Für immer mehr Menschen wird das Klima zur Fluchtursache. Wie die Klimakrise Menschen in die Flucht treibt, auf welche Weise Europa die Situation verschärft und wie es anders geht untersucht eine neue Arbeiterkammer-Studie von Sonja Buckel und Judith Kopp.
In den Staaten der arabischen Golfregion erreicht das Thermometer aktuell über 50 Grad. Schon in den nächsten Jahrzehnten könnten Teile Indiens und der arabischen Halbinsel aufgrund der Hitze für Menschen schlicht unbewohnbar werden. Diese und viele andere Beispiele illustrieren die Prognosen über Millionen zukünftiger Klimaflüchtlinge, die häufig durch die Medien geistern. Doch wir sollten diese Prognosen und die damit verbundenen Debatten aus mehreren Gründen kritisch betrachten.
Denn die Zahlen der erwarteten Klimaflüchtlinge gehen weit auseinander. Sie reichen von 25 Millionen bis zu einer Milliarde Menschen bis 2050. Solche Prognosen arbeiten mit vielen Vorannahmen und ignorieren, dass Menschen meist nicht aus einem einzelnen Grund fliehen. Es gibt immer mehrere Gründe für Menschen, ihr Zuhause zu verlassen. Außerdem begegnen Menschen den sich durch das Klima verschlechternden Bedingungen mit unterschiedlichen Strategien. Manche gehen, andere bleiben zurück weil ihnen die Mittel fehlen und wieder andere kämpfen vor Ort für bessere Lebensbedingungen. Die Prognosen, die durch die Medien geistern, befeuern meistens einen Alarmismus. Sie dienen weniger dazu eine andere Klimapolitik zu machen, sondern rechtfertigen die weitere Verschärfung des rassistischen Grenzregimes.
Klima als Fluchtursache ist kein Problem der Zukunft
Statt nur in die Zukunft zu blicken, reicht es vollkommen sich mit der Gegenwart zu beschäftigen. Die Klimakrise ist schon heute eine der zentralen Fluchtursachen. Allein zwischen 2008 und 2017 wurden 247 Millionen Menschen durch Naturkatastrophen vertrieben. Es sind Naturkatastrophen die – mit wenigen Ausnahmen – durch die Klimakrise verschärft werden oder ohne sie gar nicht stattfinden würden.
Dass Klimaflucht längt Realität ist wird hier jedoch wenig gesehen – denn die wenigsten dieser Menschen finden ihren Weg nach Europa. Die meisten Menschen migrieren innerhalb ihrer Länder, oft in die Elendsquartiere der Großstädte. Aber nicht nur Katastrophen wie Überschwemmungen oder Stürme vertreiben Menschen unmittelbar.
Klimakrise in Nigeria
Besonders betroffen von der Klimakrise ist etwa die Sahelzone. Im Norden Nigerias gingen die Niederschläge zwischen 1970 und Mitte der 2000er Jahre um 25 Prozent zurück. Immer mehr Menschen der weitgehend auf Landwirtschaft angewiesenen Bevölkerung verlieren so Ackerland und sind gezwungen in die Megastadt Lagos zu migrieren. Die am Meer gelegene Hauptstadt ist aber selbst durch den steigenden Meeresspiegel bedroht. Gerade die ärmeren Stadtteile sind durch Sturmfluten gefährdet.
Während die Klimakrise die Situation der breiten Bevölkerung immer weiter verschlimmert, wird an der Küste von Lagos ein neuer Stadtteil namens Eko Atlantic aus dem Boden gestampft. Finanziert, auch mit Geldern aus Europa, entsteht dort eine pseudo-ökologische Parallelwelt für einheimische und ausländische Eliten. Sie verdienen ihr Geld nicht zuletzt mit dem Erdöl, dass in Nigeria gefördert wird und die Klimakrise nicht nur zusätzlich anheizt, sondern auch lokal gravierende Umweltschäden anrichtet.
Syrien – Vor dem Bürger*innenkrieg kam die Dürre
Ein weiteres prominentes Beispiel für die Klimakrise ist Syrien. Es zeigt deutlich, wie verschiedene Faktoren zusammenspielen und Menschen in die Flucht treiben. 2007 und 2008 und dann noch einmal 2010 und 2011 war das Land von einer schweren Dürre betroffen – verursacht und verschärft durch die Klimakrise. 1,5 Millionen Menschen verloren ihre Lebensgrundlage in der Landwirtschaft und migrierten in die syrischen Städte. Die Nahrungsmittelpreise verdoppelten sich und bis zu drei Millionen Menschen rutschten dadurch in extreme Armut ab.
Die sozialen Folgen der Dürre sind auch darauf zurückzuführen, dass das Assad-Regime in den Jahren vor dem Bürger*innenkrieg weitreichende neoliberale Reformen durchführte. Der ab 2011 folgende Krieg ist natürlich keine simple Folge dieser Entwicklungen. Doch Klimakrise und neoliberale Politik haben den Boden geschaffen, auf dem der blutige Bürger*innenkrieg und die damit einhergehende Fluchtbewegung ihren Ausgang nahmen.
Ungleiche Folgen der Fluchtursache Klimakrise
Wie viele Menschen in Zukunft durch die Klimakrise ihre Lebensgrundlagen verlieren werden, ist schwer zu bestimmen. Noch schwerer ist es, Prognosen dafür abzugeben wie viele Menschen deswegen fliehen und migrieren werden. Nicht schwer zu bestimmen, sondern ganz eindeutig ist hingegen, wer für die Fluchtursache Klimakrise verantwortlich ist. Wir wissen auch sehr genau, was dagegen getan werden kann und wie wir sicherstellen können, dass Menschen nicht gehen müssen.
Die 10 reichsten Prozent der Weltbevölkerung verursachen mehr als die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen. Das reichste Prozent hat alleine 15 Prozent der Emissionen auf der Kappe. Doch nicht nur zwischen Reichen und Armen besteht ein krasses Ungleichverhältnis, sondern auch zwischen den Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens. Das gilt umso mehr, wenn wir nicht nur aktuelle, sondern auch historische Emissionen berücksichtigen. Die Art und Weise wie wir im globalen Norden und insbesondere in Europa produzieren und konsumieren, geht auf Kosten anderer.
Die Menschen im globalen Süden tragen die unmittelbaren Folgen der Rohstoffausbeutung und sind am schwersten von der Zerstörung durch die Klimakrise betroffen. Diese Ungleichheit wird durch ein globales Wirtschafts- und Handelssystem und ein immer brutaleres Grenzregime aufrechterhalten, dass die Menschen daran zu hindern versucht, in die verbliebenen Wohlstandszonen zu gehen.
In der EU wird dieser Tage viel über angeblich ambitionierte Klimaziele gesprochen. Doch die europäische Klimapolitik kümmert sich bisher nicht um Fragen globaler Gerechtigkeit und schon gar nicht um das Recht von Menschen, nicht gehen zu müssen. Stattdessen setzt die EU nach wie vor auf die Ausdehnung des neoliberalen Handelsregimes – mit den entsprechenden Folgen für die Menschen im globalen Süden und das Klima.
Fluchtursachen bekämpfen bedeutet Klimagerechtigkeit
Eine wirklich klimagerechte Politik muss mit der Erkenntnis beginnen, dass wir die Produktions- und Lebensweise hier in Europa radikal umbauen müssen. Das ist nicht nur die Voraussetzung dafür, dass Menschen im globalen Süden nicht gehen zu müssen. Ein solcher Umbau kann für Menschen in Europa auch ein besseres Leben bedeuten – etwa kürzere Arbeitszeiten, bessere und leistbare regionale Lebensmittel und Arbeitsplätze, die nicht zur Zerstörung unsere Lebensgrundlagen beitragen.
Die Fluchtursache Klimakrise ernst zu nehmen heißt aber auch, historische und aktuelle Ungerechtigkeiten anzugehen. Berücksichtigt man historische Emissionen, reicht es nicht, dass Österreich seine Emissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent senkt. Österreichs Emissionen müssen um 200 Prozent sinken. Das geht natürlich nur dann, wenn man zusätzlich zu einer radikalen Klimapolitik in Österreich mittels Geldern und Technologietransfers Länder im globalen Süden dabei unterstützt, Emissionen einzusparen. So könnten Österreich und andere Staaten des globalen Nordens versuchen einen Teil des Schadens zu beheben, den das eigene Entwicklungsmodell angerichtet hat.
Klimaflucht ist eine Realität
Schließlich müssen wir aber anerkennen, dass auch die beste Politik die Klimakrise nicht mehr abwenden wird. Sie ist längst Realität. Schon heute treibt das Klima Menschen in die Flucht und das wird sich angesichts steigender Temperaturen und Meeresspiegel noch eine Weile fortsetzen. Für jene Menschen, die durch den fossilen Kapitalismus ihre Heimat verlieren, braucht es Lösungen. Das beginnt damit, das Klima als Fluchtgrund anzuerkennen. Es braucht aber noch viel mehr. Staaten könnten nach dem Verursacherprinzip, also entsprechend aktueller und historischer Emissionen, Menschen aufnehmen. Statt Gemeinschaften auseinanderzureißen braucht es Unterstützung, damit Menschen gemeinsam gehen können, wenn sie schon gehen müssen. In Lousiana verloren die Indigenen des Biloxi-Chitimacha-Choctaw Volks durch Erosion und steigenden Meeresspiegel 98 Prozent ihres Landes. Sie forderten daraufhin vom Staat neues Land und Infrastruktur landeinwärts. Und setzten sich durch. Ein erstes Beispiel, wie Klimaflucht kollektiv organisiert werden kann.
Nichts von all dem wird passieren, wenn wir uns nicht mit jenen Interessen anlegen, die unseren Planeten verbrennen: dem fossilen Kapital und seinen (neo)liberalen Apologet*innen. Denn sie wollen uns weis machen, wir könnten das Klima retten ohne dass sich an unserer Wirtschafts- und Lebensweise etwas ändert.