Was ‚die Linke‘ aus dem Klimarat lernen kann

Heute übergibt der Klimarat der Politik seine Empfehlungen für ein klimaneutrales Österreich 2040. Medial wurde viel über Sinn und Unsinn des Klimarats diskutiert. mosaik-Redakteur Hannes Grohs war dabei und fragt sich indes, was die Linke aus dem Prozess lernen kann.

Von Jänner an war der Klimarat mit vielfältigen Vorwürfen aus dem bürgerlichen Spektrum konfrontiert. Die einen sahen in ihm einen postdemokratischen Vorboten, die anderen bereits eine Räterepublik heran dämmern. Im Parlament lief die FPÖ seit Anbeginn des Prozesses gegen den Klimarat Sturm – teils mit absurden parlamentarischen Anfragen – und zuletzt ließ der ÖVP-Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager verlautbaren, dass der Klimarat und seine Empfehlungen für ihn „keine Relevanz“ hätten.

Aus progressiver Perspektive sollte klar sein, dass die Einrichtung eines Rates eine grundsätzlich zu begrüßende Entwicklung ist. Bürger*innenräte werden in der Klimagerechtigkeitsbewegung schon lange gefordert. Und auch in der erweiterten Linken ist die Idee, dass Menschen zusammenkommen und auf informierter Basis selbst über ihr Leben und dessen Rahmenbedingungen entscheiden, mehr als anschlussfähig. Gründe genug also, um einen Blick darauf zu werfen, was ‚die Linke‘ aus dem aktuellen Klimarat lernen kann.

Auswahlprozess: Wer nimmt teil?

Am Ende waren es 88 Teilnehmer*innen, die sich über sechs Wochenenden die Zeit genommen haben, beziehungsweise nehmen konnten, am Klimarat teilzunehmen. Der Auswahlprozess dieser Personen kann in einem Bericht der dafür zuständigen Statistik Austria nachvollzogen werden. Ziel war es, – neben der zufälligen Auswahl – die in Österreich lebende Bevölkerung anhand der Merkmale Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Region, Geburtsland, Urbanisierungsgrad sowie Haushaltseinkommen repräsentativ abzubilden.

Über diesen Auswahlprozess und seine Repräsentativität wurde und wird viel diskutiert. Dabei zielte Kritik oft darauf ab, den Klimarat als Ort der demokratischen Entscheidungsfindung zu delegitimieren. Manche kritische Fragen sind aber durchaus berechtigt. Etwa zum Merkmal Geburtsland: Am Ende war der Klimaratsanteil jener, die in Österreich geboren sind, mit 89 Prozent dann doch um knapp 10 Prozent höher als in der Gesamtbevölkerung.

Den Menschen etwas zutrauen…  

Eine solche Kritik darf jedoch nicht dazu führen, dem Klimarat seine Bedeutung abzusprechen. Wenn auch nach wie vor von gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen geprägt, war die Unterschiedlichkeit der Menschen, die am Klimarat zusammengekommen sind, augenscheinlich und in dieser Form in politischen Auseinandersetzungen ungewöhnlich.

All diese Menschen haben sich im Klimarat intensiv politische Gedanken gemacht. Von Seiten ‚der Linken‘ wird dies der ‚gemeinen Bevölkerung‘ oft abgesprochen. Und wenn es ihr zugestanden wird, sind es die falschen Gedanken, die sich ‚die Bevölkerung‘ macht. Der Klimarat hat gezeigt, dass auch Menschen, die nicht links organisiert sind, etwas zugetraut werden kann; nämlich mit einem Interesse an emanzipatorischer Veränderung über ihre und die gemeinsame Zukunft nachzudenken. Der Wille zu und der Wunsch nach progressiver Veränderung ist auch außerhalb linker Kreise vorhanden. Er entgeht ‚der Linken‘ nur oft, weil sie die Räume für Austausch nicht schafft oder nicht in sie hineingeht.

…im entsprechenden Rahmen  

Um zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, brauchen Räume für Austausch aber auch einen entsprechenden Rahmen. Beim Klimarat war gesetzt, dass die Existenz des menschengemachten Klimawandels nicht zur Debatte steht. Auch das Ziel, zu welchem die Empfehlungen beitragen sollen, war mit der – als Begriff in der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht unumstrittenen – Klimaneutralität 2040 vorab klar. Zudem hatten die Bürger*innen keinen Einfluss auf die Zusammenstellung des wissenschaftlichen Beirats, der den Klimarat intensiv begleitete. Dieser Rahmen war Wasser auf den Mühlen der selbst ernannten Kritiker*innen des Klimarates – er sei eine undemokratische Lenkung.

Ohne Rahmen funktionieren Räte nicht. Und ja, idealerweise wird auch der Rahmen – im Konkreten Fall die gemeinsame Anerkennung der Existenz des menschengemachten Klimawandels – vorab basisdemokratisch und informiert ausgehandelt; aber nein, dort sind wir als Gesellschaft nicht. Und so bleibt festzuhalten: Es geht nicht zusammen, das Ziel der Klimaneutralität auszurufen, aber die Existenz des menschengemachten Klimawandels zur Aushandlung zu stellen. Weiter gedacht: Wir werden nicht über ein besseres Leben für alle diskutieren können, wenn wir klassistische, rassistische und (hetero-)sexistische Strukturen nicht anerkennen. Diese Strukturen sind aber nicht allen Menschen einsichtig und so bleibt ein Balanceakt: nämlich zu entscheiden, was Teil des Rahmens sein soll und was auch noch am Weg geklärt werden kann.

Einbezug der Wissenschaft

Die Wissenschaft kann bei dieser prozesshaften Klärung unterstützen. Ihre Rolle ist aber durchaus heikel. Denn sie stellt selbst ein umkämpftes soziales Feld dar. Beim Klimarat ist es gelungen, ein Team aus Wissenschaftler*innen zusammenzustellen, dessen Expertise weithin anerkannt wurde und von welchem sich auch die Teilnehmer*innen gut begleitet fühlten. Für die Ergebnisse des Klimarats und seine Legitimität war das wichtig. Für ‚die Linke‘ zeigt es zwei Dinge: Einerseits muss sie ihre Zusammenarbeit mit der Wissenschaft stärken; was in der Klimagerechtigkeitsbewegung bereits passiert. Andererseits muss sie Strategien entwickeln, wie kritische und emanzipatorische Forschung breitere gesellschaftliche Anerkennung erhält, so dass diese eine produktiv wirkende Begleiterin demokratiepolitischer Prozesse sein kann.

Keine Angst vor Prozessgestaltung, Gruppendynamik und Moderation

Die Aufgabe des Klimarats war keine kleine. Innerhalb von sechs Wochenenden sollten Personen mit unterschiedlichstem Vorwissen substantielle Empfehlungen erarbeiten. In einem konsensualen Verfahren einigten sich die Teilnehmer*innen am letzten Wochenende auf 93 Empfehlungen.

Hinter diesem Ergebnis steht ein enormer Aufwand der Prozessgestaltung und Moderation. Das Betreiben dieses Aufwands und die handelnden Personen im Moderations- und Organisationsteam haben im Wesentlichen zum (noch abschließend zu beurteilenden) Erfolg des Klimarats beigetragen. Das bezieht sich nicht nur auf die inhaltliche und formelle Ausgestaltung des Rates. Es bezieht sich insbesondere darauf, wie es gelungen ist, die Teilnehmer*innen zu motivieren und ins gemeinsame, produktive Arbeiten zu bringen. Dazu gehören auch gruppendynamische Übungen, die die eine oder andere Teilnehmerin auch mal aus der Komfortzone geholt haben. Dabei bleibt, dass am Klimarat ungeheures Vertrauen und Lust am gemeinsamen Arbeiten entstanden ist. Das ist vor dem Hintergrund der diversen Zusammensetzung des Rats alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

‚Die Linke‘ kann es sich nicht mehr leisten, arrogant auf Aspekte wie Prozessgestaltung, Gruppendynamik oder die Bedeutung von Moderation zu blicken. Ja, es mag sich manchmal ein Managementsprech auftun oder Körper- und Gruppenarbeit ins Spirituell-Harmonische abgleiten. Das sollte aber höchstens Grund sein, diese Methoden anzueignen und entsprechend einzubetten. Wenn das Ziel tatsächliche Veränderung ist, müssen Prozesse und das Arbeiten in Gruppen gut aufgesetzt, gestaltet und moderiert sein. Erste Schritte in diese Richtung wurden in den letzten Jahren schon gemacht. Aber es gibt noch viel zu lernen und Wissen zu teilen.

Vereinsgründung als Zeichen

Am letzten Wochenende des Klimarates gründeten die Teilnehmenden den Verein des ersten österreichischen Klimarats. Sein Ziel ist es, die Anliegen des Klimarates voranzutreiben und Politiker*innen beim Umgang mit den Empfehlungen genau auf die Finger zu schauen. Der Verein ist ein Zeichen dafür, dass das Vertrauen in die etablierte Politik durch den Klimarat nicht unbedingt gewachsen ist, jenes in das eigene Tun dafür umso mehr. Negative Äußerungen – wie jene des eingangs zitierten ÖVP-Umweltsprechers – motivieren, anstatt zu entmutigen. Über die Qualität und Legitimität der 93 Empfehlungen kann ab heute vortrefflich gestritten werden. Auch über der Umsetzung der Forderungen schwebt ein großes Fragezeichen. Die Politik hat nach wie vor die Möglichkeit, sie in einer Schublade verschwinden zu lassen. Was aber bleibt, ist, dass in Österreich auf Bundesebene ein Rat stattgefunden hat, der demokratiepolitisch seinen Zweck erfüllt hat. Er hat Menschen (weiter) politisiert. ‚Die Linke‘ täte gut daran, daraus zu lernen.

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