Gewerkschaften in der Corona-Krise: Mit alten Rezepten in den Abgrund

Die Corona-Wirtschaftskrise rauscht heran. Auch wenn sie nicht alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen treffen wird, ist eine wirtschaftliche Abwärtsspirale kaum noch zu stoppen. Die Entwicklungen könnten zu antikapitalistischer Mobilisierung führen, doch die Gewerkschaften scheinen daran kein Interesse zu haben, schreibt unsere Autorin.

Die berauschenden Kennzahlen der durch Corona ins Rollen geratenen Wirtschaftskrise spiegeln sich in Österreich wider: Aufgrund zahlreicher Betriebsschließungen im Dienstleistungssektor die Arbeitslosigkeit um ca. 200.000 Personen angestiegen – aktuell sind somit über zwölf Prozent der österreichischen Bevölkerung arbeitslos. Gleichzeitig legte vor gut zwei Wochen der ATX, also die Kursentwicklung der zwanzig größten österreichischen Unternehmen, mit einem Absturz von 13 Prozent einen historischen Verlust in der Wiener Börsengeschichte hin.  Die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Virus provozieren dadurch empfindliche Verschiebungen am Arbeitsmarkt und somit auch der Sozialstruktur im Land.

Schumpeter oder Kurz?

Eines vorweg: Die Taktik der Herrschenden zeichnet sich hinsichtlich der Frage um staatspolitische Krisenkompetenzen keineswegs durch einen klaren Kurs aus. Vielmehr scheinen die von oben nach unten sickernden Verordnungen und die streng exekutierte Regierungslinie vor allem durch provisorische und nachbesserungsbedürftige Krisenmanagementmodelle angeleitet.

Zudem entsteht der Eindruck, als verfingen sich politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger_innen derzeit in heftigen Strategiedebatten: Während der österreichische Nationalbankchef Robert Holzmann mit einem Verweis auf den durch den Ökonomen Joseph Schumpeter geprägten Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ dafür plädiert, die derzeitige Krise auch als Reinigungsprozess der Wirtschaft von nicht überlebensfähigen Unternehmen zu betrachten, verspricht die Regierung auch Klein- und Mittelbetriebe aufzufangen – „koste es was es wolle“, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz kürzlich vor dem Nationalrat predigte.

Dieses Unterfangen soll mitunter durch das (nachgebesserte) Kurzarbeit-Modell bewerkstelligt werden, um großflächige Betriebsschließungen zu vermeiden und nicht zuletzt einer Deflation vorzubeugen. Zusätzlich soll Klein- und Mittelunternehmen sowie Selbstständigen mittels einen Härtefallfonds unter die Arme gegriffen werden. Nachdem die „erste Phase“ des Hilfspakets erhebliche Schwachstellen für weite Teile der Bevölkerung aufwies, wurde der Fonds nun auf zwei Milliarden Euro aufgestockt und die Gruppe der Antragsberechtigten ausgedehnt. Können sich nun doch Ein-Personen-Unternehmen sowie Klein- und Mittelbetreibe auf ihre Existenzrettung – entgegen der Meinung des Nationalbankchefs – durch Schwarz-Grün verlassen?

Geringfügige besonders betroffen

Bezogen auf den gewerblichen Handel zeigt sich bis jetzt ein anderes Bild. Aufgrund der Schließungsverordnungen brechen Selbstständigen im Fach- und Einzelhandel die Erträge bis zur Existenzgefährdung weg. Unterdessen profitieren Handelsriesen mit großflächiger Versandpotenz von den neuen Wirtschaftsdynamiken. Dazu kommen sogenannte Mischbetriebe, die sowohl Warenhandel als auch Dienstleistungsverkauf anbieten – wie etwa in der Gastronomie oder der Tourismusbranche. Sie stellen sich als besonders vulnerabel heraus, da sie am stärksten von den Betriebsschließungen betroffenen sind. Unzählige Angestellte haben dadurch ihre Arbeitsplätze verloren, so hat etwa der Caterer-Riese DO & CO über 1000 Beschäftigte österreichweit entlassen. Dabei fällt insbesondere in der Gastronomie ins Gewicht, dass für geringfügig Beschäftigte ein Umstieg auf Kurzarbeit gesetzlich ausgeschlossen ist.

Währenddessen bleibt der Großteil der Industrieproduktion von den gesundheitsbezogenen Verordnungen unberührt. So betonte die Wirtschaftskammer in ihrer Informationsaussendung zum Coronavirus, dass „Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen in keiner Weise Werksschließungen, Produktionsstopps o.ä. für die Industrie oder das produzierende Gewerbe vorsehen oder notwendig machen.“

Abwärtsspirale nicht aufzuhalten

Dennoch sind auch sie von der Krise betroffen, in den Magna-Werken oder auch der Voestalpine läuft die Kurzarbeit an. Während der hochqualifizierte Teil der Produktionsarbeiter_innen also vorerst wohl nicht um den Arbeitsplatz bangen muss, sind Geringqualifizierte, etwa im Leiharbeitswesen, mit am stärksten von Entlassungen betroffen. Diese Entwicklungen brauchen nicht zu verwundern, schreibt doch der ÖGB selbst, dass eines der drei zentralen Ziele der Corona-Kurzarbeitsvereinbarung die Erhaltung von Fachkräften darstellt.

Konkret heißt das: In der Krise werden nun zunächst Randbelegschaften entlassen, während der Druck auf Kernbeschäftigte in der Produktion steigt. Dazu kommen die (zum Teil aufgrund von Entlassungsfristen noch bevorstehenden) Kündigungswellen im Handel und anderen Dienstleistungsberufen sowie die Insolvenzbetroffenheit zahlreicher Ein-Personen-Unternehmen, Klein- und Mittelbetriebe. Weitreichende Abstiegstrends und zunehmende Statusbedrohungen weiter Teile der Bevölkerung im Land werden die Folge sein. Wie weit die Regierung tatsächlich gehen wird, um dem hervortretenden wirtschaftlichen „Säuberungsprozess“ Einhalt zu gebieten, bleibt abzuwarten.

Gewerkschaften ohne Herz

Obwohl sich Nationalbankchef und Bundeskanzler rhetorisch stark unterscheiden, ist das Ausmaß der inhaltlichen Meinungsdifferenz überschaubar. Das ist primär der Position geschuldet, in der sich Politiker_innen nun einmal befinden. Sebastian Kurz und seine ÖVP sind sich der Relevanz der Wähler_innenstimmen des städtischen Kleinbürgertums selbstverständlich bewusst. Die Wahlen in Wien stehen im Wien an. In dieses politische Kalkül reihen sich nauch die kürzlich beschlossenen Lockerungen nach Ostern für kleine Geschäfte bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Ausgangsbeschränkungen ein.

Doch obwohl die gesellschaftliche Relevanz von lebensversorgenden Tätigkeiten im Unterschied zu profitorientierter Warenproduktion derzeit öffentlich besonders sichtbar wird und somit Verhandlungsvorteile für Arbeitnehmer_innnenvertretungen in diesen Bereichen eröffnet, werden die Forderungen der gewerkschaftlichen Basis weiter ignoriert. Der neue Kollektivvertrag in der Sozialwirtschaft hat das auf desaströse Weise bewiesen. Die gravierenden Polarisierungstendenzen beinhalten auch Potentiale für eine weitreichende antikapitalistische Mobilisierung, die früher einmal das Herzstück sozialistisch geführter Gewerkschaften darstellte. Aber längst passé sind die Zeiten sozialdemokratisch betriebener Klassenpolitik. Stattdessen setzt sich die Sozialpartnerschaft ein, wofür sie geschaffen wurde: Altbewährte Lösungskonzepte und Konsens statt Klassenkampf.

 

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