Kurz und Pilz: Bewegung geht anders

Im Wahlkampf ist es trendig, sich „Bewegung“ zu nennen. Doch was Kurz, Pilz und Co. machen, ist ein Missbrauch des Begriffs, meint Melanie Pichler. Sie nützen schlicht die berechtigte Wut auf die Parteien, um alte Politik in neuem Gewand zu verkaufen.

Peter Pilz macht jetzt eine Bewegung, Sebastian Kurz auch, die Neos schon lange. In einem für die Medien inszenierten Schauspiel verhandeln alte und junge Männer, wer auf welchen Listenplätzen für die Nationalratswahl am 15. Oktober kandidieren darf. Den Neos ist mit Irmgard Griss als Listenzweiter ein nicht mehr ganz so überraschender Coup gelungen. Sebastian Kurz‘ „Neue“ Volkspartei setzt mit Efgani Dönmez‘ „Islamkritik“ auf Altbewährtes. Und bei Peter Pilz ist sowieso alles ganz geheim. Können wir uns daher erwarten, dass nun auch die politischen Verhältnisse im Land in Bewegung kommen? Nein, denn Bewegungen sind etwas ganz anderes.

Die Themen für den Wahlkampf werden von oben vorgegeben. PR-Berater_innen zaubern im stillen Kämmerlein Kampagnen aus dem Hut. Das mag für die Personen an der Spitze praktisch sein. Und möglicherweise sind sie damit bei den nächsten Wahlen sogar erfolgreich. Mit der Logik von Bewegungen und Politik von unten hat es aber nichts zu tun.

Bewegung kommt von unten

Bewegungen werden nicht von jungen oder alten Männern ausgerufen, die sich an die Spitze stellen und von oben dirigieren. Bewegungen entstehen meist spontan, auch wenn ihnen oft jahrelange Basisarbeit von unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Gruppen vorausgeht. Sie formieren sich um konkrete Ereignisse oder Themen und benutzen den Protest, um auf sich aufmerksam zu machen. Bewegungen sind vielfältig und wenig hierarchisch aufgebaut. Natürlich haben auch Bewegungen Sprecher_innen. Diese kommen aber aus der Bewegung und rufen nicht eindimensional eine Bewegung ins Leben. In aller Regel sind sie auch keine Berufspolitiker_innen.

Bekannte österreichische Beispiele für Bewegungen sind die Besetzung der Hainburger Au, die sogenannten Donnerstagsdemonstrationen gegen Schwarz-Blau, die Studierendenbewegung unibrennt oder aktuell die Bewegung gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA und die Proteste gegen das Murkraftwerk in Graz.

Die herrschende Ordnung in Frage stellen

Bewegungen entfachen sich an aktuellen gesellschaftlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen. Im Kleinen probieren sie alternative Lebensweisen und Politikformen aus. Sie entstehen anlassbezogen und „verschwinden“ oft auch relativ schnell wieder. Besetzungen, wie jene der Votivkirche 2012/13 in Wien durch die Flüchtlingsbewegung oder des Gezi-Parks in Istanbul im selben Jahr zeigen, dass soziale Bewegungen Höhepunkte haben und auch schnell wieder abebben – oder brutal geräumt werden.

In Bewegungen aktivieren sich Menschen, Politik selbst zu machen. Die schlichte Vertretung von Interessen durch Politiker_innen wird abgelehnt. Das zeigt: Bewegungen legen sich mit der herrschenden Ordnung an. Um diese in Frage zu stellen nutzen sie Mittel des zivilen Ungehorsams oder andere Formen des kollektiven Widerstands. Das erfordert oft eine mediale Inszenierung. Diese sieht aber anders aus, als wenn Kurz auf der Terrasse der Albertina im ersten Wiener Gemeindebezirk eine neue Kandidatin präsentiert.

Bloße Inszenierung

Bewegungen symbolisieren das Gegenteil von Parteien. Die Inszenierungen von Kurz, Pilz und Co. nutzen also bewusst die Wut auf die etablierten Parteien, um sich als neu und dynamisch zu präsentieren. In ihrem Fokus stehen aber Wähler_innen, die repräsentiert und geführt werden sollen. Und nicht aktive politische Menschen, die ihr Leben und die Gesellschaft durch ihre politische Praxis selbstbestimmt verändern.

Bewegungen können durchaus in einem solidarischen Verhältnis zu Parteien stehen und umgekehrt. Das gilt zum Beispiel dann, wenn Parteien sich als parlamentarische Vertretung für Anliegen aus Bewegungen verstehen, diese aber nicht vereinnahmen. Wie das gehen kann, zeigt beispielsweise die Plattform Barcelona en Comú. Die zivilgesellschaftliche Plattform, die seit 2015 in Barcelona regiert, hat sich aus der Bewegung gegen Zwangsräumungen (PAH) im Zuge der Wirtschaftskrise in Spanien entwickelt. Die derzeitige Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, war früher Sprecherin der PAH. Die Erfahrungen aus der Bewegung werden zum Beispiel durch neue Formen der Entscheidungsfindung weitergetragen und verändern die Logik der Regierungsarbeit.

Auch die für viele unerwarteten Zugewinne für Jeremy Corbyns Labour Party in Großbritannien und der Hype um Bernie Sanders in den USA sind Beispiele für Parteien, die sich für Bewegungen öffnen. Oder im Fall von Sanders eine etablierte Partei herausfordern. Das ist natürlich nichts grundsätzlich Neues. Auch die sozialdemokratischen Parteien sind aus der Arbeiterbewegung und die Grünen aus Umweltbewegungen hervorgegangen.

Billiger Versuch

Bei aller Vielfalt von Bewegungen ist ihnen gemeinsam, dass sie durch viele Menschen getragen werden, die die herrschenden Verhältnisse zum Tanzen bringen wollen. Und nicht von BerufspolitikerInnen, die im Alleingang Bewegungen ausrufen, bei denen es dann doch hauptsächlich um die Besetzung der Listenplätze und die nächste Wahl geht. Denn das ist letztlich nur ein billiger Versuch, autoritäre Politikformen in neuem Gewand zu präsentieren.

Melanie Pichler ist mosaik-Redakteurin und Politikwissenschafterin mit Schwerpunkt auf (internationale) Umwelt- und Ressourcenpolitik in Wien.

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