Auf einen Rekordsommer voller Tropennächte, Waldbränden und Meerestemperaturen weit über den üblichen Messwerten folgten im September großräumige Überschwemmungen in Zentraleuropa. Das 1,5-Grad-Ziel, die zentrale Forderung der letzten Jahre in der globalen Klimabewegung, ist in weite Ferne gerückt. Im Angesicht ihres Scheiterns öffnen sich jedoch auch neue Handlungsspielräume. Verena Gradinger und Simon Weingartner plädieren für eine solidarische Politik in Zeiten des Klimakollaps.
Jahrelang wurde argumentiert, die Klimakrise sei nicht greifbar und läge zu weit in der Zukunft. Inzwischen hat sich das geändert. Auf monatelange Hitzewellen vom Balkan bis zur iberischen Halbinsel und nie gemessene Wassertemperaturen im Mittel- und im Schwarzen Meer folgten Rekord Niederschlagssummen von Polen bis Österreich. In Teilen Niederösterreichs fiel binnen 5 Tagen über 400 l Regen pro Quadratmeter, eine bis dahin schier unvorstellbare Menge. Beim weltweiten Klimastreik am 20.9. in Wien gingen wenige Tage nach den Unwettern und kurz vor der Nationalratswahl rund 6.000 Menschen auf die Straße. Wenn man bedenkt, dass kurz zuvor noch ganze Dörfer unter Wasser standen, ist das ein Alarmsignal für die Klimabewegung. Statt weite Teile der Bevölkerung von der Notwendigkeit einer radikalen Klimapolitik zu überzeugen, scheint sich diese gerade im Angesicht eines Klimakollaps immer weiter nach Rechts zu bewegen.
Die Klimabewegung ist gescheitert – und mit ihr die Pariser Klimaziele
Die Klimabewegung hat es geschafft, hunderttausende, vor allem junge Menschen auf die Straße zu bringen. Sie hat mit spektakulären Aktionen des zivilen Ungehorsams tausende Aktivist*innen in die Kohlegruben mobilisiert. Sie hat damit die zeitweise Auseinandersetzung einer breiten Öffentlichkeit mit der Klimakrise erzwungen. Trotzdem ist sie mit ihren Forderungen im Wesentlichen gescheitert.
Das beweist die einzig relevante Statistik: die weltweiten Emissionen steigen immer noch. Expert*innen sind sich inzwischen weitgehend einig: eine Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 °C, wie sie die UN-Vollversammlung 2016 im Pariser Klimaabkommen von der UN-Vollversammlung zum gemeinsamen Ziel ernannt hat, ist aussichtslos. Stattdessen deuten derzeitige Prognosen auf einen Anstieg der weltweiten Temperaturen von mindestens 2,5 °C hin. Viele Wissenschaftler*innen halten auch diese Schätzungen noch für zu optimistisch. Der geplante Fokus der neuen EU Kommission von Sicherheits- und Migrationspolitik stellt dabei kein Ende einer gemeinsamen europäischen Klimapolitik dar, sondern deren strategische Neuausrichtung als “grüne” Festung Europa. Die Klimabewegung und die Gewerkschaften scheinen hingegen immer noch an einem Klassenkompromiss festzuhalten. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Folgen immer häufigerer und intensiverer Extremwetterereignisse wird dieser nicht umsetzbar sein.
Mit offenen Augen in die Klimakatastrophe
Wie kann also eine radikale linke Politik in Zeiten zunehmender klimatischer Instabilität aussehen? Ein neuer Ansatz kommt von der Gruppe “Preppa tillsammans” aus Schweden. Im Deutschen wird dazu meist unter Begriffen wie “Solidarisches Preppen” oder “Solidarische Kollapspolitik” diskutiert. Dabei organisieren sich Menschen in lokalen Gruppen, um sich gemeinsam auf Ausnahmesituationen unterschiedlicher Art vorzubereiten. Sie betrachten den Klimakollaps als einen Prozess, der sich in Form immer häufigerer und schwererer Krisen vollzieht, nicht als Ereignis, das die Welt von einem Tag auf den anderen in Schutt und Asche legt. Es werden Vorräte angelegt, der Umgang mit medizinischer Schutzausrüstung oder Gartenbau zur Lebensmittelversorgung erlernt. Gleichzeitig werden zivilgesellschaftliche Strukturen aufgebaut, mit dem Ziel, durch die gemeinsame Bewältigung von Krisen die kollektive Handlungsfähigkeit zu stärken.
Mit Blick auf Österreich sind vor allem zwei Problematiken erkennbar, die in zunehmendem Ausmaß weite Teile der Bevölkerung betreffen. Die zunehmende Hitze trifft vor allem die Städte und die Landwirtschaft. Unwetter inklusive Starkregen, Sturm und Hochwasser können hingegen alle Regionen treffen. In der Südsteiermark und in Kärnten sind Unwetterschäden inklusive regelmäßiger Stromausfälle und von der Umgebung abgeschnittene Dörfer bereits die Normalität. Es gibt mit etablierten Organisationen wie der Freiwilligen Feuerwehr Strukturen, die im weiteren Sinn nach der Logik der gegenseitigen Hilfe funktionieren. An sie gilt es anzuknüpfen und Leerstellen ausfindig zu machen. Auch wenn der Moment in Österreich noch weit entfernt scheint, werden auch hier staatliche Institutionen schrittweise an ihre Grenzen kommen, je mehr sich die Klimakrise zuspitzt.
Handlungsfähig werden und andere handlungsfähig machen
Eine Strategie der solidarischen Kollapspolitik heißt nicht, für ein paar Tage ins Hochwassergebiet zu fahren, ein wenig aufzuräumen und anschließend nach einem Social-Media-Posting wieder abzureisen. Die Klimakatastrophe ist nicht vorbei, wenn das Wasser wieder abfließt. Für die Menschen, deren Häuser unter Wasser standen, beginnt sie dann erst richtig. Die Betroffenen fühlen sich oftmals – nicht zu unrecht – von niemandem vertreten und enden schließlich in der politischen Apathie. Auch in solchen Szenarien kann solidarische Politik für einen Klimakollaps Leerstellen füllen.
Die Einsicht der Notwendigkeit solcher Vorkehrungen darf nicht zur Aufgabe des eigenen politischen Anspruchs führen. Statt uns in unseren (Bezugs-)Gruppen zurückzuziehen, bezieht das Konzept der solidarischen Kollapspolitik auch jene Menschen mit ein, die die Linke in den vergangenen Jahren oft vergessen hat. Über die Strukturen, die wir uns in der Krise gemeinsam schaffen, können wir Menschen von unseren Ideen überzeugen. Dafür müssen wir sie in der Praxis umsetzen. Gleichzeitig wissen wir, dass nicht alle Menschen gleichermaßen von der Klimakrise betroffen sind. Arbeiter*innen, Migrant*innen, all die Menschen, für die wir derzeit Politik machen wollen, sind beim solidarischen Preppen diejenigen, mit denen wir uns gemeinsam auf die Katastrophe vorbereiten. Zur Bewältigung der Klimakrise braucht es die Verschränkung dieser Kämpfe.
Die Frage ist nicht ob, sondern wie
Voraussetzung für all das ist die Einsicht, dass bisherige Strategien gescheitert sind und die weitere Eskalation der Klimakrise nicht aufzuhalten ist. Das bedeutet nicht, dass der Kampf um jedes zehntel Grad nicht weiterhin geführt werden muss. Jedoch müssen wir uns von der Illusion einer solidarischen grünen Transformation für alle verabschieden. Erst wenn dieser Schritt getan ist, können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und eine neue Bewegung entstehen lassen. Fakt ist, ein “Weiter wie bisher” kann sich weder die Klimabewegung noch die Linke als Ganzes leisten.
Solidarische Kollapspolitik ist dabei nur ein Vorschlag, der wie andere Wege auch breit diskutiert werden muss. Es handelt sich bei der Vorbereitung auf die absehbaren Folgen eines Klimakollaps jedoch nicht vordergründig um ein politisches Programm. Vielmehr ist es die schiere Notwendigkeit, die Menschen dazu treibt. Die Frage sollte also nicht sein, ob die Linke sich mit solidarischer Kollapspolitik auseinandersetzen muss. Es geht darum, wie sie diese so betreiben kann, dass sie nicht bloße Selbstverteidigung in der Krise bleibt, sondern auch zu einer (re-)Politisierung breiter Bevölkerungsschichten führt.
Foto: BMLV/Paul Kulec