Kurz, Kern und die Diktatoren

Österreichische PolitikerInnen versuchen gerne, sich über eine aktive Abschottungspolitik zu profilieren. Viel wird über Zäune und Mauern geredet. Doch so provinziell wie die heimische Außenpolitik scheint, ist sie bei weitem nicht. Das zeigen die jüngsten Reisen von Sebastian Kurz und Christian Kern in den Nahen und Mittleren Osten. Tyma Kraitt und Ramy Hamdy argumentieren, weshalb beide mehr verbindet als trennt.

Fast täglich stechen verzweifelte Menschen von der Küste Libyens in See, in der Hoffnung europäisches Festland zu erreichen. Bis zu einer Million Flüchtlinge sollen im nordafrikanischen Bürgerkriegsland festsitzen. Sie gilt es aufzuhalten – zumindest wenn es nach Sebastian Kurz und den vielen anderen Rechtsauslegern des Landes geht.

Kurze Selbstinszenierung in Nordafrika

Am 2. Mai begab sich Österreichs Außenminister daher auf einen Kurztrip nach Tripolis, Libyens Hauptstadt, um einmal mehr die Schließung der Mittelmeerroute medienwirksam zu fordern. Sieben Stunden dauerten die Gespräche mit Fayez Al-Sarradsch, dem Regierungschef der sogenannten Einheitsregierung Libyens. Ihr Einfluss ist überschaubar und erstreckt sich nicht einmal über den ganzen Küstenstreifen am Mittelmeer. Denn die eigentlichen Player sind zwei weitere rivalisierende Regierungen mit Sitz in Tripolis und Tobruk. Alle drei Akteure stützen ihre Macht auf unzählige Milizen, von denen sich viele über Schlepperei und Schmuggel finanzieren und für grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung und den Flüchtlingen verantwortlich sind. Das sind freilich nicht die besten Voraussetzungen, um wie Kurz großspurig eine bessere Kontrolle der Küste, ein schärferes Vorgehen gegen das Schlepperwesen und Anhaltelager zu fordern. Haben wir es also nur mit einem Spektakel zu tun?

Erdöl und Profite

Die international anerkannte Einheitsregierung hat gegenüber ihren Kontrahenten den Vorteil, von zwei bedeutenden Institutionen unterstützt zu werden: der National Oil Corporation und die lybische Zentralbank – hier fließt der Profit aus der Erdölindustrie hinein. Kein Wunder also, dass Vertreter aus der österreichischen Wirtschaft Teil der Delegation in Tripolis waren – darunter OMV-Chef Rainer Seele. Die OMV produziert heuer zwar nur 10.000 Fass pro Tag, die Verhandlungen in der libyschen Hauptstadt dürften den Konzernchef aber optimistisch gestimmt haben. Für das kommende Jahr ist bereits eine Erhöhung der Ölproduktion auf 40.000 Fass pro Tag geplant.

Während Menschen aufgehalten werden sollen, darf das Öl ungehindert nach Europa fließen. Zynische Profitlogik und die Zusammenarbeit mit autoritären Akteuren im Nahen Osten sind jedoch keine Eigenheit der ÖVP. Auch die SPÖ kann hier eine unrühmliche Tradition vorweisen, die Christian Kern mit seinen jüngsten Staatsbesuchen in Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten wiederbelebt hat.

Fragwürdige Partnersuche am Nil

Ende Mai traf Bundeskanzler Kern den ägyptischen Präsidenten Fatah Al-Sisi in Kairo. Auf einer Pressekonferenz bezog sich Kern direkt auf den kurz zuvor stattgefundenen Anschlag in Manchester und bemerkte, dass Ägypten im Antiterrorkampf eine wichtige Front sei. “Ägypten ist die Führungsmacht in der Region. (…) Wir wissen, dass die Region für unsere Wirtschafts-, Sicherheits- und auch Flüchtlingspolitik von entscheidender Bedeutung ist und dass wir ohne Stabilität in der Region die Auswirkungen spüren würden.”

Der ägyptische Staat führt derzeit einen verlustreichen Kleinkrieg gegen den IS im Norden der Halbinsel Sinai. Regelmäßige kommt es zu Anschlägen auf Sicherheitskräfte und  die koptische Gemeinde des Landes. Dennoch ist Kairos Kampf gegen den Terror kritisch zu beleuchten. Einerseits ist es das Regime selbst, das den Anstieg von Terrorismus durch eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik und die sukzessive Bekämpfung demokratischer Rechte mitzuverantworten hat. Andererseits hat man in Ägypten schon früh erkannt, wie nützlich das Label “Kampf gegen den Terror” für die Durchsetzung eigener Politiken ist. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es sich um tatsächlichen Terrorismus oder um legitime Opposition handelt.

Seit dem Militärputsch gegen die erz-konservative, aber demokratisch gewählte Regierung des Muslimbruders Mohammed Mursi 2013 wurden tausende Menschen durch die Sicherheitskräfte umgebracht, zehntausende als politische Gefangene eingesperrt und Hunderte Todesurteile verhängt. Die staatliche Repression trifft aber nicht nur IslamistInnen, sondern auch die liberale und linke Opposition.

Kerns „Hilfe vor Ort“

Christian Kern sprach bei seinem Besuch die schwierige Menschenrechtslage in Ägypten an, diese Mahnung prallte aber wie üblich am Sisi-Regime ab. Einen Tag vor Kerns Staatsbesuch wurde der Menschenrechtsanwalt und linke Oppositionsführer Khaled Ali verhaftet. Einen Tag nach Kerns Abreise wurden eine Reihe kritischer Nachrichtenseiten in Ägypten gesperrt, unter anderem die Nachrichtenseite vom katarischen Sender Al-Jazeera und die ägyptische investigativ-journalistische Seite Mada Masr. In ägyptischen Medien war von den leisen kritischen Tönen des österreichischen Bundeskanzlers nichts zu hören. Stattdessen wurde Kerns Besuch als Beweis für das internationale Ansehen Präsident Al-Sisis präsentiert.

Mit Blick auf die österreichische Innenpolitik stand auch bei dem Treffen in Kairo die Flüchtlingspolitik im Vordergrund. Eines wurde dabei deutlich: Kern versucht seinem Konkurrenten Kurz die Themenhoheit zur Flüchtlingsfrage abzuringen. Doch wer als Hintergrund dieser Konkurrenz zwei sich radikal unterscheidende Visionen hinsichtlich der österreichischen Außenpolitik vermutet, liegt falsch. Die Unterschiede sind lediglich in den Nuancen zu finden.

Während Kurz sich bereits letztes Jahr für die Errichtung von Auffanglagern in Nordafrika einsetzte, zog Kern in Kairo nach. Beiden ist es ein Anliegen, Flüchtlinge fern von Europa zu halten. Sebastian Kurz’ Forderung nach dem Schließen der Mittelmeerroute kritisierte Kern lediglich wegen ihrem populistischen Hintergrund, da die Schließung nicht durchführbar sei. Der Kanzler will seinem Manager-Ethos gerecht werden und tritt außenpolitisch als „Macher“ auf. Dabei fordert er trotz der fürchterlichen Menschenrechtslage den Ausbau der Flüchtlingslager in Ägypten.

“Hören wir auf mit der Trennung in Gut und Böse und der moralischen Überlegenheit”, forderte Kurz unlängst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Mit dieser Äußerung nahm er nicht bloß seinen autoritären ungarischen Parteikollegen Viktor Orban in Schutz, sondern gab prompt auch den inoffiziellen Leitsatz der aktuellen österreichischen Außenpolitik wieder: Wir arbeiten mit jedem zusammen, sofern es der Verwirklichung “unserer” Ziele dient – vom osteuropäischen Autokraten bis zum nahöstlichen Despoten.

Sozialdemokratische Außenpolitik enttäuscht

Kanzler Kern schlägt in die gleiche Kerbe, verzichtet dabei lediglich auf populistische Töne. Im Anschluss an das Treffen mit Al-Sisi folgte ein Arbeitsbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sie sind Österreichs größter Handelspartner in der Golfregion. 2016 sind die heimischen Investitionen um knapp 30 Prozent auf vier Mrd. Euro gestiegen und jene der VAE in Österreich um fünf Prozent auf 4,7 Mrd. Euro. Wie tief die ökonomischen Verflechtungen beider Länder gehen, sieht man auch am Beispiel der OMV, die sich zu 24,9 Prozent im Teileigentum der VAE befindet. Die Tatsache, dass es sich bei den Emiraten um einen kriegsführenden Akteur handelt, der gemeinsam mit Saudi-Arabien für unzählige Kriegsverbrechen im Jemen verantwortlich ist, spielte beim Arbeitsbesuch keine Rolle. Damit bietet die aktuelle sozialdemokratische Außenpolitik einen Grund zur Enttäuschung. Von Sebastian Kurz erwartet sich niemand eine progressive außenpolitische Haltung. Doch gerade die SPÖ und ihre Bildungs- und Vorfeldinstitutionen waren infolge der Arabischen Revolten von 2011 ernsthaft bemüht, ein neues Verhältnis zum und Verständnis vom Arabischen Raum zu entwickeln.

Dieser Prozess dürfte im Fahrwasser von Sachzwanglogik und Realpolitik beendet sein. Wie jüngst auch bei umweltpolitischen Themen klar wurde, dass für die Regierungsparteien “Wachstum” und “Standort” über ökologischer Nachhaltigkeit steht. Ähnliches gilt in der Außenpolitik: Kurz und Kern gehen für österreichische Profite und für eine nationalistische Grenzpolitik auch mal mit Diktatoren, Warlords und Kriegstreibern Hände schütteln. In Zeiten von internationalen Krisen und Umbrüchen ist dieses kurzsichtige Vorgehen die eigentliche Armut der österreichischen Außenpolitik.

 

Tyma Kraitt ist Publizistin mit Fokus auf den Nahen und Mittleren Osten. Sie studierte Philosophie in Wien und war als Redakteurin für das außenpolitische Ressort der “Zeit im Bild” (ORF) tätig.

Ramy Hamdy ist Journalist mit dem Schwerpunkt Naher Osten. Er lebt in Wien.

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