Warum kritischer Konsum nicht reicht, um das Klima zu retten

Heute Abend lädt Aufbruch in Wien zur Diskussion zum Thema „Klima retten – aber wie?“. Sarah Nägele sprach für mosaik im Vorfeld mit zwei der OrganisatorInnen der Veranstaltung, Philipp Chmel und Sarah Bolwin. Sie erklären, warum kritischer Konsum aus ihrer Sicht kein ausreichendes Mittel im Kampf für Klimaschutz ist.

 

Im Sommer wurde eine Studie veröffentlicht, in der Forscher dazu raten, weniger Kinder in die Welt zu setzen, um weniger CO2 auszustoßen. Was haltet ihr davon?

Philipp Chmel: Das ist mehr als zynisch, weil dabei so getan wird, als ob die gesamte Bevölkerung gleichsam verantwortlich ist für den Klimawandel. Eine Oxfam-Studie belegt aber, dass die reichsten zehn Prozent der Menschheit 49 Prozent des CO2-Austoßes verursachen.

2017 stieg der globale CO2-Ausstoß sogar wieder, trotz Klimaschutzabkommen. Was müsste sich aus eurer Sicht als Erstes ändern, um das Zwei-Grad-Ziel – also die Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad über dem vorindustriellen Wert – noch einhalten zu können?

Philipp Chmel: In Österreich könnte man den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien verhindern und das veranschlagte Geld nutzen, um Mittelstrecken mit der Bahn auszubauen. Dass man fliegen muss, um auf einen anderen Kontinent zu kommen, mag sein, aber von Wien nach Berlin müsste das eigentlich nicht sein. Genau da bräuchte es gute Verbindungen. Der politische Umweltschutz geht immer nur so weit, wie er keine großen Infrastrukturprojekte gefährdet. Und die dritte Piste ist eines der größten Infrastrukturprojekte, die es gerade in Österreich gibt.

Bei linken Parteien stehen meist soziale Fragen im Vordergrund. Wie ließen sich diese mit dem Klimawandel verknüpfen?

Sarah Bolwin: Klimaschädliche Politik und Sozialabbau gehen teilweise Hand in Hand. In Norddeutschland gab es gerade eine Diskussion darüber, ob das Sozialticket gestrichen wird. Wenn die Leute nicht mehr die Möglichkeit haben, günstig den Nahverkehr zu nutzen, dann leasen sie vielleicht eher ein Auto. Das bedeutet persönliche Schulden und mehr CO2-Ausstoß.

Philipp Chmel: Umso mehr Geldsorgen die Einzelnen haben, desto weniger Zeit und Energie haben sie, sich mit Themen auseinanderzusetzen oder sich zu engagieren. Menschen mit geringem Einkommen leiden auch mehr unter dem Klimawandel.

Ihr schreibt in der Ankündigung eurer Diskussionsveranstaltung: „Hat der Fokus auf den eigenen Verzicht und ethisch ‚korrekten’ Konsum vielleicht auch negative Auswirkungen auf uns selbst oder die Gesellschaft?“ Wie ist das gemeint?

Philipp Chmel: Mich hat das Konzept, bei sich selbst anzufangen, angezogen. Da hat man die Kontrolle und das Gefühl, effektiv zu wirken. Aber das Konzept greift zu kurz. Man ist damit noch immer passiver Konsument, passive Konsumentin. Dadurch wird der Wunsch zur Veränderung und möglicher Protest als Ware angeboten, das kann nicht funktionieren. Außerdem wird damit ein Lebensgefühl verkauft, man bekommt das Gefühl, ein guter Mensch zu sein und etwas zu verändern. Dieses gute Gewissen ist allerdings wohlhabenden Menschen vorbehalten. Diese Spaltung ist falsch.

Ihr stellt auch die Frage: „Steigt mit dem Einkommen auch der CO2– Ausstoß?“ Die erste Assoziation ist ja eher, dass bei niedrigem Einkommen der CO2-Ausstoß höher ist, weil man sich eben keinen nachhaltigen Konsum leisten kann.

Sarah Bolwin: Ja, aber es ist umgekehrt. Wer wenig Geld hat, kann sich vielleicht die Bio-Lebensmittel nicht leisten. Wenn du viel Geld hast, dann kaufst du vielleicht eher die Biobananen, aber fliegst dafür übers Wochenende mal weg. Damit werden jegliche Konsumbemühungen wieder zerstört.

Aber wäre da nicht auch die Politik gefragt, mit Reglementierungen einzugreifen?

Philipp Chmel: Kritischer Konsum kann sinnvoll sein, aber es ist wichtig im Kopf zu behalten, dass es nur ein kleiner Teil ist, der immer noch im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems stattfindet. Die Politik wäre gefordert, die Verantwortung nicht hin zu den Unternehmen zu verschieben. Es wäre ja beispielsweise machbar, nicht nur die Bürger*innen zur Mülltrennung zu ermahnen, sondern bestimmte Verpackungen zu verbieten. Warum gibt es keine Kerosinsteuer? Das ist ein Erbe von 1944, damals wollte man die Flugindustrie pushen. Das heißt, ein Industriezweig der Steuererleichterungen hat und riesige Profite macht, bietet Kompensationsprojekte zum CO2-Ausgleich an, die man dazu buchen kann. Die Flugindustrie stößt also CO2 aus und drückt dann noch die Verantwortung an die Konsumenten ab.

Was ist mit dem „Recht auf Wachstum“, das die Schwellenländer etwa in Asien einfordern? Der große CO2 Ausstoß passiert ja nicht mehr in Europa.

Philipp Chmel: Da muss man genau hinschauen. Selbst wenn der absolute Ausstoß von China momentan der größte der Welt ist, gilt das nicht für den Pro-Kopf-Ausstoß. Der liegt in Deutschland und Österreich immer noch höher als in China. Und dann muss man beachten, wie viele europäische Unternehmen ihre Produktion in Schwellenländer verlagern und dort den CO2-Ausstoß massiv beeinflussen. Die Statistiken geben also ein verzerrtes Bild wieder.

Sarah Bolwin: Man könnte in Europa viel bewirken, indem man gesellschaftliche Standards setzt. Wenn Europa den Kohleausstieg vorantriebe, würden aufstrebende Schwellenländer vielleicht nicht auf die Idee kommen, Kohlekraftwerke zu bauen. Wobei man auch sagen muss, dass in China gerade sehr viel Infrastruktur klimaneutral aufgebaut wird und viele neue Technologien zum Einsatz kommen. Und dann geht es auch um die Definition von Luxus. In Indien geht der Fleischkonsum gerade massiv nach oben, weil die Leute es sich jetzt leisten können und es ihrer Auffassung von Luxus entspricht, Fleisch zu essen.

Wie kann man die Politik abseits von Aktivismus beeinflussen?

Sarah Bolwin: Eine Vernetzung der verschiedenen Forschungszweige wäre sinnvoll, bei denen ExpertInnen aus verschiedenen Fachrichtungen zusammenkommen und sich austauschen. Man müsste dem ExpertInnenwissen aber auch mehr Gewicht geben.

Philipp Chmel: Ich glaube nicht, dass die Klimakrise im Kapitalismus lösbar ist, sie lässt sich höchstens aufschieben. Das heißt, es gibt die eine Möglichkeit sich zu engagieren, wenn man Zeit hat. „System Change not Climate Change“ hat es beispielsweise geschafft, den Bau der dritten Piste zu verhindern. Das Urteil wurde zwar wieder aufgehoben, aber es zeigt trotzdem, dass man mit Aktionismus etwas erreichen kann.

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