Kindergarten: Start einer solidarischen Gesellschaft?

Dieses Jahr fanden in Österreich einige Landtags- und Gemeinderatswahlen statt. Teil der Ergebnisse ist das Erstarken der rechtsextremen FPÖ. Und vor zwei Wochen veranstaltete die Gruppe „Wir ElementarpädagogInnen protestieren“ in Wien eine Demonstration für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in ihrem Beruf. Doch was hat ein Rechtsruck mit den schlechten Bedingungen im Berufsfeld Kindergarten zu tun? Der Elementarpädagoge Alexander Kerschbaum über das Potential des Kindergartens für die Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft von unten.

Einige hunderte kamen zur Demonstration hinter dem Rathaus in Wien, das Potential wäre jedoch um ein Vielfaches höher gewesen. Während meiner Ausbildung zum Kindergartenpädagogen lernte ich eines sehr schnell: Die Bedingungen sind weit davon entfernt, annehmbar zu sein. Das abwechslungsreiche Bildungsangebot, das wir während unserer Ausbildung lernen vorzubereiten und mit den Kindern umzusetzen, ist später im Beruf so nicht umsetzbar. Klar, in jeder Ausbildung wird versucht, den Idealzustand zu vermitteln, die Umsetzung wird dann aber natürlich an die Arbeitsumstände angepasst. Die Substanz, mit der die/der Elementarpädagog_in arbeitet, ist jedoch mit kaum einer anderen vergleichbar: Kinder, und zwar im Alter von 2 bis 6 Jahren. In diesem Alter finden Lernprozesse statt, die später nicht mehr ausgeglichen oder nachgeholt werden können. Diese jungen Menschen werden im Kindergarten für ihr restliches Leben vorbereitet, für die Schule, für die Arbeitswelt, für ihre sozialen Kontakte, für Partner_innenschaften und die Teilnahme an einer Gesellschaft. Die späteren Ärtzt_innen, Mechaniker_innen, Lehrer_innen, Politiker_Innen und Kindergartenpädagog_innen sind heute in diesem Alter. Sollten wir als Gesellschaft nicht versuchen, sie bestmöglich vorzubereiten, keine Kosten und Mühen scheuen um ihnen vielfältiges spielerisches Lernen zu ermöglichen?

Pädagog_in ärger dich nicht!

Einige der Forderung der Demonstration von „Wir ElementarpädagogInnen protestieren“ waren ein einheitliches Bundesrahmengesetz, die Anpassung des Betreuungsschlüssels entsprechend modernen wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Verringerung der Kinderanzahl in den Gruppen.

Derzeit gibt es 9 verschiedene Gesetze. In jedem Bundesland ein anderes, weil diese mit Hilfe der Gemeinden die Bezahlung übernehmen. Das führt beispielsweise dazu, dass Freunderlwirtschaft bei der Postenbesetzung in den Gemeinden und Ländern selbstverständlich ist und dass einige Länder für gut ausgebildetes Fachpersonal weniger attraktiv sind, als andere. Beispielsweise im Burgenland, wo die Bezahlung um bis zu 400 Euro geringer ist als im angrenzenden Niederösterreich oder Wien.

Der Betreuungsschlüssel, legt fest, wie viele Kinder von einer/einem Pädagogin/Pädagogen betreut werden können. Derzeit soll eine Betreuungsperson bei Gruppengrößen von bis zu 25 Kindern, in Ausnahmen sogar darüber, 12 bis 17 Kinder gleichzeitig im Blick haben soll. Ich brauche gar nicht erläutern, was in Ausnahmesituationen wie etwa einem Unfall, passiert. Es genügt festzuhalten, dass die Aussage „Ich kann während der Arbeit nicht mal aufs WC gehen“ Alltag im Kindergarten ist.

Die Gruppengröße ist für die Räumlichkeiten einer Kindergartengruppe erwiesenermaßen zu hoch. Zu wenig Überblick, zu wenig Zeit für jedes einzelne Kind, eine Lärmkulisse wie in einer Fabrikshalle. Wollen Sie, dass ihre Kinder unter solchen Voraussetzungen für ihr eigenständiges Leben lernen? Nein? Die Pädagog_innen auch nicht. Die Lärm- und Stressbelastung ist weder für Kinder, noch für das Fachpersonal angemessen. Die sollen nämlich nebenbei auch noch administrative Arbeit zu der Gruppensituation leisten.

Kindergarten – Ort der Geborgenheit?

Dass unter solchen Voraussetzungen geeignete Bildungs-, Betreuungs- und Sozialisierungsarbeit nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Denn jedes Kind bringt die unterschiedlichsten Erfahrungen und Entwicklungsstände mit. Deshalb ist manchmal unvorhergesehen viel Zeit für ein oder mehrere Kinder nötig. Doch wäre der Kindergarten eigentlich der ideale Ort, um Kindern zu zeigen, wie Menschen einander helfen. Gemeinsames Spielen und Lernen leitet zum Teilen und zu Diskussionen an. Indem viele unterschiedliche Kinder aus unterschiedlichen Familien zusammenkommen und einen Gruppenraum mit einer gewissen Ausstattung an Spielsachen und Lernmaterialien zur Verfügung haben, lernen sie, wie jede und jeder etwas abbekommt und wie Hilfe angeboten und angenommen werden kann. Aber nur dann, wenn nicht zu viele gestresste Kinder, mit einer gestressten und überforderten Pädagog_in in einem Raum sind, der finanziell ausgehungert ist. Dann machen sich Neid, Wut, Frustration, Ängste breit. Wie eben in unserer Gesellschaft.

Deutsch lernen bis zur Schule?!

Ein spezieller Fall sind Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch war. In einem Kindergartenmodell, in dem kaum Zeit bleibt, sich mit Kindern zu beschäftigen, die dieselbe Sprache sprechen, ist es umso schwieriger den Fokus auf nicht deutschsprachige Kindern zu legen. Diese bleiben, aufgrund der eingeschränkten Förderungsmaßnahmen, oft zurück, oder werden sogar ausgeschlossen. Es entsteht häufig ein unterschwelliger Rassismus, der zu Gruppenbildung in der Kindergartengruppe führt. Auch wenn Pädagog_innen Rassismus nicht als bewusste Handlung setzen – das kann ja kaum eine/r ernsthaft wollen – bleibt schlussendlich einfach zu wenig Zeit und Energie. Denn für Kinder, die noch nicht Deutsch sprechen, muss sich jede/r ein paar Momente mehr Zeit nehmen. Doch wenn Elementarpädagog_Innen schon für den alltäglichen Gang aufs WC zu beansprucht sind, ist es schwierig bei speziellen Deutsch Förderprogrammen nicht vielleicht einmal aus der Fassung zu kommen. So kann es passieren, dass die restlichen Kinder unterschwellig vermittelt bekommen, dass dieses Kind „Probleme“ verursacht. In Folge holen sich Kinder, die ausgeschlossen werden, nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, oder sich nicht als vollwertig sehen, durch Verhaltensmuster Aufmerksamkeit, die die „Norm“ verlassen. Sie tun das, weil es funktioniert. So entsteht schnell der Eindruck vom schlimmen „Ali“ und dem Peter daneben, der ist brav. Aber der Peter bekommt auch genug Anerkennung. Folglich lässt sich sagen, dass auch Rassismus schon im Kindergarten seine Wurzeln haben kann.

Gesellschaft verändern

Der Kindergarten könnte ein Hort des Guten sein, ein behüteter Ort, an dem Kinder erfahren, wie gut eine Gesellschaft zusammenarbeiten kann. Ein Ort, der keinen Platz für Hass, Neid und Angst lässt. Wenn die Kinder dann diesen Ort verlassen und erkennen, wie der Rest der Gesellschaft, etwa die Arbeitswelt oder die Gesellschaft insgesamt funktioniert, werden sie vermutlich sehr schnell Änderungsvorschläge haben, denn so funktioniert Bildung. Aber eben nur, wenn sie selbstbestimmt aufwachsen und sich Veränderung zutrauen und nicht am Alltag verzweifeln, „weil´s eh schon immer so war“.

Politik? Ein Kinderspiel!

Scheinbar schafft es keine Partei links der SPÖ oder der Grünen auf die berechtigten Sorgen der Bevölkerung nach 7 Jahren Krise Antworten zu geben. Linke Gruppierungen fordern etwa eine solidarische Gesellschaft, als auch ein Ende der Sparpolitik der EU, und/oder einen Bruch mit dem Kapitalismus. Die Proteststimmen aufgrund einer verfehlten Krisenpolitik fängt aber derzeit die rechte FPÖ ab Mit einer regierenden FPÖ kann die Situation jedoch unmöglich besser werden, wie etwa die Schwarzblaue Bundesregierung in den Jahren nach 2000 bewiesen hat, denn sie verändert nichts am System, außer zum Schlechteren. Sie nutzt es sogar für eigene Interessen aus. Immer wieder ist von Veränderung, von Formation von unten die Rede. Eine neue linke Kraft muss her? Warum dann nicht ganz unten anfangen? Durch eine Reformation des Bildungssektors, ganz besonders des Kindergartens und der Volksschule kann politische Veränderung entstehen. Der Kindergarten hat eine besondere Kraft, er legt wie keine andere Institution die Grundbausteine unserer Gesellschaft. Lasst uns Kinder eine solidarische Gesellschaft erfahren und sie werden die Gesellschaft für uns alle solidarisch machen. Alles was wir den Kindern heute ermöglichen, werden sie uns morgen doppelt zurückgeben.

Alexander Kerschbaum ist ausgebildeter Kindergartenpädagoge und Aktivist der Jungen Grünen Burgenland und der Offensive gegen Rechts Burgenland.

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