Repression der Klimaproteste: Auseinandersetzung tut weh

Polizeikette läuft auf Demonstrant:innen in Lützerath zu

Der Widerstand in Lützerath und die Verkehrsblockaden heben den Kampf um Klimagerechtigkeit auf eine neue Stufe. Die Gegenseite antwortet mit Repression und Gewalt. Wie kann die Klimabewegung damit umgehen?

Ein Polizist steckt im Schlamm fest, ein:e Kolleg:in versucht, ihn herauszuziehen – und fällt auch in den Gatsch. Man hört hämische Rufe, dann wieder wütende und schmerzerfüllte Schreie. Die Videos von der Schlammschlacht in Lützerath, die am Wochenende Aktivist:innen und Polizei in Atem gehalten hat, gehen um die Welt. Es gibt hunderte teils schwer Verletzte, Menschen mit Brüchen und Hundebissen. Die Szenerie hat etwas von Mordor, nur sind die Orks besser ausgerüstet. Sie verfügen über Kameras, Drohnen, Reizgas und Zellen. „Der deutsche Staat hat seine Klimapolitik nicht mehr im Griff“, schreibt jemand auf Twitter. Was nicht ganz stimmt. Der Staat hat sie im Griff, zumindest aus Perspektive der fossilen Industrie, die aus dem Klimakollaps noch einmal ordentlich Euros herausholt. Was er tatsächlich nicht mehr ganz im Griff hat, ist ein wachsender Teil seiner Bevölkerung.

Trotz Regen, Kälte und Polizeigewalt bleiben tausende Menschen in- und um Lützerath standhaft. 35.000 beteiligen sich allein am Samstag an den Protesten, einige davon sind auch aus Österreich angereist. Parallel findet in Wien eine Solidaritäts-Demonstration mit 2000 Teilnehmer:innen statt. Lützerath ist ein Wendepunkt in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Während der Hambacher Forst von Dutzenden, manchmal Hunderten besetzt wurde, waren es in Lützerath Tausende. Auch die Aktionsformen werden entschlossener, man lässt sich nicht mehr alles gefallen. Prügeln die Cops, dann fliegen Gatsch und Silversterzubehör. Menschen bauen Tunnel, vereinzelt brennen Barrikaden.

Die Entwicklung einer ungehorsamen Klimabewegung

Was ist passiert mit der braven Bewegung, die sich in ihrer Mehrheit bis vor Kurzem noch von Sonntagsreden und vermeintlichen Zugeständnissen der Politik wegkuscheln ließ? Die neue Eskalationsstufe hat viel mit der Enttäuschung über die Grünen zu tun: Viele der Menschen, die in Österreich und Deutschland mit Fridays For Future (FFF) auf der Straße waren, hatten ihre Hoffnung auf sie gesetzt und ihnen zu Wahlerfolgen verholfen. Jetzt, wo klar ist, dass die Grünen die Sache nicht regeln werden, ist der Frust groß. Aus braven Appellen wird Widerstand.

Das zeigt sich nicht zuletzt bei den Blockaden, Soße-Attacken und sonstigen Sachbeschädigungs-Aktionen der Letzten Generation (LG). Diese wurden aus der Linken hart kritisiert, auch vom Autor dieser Zeilen. Die Kritik bleibt, was den strategischen Ansatz der Organisation betrifft. Dennoch muss man festhalten, dass sich die Aktivist:innen von LG besser gemacht haben, als von vielen Linken prognostiziert. Sie haben den aktivistischen Spielraum erweitert: Zunehmend sehen auch Leute aus dem liberalen bürgerlichen Mainstream zivilen Ungehorsam nicht unbedingt als das Mittel der Wahl, aber zumindest als diskutabel an.

Präventivhaft, Brandanschläge und Angriffe auf Kundgebungen

Dass zunehmend Menschen bereit sind, die Zerstörung unserer Zukunft nicht mehr nur zu kommentieren, sondern Widerstand zu leisten, hat auch eine Kehrseite: Repression und Gewalt. Das rechte Lager des bürgerlichen Mainstreams überbietet sich mit Hasstiraden gegen „Klimaterroristen“. FPÖ und AfD fordern Haftstrafen und Konservative ziehen nach. Dort wo sie regieren, ist die Haft bereits Realität. Wie in Bayern, wo 20 LG-Aktivist:innen teils über Weihnachten und Silvester für bis zu 30 Tage in Präventivhaft saßen. Wohl gemerkt ohne Gerichtsurteil – das relativ neue bayerische Polizeiaufgabengesetz macht es möglich.

In Niederösterreich hat ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner kürzlich Polizei, Feuerwehr und weiteren Organisationen zu einem „Gipfel” eingeladen, um ein härteres Vorgehen gegen Klimaprotest zu besprechen. „Mit ihren Angriffen auf die Klimabewegung und ihren Strafandrohungen bereiten die ÖVP und Mikl-Leitner den Boden für die Gewalt“, sagt Lena Schilling, Sprecherin von Jugendrat und LobauBleibt. Gerade die Bewegung gegen die Lobau-Autobahn kennt die Dynamik: Erst hetzen  Rechte, dann ziehen Teile des konservativen bis liberalen Mainstreams mit undschließlich kommt es zu physischer Gewalt, wie zum Brandanschlag auf die Lobau-Besetzung Ende 2021.

Auch bei den Verkehrsblockaden von LG kam es in Wien immer wieder zu Situationen, bei denen Autofahrer:innen auf Aktivist:innen losgingen, sie wegzerrten oder mit den Füßen traten. Vergangene Woche griff eine Frau eine Kundgebung von LobauBleibt vor der Deutschen Botschaft in Wien an. Die Aktivist:innen protestierten dort in Solidarität mit Lützerath. Die Frau verletzte einen Aktivisten mit einer ätzenden Flüssigkeit an der Hand, er wurde ins Spital gebracht. Diese Situationen sind keine Einzelfälle, sondern haben System. Deswegen muss die Klimagerechtigkeitsbewegung einen Umgang mit der steigenden Gewalt finden.

Die Antwort: Solidarität und Analyse

Es macht wütend, die Gewalt von Rechten und vom Staat am eigenen Körper zu erleben, es kann aufreiben, es kann demoralisieren. Aber es gibt Methoden, sich dagegen zu wappnen. Die erste ist Solidarität. In weiten Teilen der Linken war es bis vor einigen Jahren noch uncool, wenn es einem wegen Polizeigewalt schlecht ging. Daran hat sich viel geändert, nicht zuletzt auch dadurch, dass linkes Mackertum von Frauen und Queers innerhalb der Linken verhandelt wurde. Große Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung, die weiblicher und queerer sind als andere linke Bewegungen, sind gut darin, die Gewalt kollektiv aufzufangen. Sie kümmern sich zum Beispiel durch „Out of Action-Teams“ umeinander. Zum Kümmern gehören auch rechtliche Aspekte, solidarische Anwält:innen und Rechtshilfestrukturen wie die Rote Hilfe.

Die zweite Methode, mit der Gewalt gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung umzugehen, ist eine des Verständnisses für das, was passiert. Die Ebene der Analyse. Wir sind Teil einer Linken der Empörung. Diese ist zwar wichtig, sie kann Aufmerksamkeit schaffen und Antrieb dafür sein, dass sich etwas ändert. Aber manchmal verschleiert sie auch den klaren Blick. Denn: Über was sind wir eigentlich empört? Darüber, dass der bürgerliche Staat und seine rechten Lakaien keinen Widerstand gegen den fossilen Kapitalismus dulden? Sagt uns nicht unsere Analyse, dass es die Aufgabe des Staates im Kapitalismus ist, die kapitalistische Gesellschaftsordnung im Zweifel auch mit Gewalt durchzuboxen?

Wir müssen lernen damit umzugehen, dass Rechte uns angreifen und staatliche Organe uns zusammenschlagen und wegsperren werden. Denn genau das passiert in Zeiten des Aufruhrs, in Zeiten in denen die alte Ordnung in Frage gestellt, aber die neue noch nicht erkämpft ist. Wir müssen anerkennen lernen, dass Auseinandersetzung auch weh tut und dabei versuchen, nicht abzustumpfen. Dabei können wir uns am Widerstand von Lützerath orientieren.

Foto: Christoph Schnuell/@LuetziBleibt

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