Das politische Jahr 2024 gibt wenig Grund zur Hoffnung. Vielmehr ist alles schlimmer geworden. Woran können wir uns noch festhalten? Luca Niederdorfer und Hannes Grohs mit einer Einschätzung aus der mosaik-Redaktion.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist in der Krise. Antifaschismus muss sich neu erfinden. Sozialpolitische Themen gehen im öffentlichen Diskurs unter. Diesen Beschreibungen des Zustands linker Politik steht eine bittere Realität entgegen: Die Klimakatastrophe schreitet in Riesenschritten voran. Rechtsextremismus erfährt eine Normalisierung, die uns an die 1930er erinnern muss und die soziale Lage der Menschen verschlechtert sich stetig: Preissteigerungen, Pflegenotstand, Wohnungsnot.
Auch wenn wir den Blick auf andere Kämpfe richten, scheint die Lage hoffnungslos. Anti-Abschiebe- bzw. Anti-Rassismus-Kämpfe haben aktuell nicht die Kraft, die sie schon einmal entwickelt hatten und die es aktuell bräuchte. Auch feministische Bewegungen sind nach der erfolgreichen Politisierung des Begriffs ‚Femi(ni)zid‘ auf der Suche nach einer erneuerten Praxis. Über allem schwebt die Unfähigkeit ‚der Linken‘, eine gemeinsame Position in den Wirren der derzeitigen globalen Kriegssituationen zu entwickeln. Es gelingt nicht einmal, überhaupt konstruktiv in Diskussion zu kommen – egal, ob in Bezug auf Ukraine-Russland oder Israel-Palästina. Selbst in Syrien wurden zuletzt teils unverständliche Hoffnungen in die islamistische HTS gesetzt.
Aber ist wirklich alles so schlimm oder betreiben wir Katastrophendenken? Genau diese Frage haben wir uns auch in der mosaik-Redaktion gestellt und sind zu dem Ergebnis gekommen: Ja, es ist wirklich so schlimm und ja, das tut weh, macht verzweifelt und auch oft müde. Aber – und hier kommt der Strohhalm, an den wir uns so bitterlich klammern müssen – es macht uns nicht hoffnungslos.
Marschierende FPÖ...
Ein parteipolitischer Rückblick auf das Jahr 2024 zeigt vor allem eins: Den Durchmarsch der FPÖ. Nachdem im Jänner noch knapp 80.000 Menschen bei einer der größten Demos gegen Rechts der letzten Jahre waren, war von dem großen Aufschrei wenige Monate später nicht mehr viel übrig. Die FPÖ konnte beide bundesweiten Wahlen dieses Jahres für sich entscheiden – die Wahl zum EU-Parlament im Juni mit 25 % der Stimmen und die Nationalratswahl Ende September mit 28,85 %. Außer einer mittelstark besuchten Donnerstagsdemo in Wien herrschte in der Linken vielerorts Ernüchterung und Resignation.
Noch dicker kam es zwei Monate später bei der steirischen Landtagswahl. Dort triumphierte die FPÖ mit 35 %. Der Sieg in der Steiermark hatte zur Folge, dass es mit Mario Kunasek den ersten blauen Landeshauptmann in Österreich seit Jörg Haider bzw. Gerhard Dörfler in Kärnten gibt. Apropos Bundesländer: Die FPÖ ist aktuell an fünf der neun Landesregierungen in Österreich beteiligt. Abgesehen vom Landeshauptmannsessel in der Steiermark stellt sie in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg den Juniorpartner der ÖVP dar. Das ist schwer zu ertragen und lässt einen angesichts der politischen Aufgaben, die sich eigentlich stellen würden, ratlos zurück.
…und verlorene Sozialdemokratie
Ähnliches gilt für den Zustand der österreichischen Sozialdemokratie. Die Wahl von Andi Babler zum Parteivorsitzenden weckte auch in die nicht-SPÖ-Linke hinein Hoffnungen. In zählbaren Erfolg ließ sich das bislang nicht ummünzen. Bei den bundesweiten Wahlen stagnierte die SPÖ auf niedrigem Niveau (EU-Wahl: 23,2 %, NR-Wahl: 21,1 %). In der Steiermark fällt die Partei auf 21,4 % und erreicht damit einen neuen historischen Tiefpunkt. Querschüsse in der eigenen Partei machen es Babler nicht gerade leicht. Doris Bures hinterfragt öffentlich das Wahlprogramm. Der rechte Flügel von Doskozil bis Dornauer kann den FPÖ-Sprech nicht lassen und Clowns wie Rudi Fußi lenken von inhaltlichen Debatten ab.
Statt die Reihen zu schließen, verfällt die SPÖ nach der anfänglichen Babler-Euphorie in alte Muster. Statt Kanzleranspruch und progressiven Wahlversprechen stehen die Zeichen wieder auf staatstragender Anbiederung und Kompromissen. Den Versuch einiger, die eingerosteten Strukturen der SPÖ durch das Ziel der Mitmach-Partei etwas aufzubrechen, sollte man zumindest anerkennen. Doch auch sie müssen sich die Frage stellen, wann und ob die SPÖ wieder anfängt, kämpferische und zugleich anschlussfähige Politik von links zu machen.
Rückkehr der Kommunist*innen
„Aber die KPÖ…!“, möchte man einwerfen, wenn sich schon mit der parteipolitischen Landschaft auseinandergesetzt wird. Ja, die KPÖ hat im vergangenen Jahr beachtliche Erfolge gefeiert und den Trend der Jahre davor – mit Ausnahme der Steiermark – fortgesetzt. Begonnen hat es 2024 in Salzburg. Bei den Gemeinderatswahlen im März konnten die Kommunist*innen ihren Stimmanteil auf 5,4 % steigern. In der Stadt Salzburg lag die KPÖ mit 23,1 % nur knapp hinter der SPÖ und wurde zweitstärkste Kraft. KPÖ-Spitzenkandidat Kay-Michael Dankl zwang sein SPÖ-Gegenüber – Bernhard Auinger – in eine Stichwahl um den Posten des Bürgermeisters. Dankl verlor, erreichte aber mit über einem Drittel der Stimmen ein beachtliches Ergebnis. Den nächsten Erfolg für die KPÖ konnten dann bereits ein Monat später Pia Tomedi verbuchen. Mit ihr als Spitzenkandidatin zog die KPÖ mit 6,72 % und drei Mandaten erstmals in den Gemeinderat in Innsbruck ein.
In ihren Wahlkämpfen setzte die KPÖ fast ausschließlich auf das Thema „Wohnen“. Das funktionierte auf Landesebene. Auf Bundesebene blieb der große Wurf aus. 2,4 % sollten es sowohl bei EU- als auch Nationalratswahl werden. Das sind zwar jeweils durchaus historische Ergebnisse. Von einem Einzug in die jeweiligen Parlamente ist die Partei damit jedoch noch weit entfernt. In der Steiermark – mit der KPÖ-Hochburg Graz – verlor die KPÖ vor einem Monat zum ersten Mal seit Längerem bei einer Wahl. Wobei es für den Wiedereinzug in den Landtag noch knapp reichte.
Hoffnung (!) gibt der neue (oder wiederentdeckte) Politikstil der KPÖ. Nahbare Spitzenkandidat*innen, die ansprechbar sind und den Großteil ihres Gehalts in einen Sozialtopf zahlen; weniger ideologischer Staub, aber immer noch deutliche Positionen. Das ließ nicht zuletzt auch die tief in der Krise befindliche Partei „Die LINKE“ in Deutschland neidisch zum kleinen Nachbarn blicken. Das Ergebnis in der Steiermark ist ein Dämpfer. Kommende Urnengänge werden zeigen, wie nachhaltig das aktuelle Projekt der KPÖ auf Wahlebene ist.
Bewegungstief…
Sich alleine auf die KPÖ oder Wahlen zu verlassen, wäre aber ohnehin ein Fehler. Es braucht starke Bewegungen, die die parlamentarische Politik vor sich hertreiben. Die selbst in der Lage sind, Diskurse zu setzen und Angebote der Politisierung zu machen. Diese Bewegung(en) gibt es in Österreich momentan nicht beziehungsweise wenn, nur stark eingeschränkt. In diese Feststellung und gleichzeitige Kritik schließen wir uns auch als mosaik ein. Wenn wir von einem Bewegungstief sprechen, sitzen wir alle in einem Boot – seien es kritische Medien, Antifaschismus oder Klimagerechtigkeit.
Das soll aber nicht heißen, dass etwa die „Antifa“ nicht weiter wichtige Arbeit macht. Erst vergangenen Donnerstag skandalisierten verschiedene antifaschistische Gruppen den Auftritt des AfD-Politikers Maximilian Krah im Wiener Ferdinandihof und mobilisierten dagegen. Rechtsextreme Netzwerke offenzulegen, ihnen zu zeigen, dass sie beobachtet werden, und dass sie nicht einfach tun können, was sie wollen, ist enorm wichtig. Gleichzeitig wird diese Form des Antifaschismus angesichts der aktuellen Normalisierung des Rechtsextremismus zur Bekämpfung desselben nicht ausreichen.
Die antifaschistische Bewegung befindet sich hier genauso in einem Suchprozess, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung in Bezug auf ihre Praxis – wie etwa hier und hier nachzulesen ist. Die Hoffnung dabei: Es tut sich bereits etwas. In der Kampagne „Wir fahren gemeinsam“ arbeiten Klimaaktivist*innen, Busfahrer*innen und die Gewerkschaft zusammen. Angesichts zunehmender Unwetterereignisse als Folge der Klimakatastrophe wird eine solidarische Klimakollapspolitik zumindest schon diskutiert. In Lichtenwörth wird mit lokalen Initiativen und einem von der Enteignung bedrohte Bauern zusammengearbeitet. Europaweit scheint sich die Bewegung bspw. um die Themen Wassergerechtigkeit und fossilen Kapitalismus wieder stärker zu vernetzen. Welche Kraft diese Ansätze entfalten können, bleibt abzuwarten.
…oder Schwäche der Organisierung
Wir sollten aber auch aufhören, es uns zu einfach zu machen. Das tun wir, wenn wir immer wieder schlicht von einem Bewegungstief sprechen. Das Modell von Aufstieg, Höhepunkt, Abflauen sowie Ende und/oder Neubeginn sozialer Bewegungen mag für bestimmte Kontexte und Analysen seine Berechtigung haben. Doch in der aktuellen Situation hilft es uns nur bedingt weiter, von Bewegungsfrühling, -sommer, -herbst und -winter zu sprechen. Vor allem dann nicht, wenn wir uns in naturalistischer Weise darauf verlassen, dass auf den Winter schon der Frühling folgen wird.
Wir müssen raus aus der Logik aktivistischer Zyklen. Wir müssen Organisationen bzw. Organisierungsweisen aufbauen, die es schaffen, aktuelle politische Lagen und Entwicklungen entsprechend zu analysieren und darauf aufbauend zu agieren. Wir brauchen politisch aktive Menschen, die ihr Leben ganz allgemein politisch denken und nicht nach Jahreszeiten einteilen. Wir brauchen Zusammenarbeit und kein stures Abspulen unserer aktivistischen Schubladen. Vom Denken außerhalb der eigenen Praxis würden auch andere Kämpfe profitieren. Und zwar jene, die aktuell extrem wichtig sind, bei denen es aber oft an Ressourcen oder entsprechender Prioritätensetzung in etablierten Gruppen fehlt: Anti-Abschiebe-Kämpfe, feministische Zusammenschlüsse und (post-)migrantische Selbstorganisierung.
Diese verdammte Müdigkeit
Natürlich sind wir uns bewusst, in welcher Welt wir leben. Das, was wir hier so locker fordern, ist in einer neoliberal eingerichteten, auf Konkurrenz basierenden Gesellschaft nicht so einfach umzusetzen. Das gilt nochmal mehr für diejenigen von uns, die bspw. nicht von Klassenprivilegien oder der ‚richtigen‘ Staatsbürger*innenschaft profitieren. Die Aufforderung, das Leben als solches politisch zu denken, soll den Leistungsdruck, der tagtäglich auf uns einprasselt, nicht zusätzlich erhöhen. Vielmehr sollte sie Anlass geben, uns davon loszusagen. Denn abgesehen von all den politischen Verschlechterungen um uns, macht uns vor allem eines Sorgen: Diese verdammte Müdigkeit. Wie viele Menschen habt ihr in eurem Umfeld, die sich ausgebrannt fühlen, ständig gestresst und emotional leer? Wie viele Menschen kennt ihr, die noch mit einem – den Ernst der Lage nicht verkennenden, aber trotzdem – Lachen auf dem Gesicht Politik machen?
Während die Zahl der ersten Gruppe in unserem Umfeld immer weiter steigt, wird die Zahl der zweiten Gruppe immer weniger. Analysen in diese Richtung häufen sich. Mit Blick auf die gesamte Bevölkerung schreibt etwa Mario Candeias: „Die permanenten Überforderungen und Zumutungen zuerst der Jahrzehnte des Neoliberalismus, dann der Krisen des Interregnums und derzeit der hart umkämpften Transformation führen in großen Teilen der Bevölkerung zu Erschöpfung und zum Rückzug ins Private.“ Das merken wir auch in unserer politischen Organisierung und es macht uns Angst. Wie mit der Gleichzeitigkeit politischer Dringlichkeit und dem Eingestehen von Erschöpfung umgehen?
Solidarität als Hoffnung
Anders formuliert: Was bleibt uns, wenn es überall brennt und wir uns schon länger nicht mehr in der Lage fühlen, zu löschen? Unsere Antwort ist relativ einfach: Solidarität – das bedingungslose Einstehen füreinander, der Aufbau von Vertrauen und Mitgefühl. Aber auch das Sich-gegenseitig-etwas-zumuten. Solidarität klingt als Schlagwort billig. Aber wenn wir es mit Leben füllen, ist es tatsächlich simpel. Denn unsere Solidarität kann uns niemand nehmen. Wir können uns gegenseitig stärken und dadurch auch Pausen erkämpfen. Denn durch Solidarität können wir uns den Anforderungen dieser Welt auch ein Stück weit entziehen. Wir müssen nicht mehr alles gleichzeitig sein, was es scheinbar braucht, um mit den Krisen dieser Welt klarzukommen: informiert, aktiv, kämpferisch. Wir können uns das aufteilen und darüber hinaus unsere Fürsorge füreinander ausbauen.
Denn natürlich sind wir müde. Wir müssen uns vor Augen führen, was die aktuelle Situation mit uns macht. Der zunehmende Rechtsruck, die wachsende existenzielle Bedrohung durch Teuerung, Kriege, die täglich Menschen aus dem Leben reißen. Und das alles unter dem Schirm einer Flut an Informationen aus der Welt der Nachrichten und sozialen Medien. Das alles zehrt an uns, lässt uns an uns zweifeln. Darauf zielt es auch ab. Und dann ist es in Ordnung, sich nicht kämpferisch zu fühlen. Es ist okay, keine Energie und einfach nur genug zu haben.
Mit einem entschlossenen Lächeln im Gesicht
Aber wir sollten in diesem Zustand nicht verharren. Es ist dann umso wichtiger, die Welt, in der wir leben, und ihre Wirkung auf uns, zu erkennen und diese externen Kräfte nicht über uns und unseren Umgang miteinander entscheiden zu lassen. Das Schöne an Solidarität ist, dass sie uns eine Politisierung jener Lebenszusammenhänge erlaubt, in denen wir uns gerade befinden. Das beginnt in unsere Beziehungen, Wohnungen und Arbeitsplätzen und reicht bis zu unseren politischen Gruppen, den Beziehungen zwischen ihnen und zwischen (transnationalen) Bewegungen. Wenn es um Solidarität geht, haben alle einen Auftrag. Auch wenn ich gerade – aus guten Gründen – nicht Teil einer politischen Gruppe oder Bewegung bin, kann ich in meinem Alltag solidarisch und damit politisch handeln. Solidarität öffnet uns die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie diese Welt doch anders funktionieren könnte. Und das kann (und darf!) auch ziemlich viel Freude machen.
Das bedeutet gleichzeitig nicht, dass es nicht auch organisierte Kräfte im politischen Prozess braucht. Es braucht Gruppen und Organisationen, die Strukturen aufbauen, die offen, einladend und verbindend sind. Es braucht Zusammenhänge, die eine solidarische Grundhaltung weiter politisieren und davon ausgehend gezielt Alternativen und Gegenmacht aufbauen. Um die Hoffnung der Solidarität auch wirklich zu realisieren, müssen wir stärker und noch viel mehr Menschen in Bewegung werden. Die Aufgabe im Jahr 2025 wird sein, genau darauf hinzuarbeiten – gemeinsam, solidarisch und mit einem entschlossenen Lächeln im Gesicht.
*** Dieser Artikel hat maßgeblich von Diskussionen im Rahmen unserer Redaktionssitzungen profitiert und wäre ohne diese nicht zustande gekommen. Wir wollen uns hiermit bei allen Freund*innen und Genoss*innen aus der Redaktion bedanken und freuen uns auf das gemeinsame mosaik-Jahr 2025. ***