung, in der man Veranstaltungen machen kann und es alle diese Verlage findet, die es in den großen Buchhandlungen eben nicht gibt. Außerdem wollten wir unseren Raum auch immer für Gruppen zur Verfügung stellen, die sich sonst in Kaffeehäusern treffen müssten. Nicht nur zu den Öffnungszeiten, sondern auch außerhalb. Dass das so gut angenommen wird, treibt mich an. Wir müssen regelmäßig Veranstaltungsanfragen ablehnen, weil wir ausgebucht sind.
Pablo: Das zeigt eben auch, dass es wenig solcher Räume wie die Librería gibt. Auch die Aufbruch-Gruppe im Fünfzehnten hat sich für zwei Jahre bei uns getroffen.
Heißt das, zugespitzt formuliert, bei euch trifft sich nur die linke Szene?
Pablo: Nein, wir machen auch Veranstaltungen, die ganz andere Leute anziehen. Erst letzte Woche hat der österreichische Autor Andreas Pittler aus seinem neuesten Krimi bei uns gelesen, da kommen dann auch einfach Menschen aus der Nachbarschaft. Es ist kulturell im Fünfzehnten einfach nicht so viel los. In der Hinsicht haben wir, denke ich, auch für die Leute die hier wohnen eine Lücke geschlossen.
Stefanie: Ich kann mich auch noch sehr gut an unsere erste Veranstaltung überhaupt erinnern. Das war am 2. Dezember 2013, da war Ilija Trojanow zu Gast. Es ging um Widerstand. Das Leporello auf Ö1 hat darauf hingewiesen. Da haben wir die Blase echt total gesprengt. Da waren von Autonomen bis zu feinen Damen im Pelzmantel wirklich alle da. Da ist dann auch eine extrem spannende Diskussion entstanden, weil Trojanow auf einmal von links kritisiert worden ist – und vielen seine Thesen nicht weit genug gingen.
Mein persönliches Highlight war aber als die englische Feministin Laurie Penny 2016 bei uns war. Ich habe mich nicht einmal zu träumen getraut, dass die einmal zu uns kommen würde, aber dann war sie wirklich da. Sie ist ja wirklich weltbekannt. Für die Buchpräsentation war die Buchhandlung auch viel zu klein, aber sie war am Nachmittag für einen Workshop bei uns. Es hat mich total begeistert, wie unkompliziert und umgänglich sie war. Ich war davor schon Fan, aber das hat mich wirklich umgehaut. Am Abend hat sie dann auf der TU aus ihrem Buch „Babys machen & andere Storys“gelesen, das habe ich moderiert. Und die Leute haben uns den Büchertisch, den wir da gehabt haben, fast eingerannt, weil alle das Buch kaufen wollen.
Ihr habt euch auf Sachbücher spezialisiert, Belletristik habt ihr sehr viel weniger. Wieso?
Stefanie: Wir wollen die Leute gut beraten können. Das fällt uns natürlich bei den Büchern leichter, die wir selbst lesen. Und das sind eben mehr Sachbücher. Außerdem haben wir schon auch Belletristik, aber die hat einen politischen Anspruch.
Pablo: Das wollte ich gerade sagen. Die ganz klassischen Romane kaufen die Leute wo anders, dafür kommen sie nicht zu uns.
Woher kam eigentlich der Impuls, eine Buchhandlung zu eröffnen?
Pablo: Es gab nach der Krise in Spanien und Italien eine enorme Entwicklung in dieser Hinsicht. Dort haben viele Arbeitslose Geschäfte aufgemacht, die aber weit mehr waren als das. Das waren im Regelfall Treffpunkte für Stadtteile, die kollektiv verwaltet wurden. Das hat uns sehr beeindruckt. In Italien sind da Centri Sociali wieder belebt worden, in Spanien hat die Indignados-Bewegung sehr viele in diese Richtung gemacht. Und das wollten wir nach Wien bringen.
Stefanie: Wir wollen mehr als eine Buchhandlung sein. Sicher ist lesen wichtig und leiwand und das sollen die Leute hier tun. Aber mindestens genauso wichtig ist, dass die Librería ein politischer Raum ist.
Kann auch aus beiden noch ein Kollektiv werden?
Pablo: Nein, das wollte ich gerade sagen. Zu zweit werden wir das nicht schaffen. Wir brauchen mehr Leute, die sich einbringen und die das mit uns gemeinsam machen wollen.
Stefanie: Ja, da ist noch viel Luft nach oben. Wenn linke Leute hier im Bezirk Politik machen wollen und einen Raum brauchen, können sie das bei uns machen. Diese Zusammenarbeit ist uns enorm wichtig und wir verbinden sie auch mit gewissen Vorstellungen: Solidarische Beteiligung an der Miete, der politische Rahmen der Geschichte, der Umgang miteinander. Wenn sich das jemand vorstellen kann, meldet uns bitte gerne bei uns!
Pablo: Manchmal sind uns in der Hinsicht auch schon Dinge gelungen. Gemeinsam mit der Aufbruch-Gruppe haben wir zwei Straßenfeste veranstaltet. Wir haben viele Ideen und manchmal begeistern wir uns selbst damit. Aber oft merkt man dann, dass man sie zu zweit nicht umsetzen kann.
Wir haben sehr viel über eure Veranstaltungen geredet. Linke Podiumsdiskussionen sind berüchtigt dafür, in endlosen Debatten zu enden. Ist das bei euch auch so?
Pablo: Nein, im Regelfall stellen wir eigentlich die kritischsten Fragen. (lacht)
Stefanie: Mich überrascht es oft, wie gesittet es bei uns abgeht. Wir machen regelmäßig Veranstaltung zu kontroversiellen Themen, aber eskaliert ist es noch nie. Und Diskussionen gehören auch dazu. Wir wollen auch nicht nur die Bücher vorstellen lassen, sondern es geht uns immer auch um den politischen Kontext. Vor Kurzem war Max Zirngast mit seinem neuen Buch „Türkei am Scheideweg“ bei uns. Darin geht es um innertürkische Konflikte und die politische Situation in der Türkei. Aber in der Woche vor der Veranstaltung ist die Türkei dann in Rojava einmarschiert. Da war es für uns völlig klar, dass wir jetzt nicht groß über das Buch, sondern eher darüber reden werden.
Wenn wir schon bei Kontroversen sind: Was hat bei euch politisch Platz und was nicht?
Pablo: Die Frage haben wir uns so noch nie stellen müssen. Aber wir sind da wirklich relativ offen. Wir hatten auch schon einmal eine antideutsche Veranstaltung.
Stefanie: Sogar mit der SPÖ haben wir schon einmal etwas zusammen gemacht. Es war in dem Fall auch keine politische Veranstaltung, sondern ein Liederabend mit Chris Peterka, der eigentlich bei der Partei der Arbeit ist. Es kommt eben immer auf den Rahmen an.
Geschenkideen: Stefanie empfiehlt „Hexenjagd“ von Silvia Federici (unrast, 2019), Pablo „Die Metaphern des Karl Marx“ (VSA, 2019).
Interview: Moritz Ablinger