Keine Entzauberung: Warum Korruptionsskandale so wenig ändern

Die korrupte politische Kultur wird auch nach der Kanzlerschaft Kurz weiterleben. Warum das so ist und wie was wir dagegen tun können – eine Analyse der mosaik-Redaktion.

„Endlich wird deutlich, wie korrupt Kurz und seine Partie sind. Jetzt muss es doch allen wie Schuppen von den Augen fallen! Kurz ist entzaubert und Österreich kann schon bald wieder zur demokratischen Normalität zurückkehren”. So oder so ähnlich lautet der Tenor des linken und linksliberalen Österreichs. Doch diese Freude ist verfrüht. Die Kanzlerschaft Kurz ist vorerst beendet, aber eines steht fest: Die politische Kultur, für die er steht, wird weiterleben. Und zwar über seine Partei hinaus.

Alle Parteien sind gleich – nur die ÖVP ist noch schlimmer

Auch gegen SPÖ-Kanzler Werner Faymann sei wegen Inseratenvergabe ermittelt worden und die rote Stadt Wien inseriere ohnehin am allermeisten – so verteidigte sich Sebastian Kurz in der ZiB 2. Er hat damit Recht und Unrecht zugleich. Unrecht hat Kurz, weil keine Partei so verkommen ist wie die ÖVP. Keine andere Partei hat, soweit wir das wissen, methodisch die Wahlkampf-Ausgabengrenze gebrochen und Spenden von Milliardär*innen verschleiert. Keine andere Partei hat so systematisch die Wünsche der Milliardär*innen gegen die Interessen der Mehrheit durchgesetzt: 12-Stunden-Tag, Ausverkauf der Sozialversicherung, jetzt die geplante Senkung der Unternehmenssteuern. Niemand sonst nimmt tagtäglich so konkret und detailliert Einfluss auf die Medien. 

Und doch hat Kurz Recht, wenn er sagt: „So sind doch alle.” Zumindest instinktiv nicken wir dazu – die Aussage hat einen wahren Kern. 87 Prozent der Österreicher*innen halten Korruption in der Politik für weit verbreitet. Die jüngsten Enthüllungen sind für Kurz und den autoritären Konservativismus nicht der politische Todesstoß, den sich viele erhoffen – weil die Menschen sich ohnehin nichts anderes erwartet haben. Und um noch weiterzugehen: Die wenigsten Menschen glauben, dass andere Parteien nicht ebenso korrupt seien.

Korruptionsskandale sind kein Zufall… 

Warum sollten sie der SPÖ mehr vertrauen als der ÖVP? Wo Werner Faymann doch ebenso mit Inseraten freundliche Berichterstattung kaufte? Warum sollten sie einer Partei zutrauen, die Interessen der Arbeiter*innen zu vertreten, wenn Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer mit Autokraten packelt und mit Gold das große Geld macht? Warum sollte man den liberalen NEOS glauben, anders zu sein, wenn jeder weiß, dass sie nur Dank der Laune (und der handfesten Interessen) von Österreichs menschlichstem Oligarchen Hans Peter Haselsteiner existieren? Die Korruption der FPÖ brauchen wir hier nicht extra auszuführen. 

Auch die Grünen stehen in der Kritik. Ihre ehemalige Vorsitzende Eva Glawischnig wechselte direkt von der Politik in die Zentrale eines Glückspielkonzerns. Der frühere Wiener Planungssprecher Christoph Chorherr steht im Verdacht, für seinen karitativen Verein Spenden eines Bauunternehmers angenommen zu haben, der diese an Genehmigungen gekoppelt haben soll.

Die Grünen sind stets als Anti-Korruptions-Partei aufgetreten. Doch sie haben Korruption immer als moralische Frage verhandelt – als Forderung nach „sauberer Politik”, und nicht als Kritik an den ökonomischen Interessen, die im politischen System verankert sind. Zudem haben sie keine Perspektive über das Regieren hinaus: In der Regierung sein ist für sie Selbstzweck, kein Mittel zur Umsetzung einer größeren politischen Utopie. Auch sie können daher den Wunsch nach einem grundlegend anderen politischen System nicht stillen.

…sie sind systematisch

Die Bevölkerung sieht die Politik also generell zynisch – und hat damit nicht ganz unrecht. Denn in Österreich – und nicht nur hier – gibt es ein strukturell korruptes Verhältnis zwischen Politik und Kapital, also großen Unternehmen und Reichen. Parteien haben wesentlich mehr Loyalität zu den Unternehmer*innen, die mitunter ihre wichtigsten Spender*innen sind, als zu ihren Wähler*innen. Parteipolitik dient in erster Linie dem Machterhalt der eigenen Clique sowie der Durchsetzung der politischen Wünsche von Spender*innen und Kernklientel. Wähler*innen zu gewinnen ist in unserem politischen System Mittel zum Zweck. 

Dazu kommt ein strukturell korruptes Verhältnis zu vielen Medien: „Politische Macht, Großkapital und Medienkonzerne bilden zusammen eine Bussi-Bussi-Gesellschaft. Der größte Zampano ist der mit der dicksten Brieftasche,“ schrieb Benjamin Opratko vor zwei Jahren auf Mosaik. Die Gegenleistung für ein Inserat sei „Berichterstattung und das Inserat”, bekannte auch Kurz in der ZiB 2. Politik, Kapital und Medien schieben einander Macht und Steuergeld zu – auf Kosten der Allgemeinheit. Und die Menschen wissen das.

Zynisches Verhältnis zur Politik

Paradoxerweise neigen Wähler*innen dazu, rechten und unternehmensfreundlichen Parteien – und damit auch der ÖVP – Korruption eher zu verzeihen, als progressiven. Denn zu Recht legen sie an progressive Parteien höhere moralische Maßstäbe.

Wer rechts wählt, tut das nicht, weil er oder sie sich davon eine gleichere und demokratischere Gesellschaft erwartet. Die Hoffnung, dass eine grundlegend bessere Welt möglich ist, haben die meisten Menschen längst aufgegeben. Sie wählen Kurz, um zumindest noch mit einem kleinen Stück des Kuchens auszusteigen, das dieser für sie einem Geflüchteten oder einer Mindestsicherungs-Bezieherin aus der Hand gerissen hat.

Der Rechtsstaat ändert das System nicht

Die Verfahren gegen Kurz & Co. sowie die umfassende Berichterstattung versprechen, mit der schmutzigen Politik des Systems Kurz aufzuräumen. Und natürlich soll man jetzt politische Maßnahmen fordern und durchsetzen, die den krassesten Formen von Korruption Steine in den Weg legen. Das zynische Verhältnis zwischen politischen Eliten und Bevölkerung wird sich so aber nicht reparieren lassen. 

Denn das „System Kurz“ ist nur die Spitze des Eisbergs. Das werden auch jene Stimmen merken, die sich jetzt nach den „wahren Schwarzen” sehnen, jenen vermeintlich anständigen ÖVP-lern, die vor der Ära Kurz die Partei führten. Diese beinahe schon nostalgische Sehnsucht nach den guten Konservativen alten Schlags ist etwas sehr Österreichisches. Sie blendet aus, dass diese Partei schon immer brutale Politik im Interesse des Kapitals gemacht hat. Kurz ist kein Systemfehler, sondern eine logische Zuspitzung konservativer Ideologie.

Der Rechtsstaat und kritische Medien können den Auswüchsen dieses politischen Systems Einhalt gebieten. Aber grundlegend verändern können sie es nicht. Denn dafür braucht es eine radikal andere Art von Politik und Akteur*innen, die diese glaubwürdig leben.

Grazer KPÖ als Antithese

Was es bedeuten kann, glaubwürdig außerhalb des korrupten Systems zu stehen, sehen wir heute schon am Erfolg der KPÖ Graz. Dieser basiert vor allem auf einer radikal anderen Beziehung zur Grazer Bevölkerung. Was von vielen Kommentator*innen abschätzig als karitative Arbeit abgetan wird, ist eine real im Leben von Menschen verankerte Form von Politik. 

Wer Probleme mit der Miete hat, bekommt persönliche Beratung und finanzielle Unterstützung. Die KPÖ-Politiker*innen geben dafür ihr eigenes Geld, behalten von ihren Gehältern nur knapp 2.000 Euro. Sie kennen den Alltag von Menschen mit normalen Einkommen aus erster Hand, statt wie die überbezahlten Vertreter*innen anderer Parteien nur aus Statistiken und Studien. Seit 1998 hat die KPÖ Steiermark so 2,5 Millionen Euro vom politischen System an die Bevölkerung rückverteilt. Auch politische Erfolge wie verbilligte Öffi-Tickets oder neu gebaute Gemeindewohnungen verbessern das Leben der Menschen in Graz ganz konkret.

Nicht einfach übertragbar

Es ist eine Politik, die sich wirklich um die berühmten Sorgen und Ängste der Menschen kümmert, nicht nur symbolisch. Diese Politik ermöglicht andere Erlebnisse mit und Beziehungen zu Parteien und Politiker*innen. Beratung, Unterstützung und Begegnungen im Alltag sind tausendmal echter und politischer, als das Anhören der ewig gleichen Wahlkampf- und Sonntagsreden. Solidarität wird statt zum leeren Schlagwort gelebte Praxis.

Das Erfolgsmodell der Grazer KPÖ lässt sich nicht einfach auf ganz Österreich und alle Akteur*innen der Linken übertragen – selbst mit gutem Personal und schlauer Kampagnenarbeit. Zum einen ist es in einer 300.000-Menschen-Stadt einfacher, Nähe und Glaubwürdigkeit herzustellen als in einer Millionenstadt oder gar dem ganzen Land. Zum anderen hat auch die KPÖ in Graz Jahrzehnte geduldiger Arbeit benötigt, um so erfolgreich werden zu können.

Neues Vertrauen in linke Politik

Wenn wir die aktuelle Krise nützen und aus dem Erfolg der KPÖ Graz lernen wollen, dann vielleicht, indem wir eine neue linke Praxis aufbauen. Wir sollten versuchen, weniger Energie in das beste Programm, die klügsten Forderungen und die radikalste Kritik zu stecken – und mehr darin, Beziehungen zu Menschen außerhalb der Linken zu festigen und deren Leben zu verbessern. Es geht nicht darum, den Riss zu den Herrschenden oberflächlich zu kitten, sondern ihn zu vertiefen und gemeinsam eine effektive Gegenmacht aufzubauen – damit Politik wieder ein Mittel für eine andere, bessere Welt wird.

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