„Keine Busse, keine Bahnen,…“ – Buslenker*innen im Arbeitskampf

Warnstreik der Buslenker*innen – Plakate

Buslenker*innen in Österreich protestieren auf öffentlichen Plätzen, führen Warnstreiks durch und organisieren sich quer durchs Land. Mitten drin: „Wir Fahren Gemeinsam“ – ein Bündnis aus Gewerkschaft und Klimabewegung. mosaik-Redakteur Hannes Grohs sprach nach dem Kollektivvertragsabschluss letzte Woche mit Beteiligten. Eine Reportage über Arbeitskampf und neue Allianzen.

20. Februar, 05.00 Uhr früh, Bad Eisenkappel/Železna Kapla. Eigentlich sollten in der südlichen Region in Kärnten/Koroška gerade drei Busse der Postbus AG auf der Straße sein. Doch dem ist nicht so. In Bad Eisenkappel wird gestreikt. Genauso im Rest Österreichs – vom Burgenland bis nach Vorarlberg. Rund 800 Buslenker*innen reicht es: Nach vier gescheiterten Verhandlungsrunden für einen neuen Kollektivvertrag kommt es erstmals in der Geschichte Österreichs in der privaten Busbranche zu Warnstreiks.

Buslenker beim Streik in Bad Eisenkappel
Buslenker beim Streik in Bad Eisenkappel/Železna Kapla | (c) WFG

Während die drei Buslenker in Železna Kapla alleine mit ihren Kaffeebechern vor ihren Bussen stehen, ist die Situation in Wien am Standort des Busunternehmens Dr. Richard anders. Hier haben sich in den frühen Morgenstunden Aktivist*innen des Bündnis „Wir Fahren Gemeinsam“ sowie weitere zahlreiche Unterstützer*innen versammelt. Bengalos, Transparente und Sprechchöre zeugen von einer kämpferischen Stimmung. Die ist auch notwendig. Denn die Geschäftsführung des Unternehmens ist vor Ort und macht bei Buslenker*innen und Aktivist*innen Stress.

Hände weg vom Streikrecht“

Stress, den die Gewerkschaft vida in einer Aussendung später mit Blick auf ganz Österreich als „Mafia-Methoden“ bezeichnet. Streikenden sei mit Kündigung gedroht, Streiklisten seien angefertigt und Falschinformationen gestreut worden. Einem Buslenker sei sogar nahegelegt worden, über die unterstützenden Aktivist*innen „drüber zu fahren“. Vorwürfe, die mit Blick auf das eigene Unternehmen von Dr. Richard zurückgewiesen werden. Das nach der Postbus AG größte Busunternehmen in Österreich verweist stattdessen auf „mit Gutscheinen bezahlte Studierende“, die ihrerseits wiederum Druck auf die Lenker*innen ausgeübt hätten.

Das sind Aussagen, die Klimaaktivistin Phili müde, aber auch ein bisschen selbstbewusst lächeln lassen. Sie war sowohl beim Warnstreik am 20. Februar dabei, als auch bei der Kundgebung „Hände weg vom Streikrecht“ am 28. Februar vor der Zentrale von Dr. Richard. Gutscheine hat sie dafür keine bekommen. Dafür die Sicherheit, dass das, was das Bündnis aus Klimabewegung und Gewerkschaft und Klimabewegung aufgebaut hat, wirkt. Die Nervosität der Unternehmensseite zeigt ihr, dass „Wir Fahren Gemeinsam“ – oder kurz WFG – und die Organisierung der Lenker*innen ernst genommen werden.

Keine Busse, keine Bahnen…“

Doch worum geht es den Aktivist*innen der Klimabewegung eigentlich? Warum treffen sie sich um 03.00 Uhr nachts am Praterstern, um eine Stunde später an der Seite der Gewerkschaft vida den Warnstreik der Buslenker*innen zu unterstützen? WFG gibt es seit Sommer 2023. Bereits zuvor organisierte sich Fridays for Future in Deutschland mit der Gewerkschaft ver.di auf ähnliche Weise. Inhalte und Methoden wurden sich abgeschaut, aber auch Anpassungen und Änderungen vorgenommen. Auf den ersten Blick ersichtlich: In Österreich sprechen Aktivist*innen nicht wie in Deutschland von „Wir Fahren Zusammen“, sondern von „Wir Fahren Gemeinsam“ – immerhin ist in Österreich ‚zusammenfahren‘ nicht nur positiv konnotiert.

Protest "Gemeinsam kämpfen fürs Klima und höhere Löhne"
WFG mit 7.000 Unterschriften für bessere Arbeitsbedingungen | (c) WFG

WFG verbindet den Kampf um eine notwendige Verkehrs- bzw. Mobilitätswende mit dem Arbeitskampf der Buslenker*innen. Die Argumentation ist simpel wie einleuchtend: Eine klimagerechte Zukunft braucht einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr. Ein öffentlicher Nahverkehr braucht Menschen, die ihn zum Funktionieren bringen. Oder wie es die Klimaaktivist*innen in einem ihrer Slogans ausdrücken: „Keine Busse, keine Bahnen, ohne Menschen, die sie fahren.“

Menschenunwürdige Zustände“

Dass es diese Menschen gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Wenn sich die Busbranche in die jetzige Richtung weiterentwickelt, wird die Zahl an Buslenker*innen in absehbarer Zeit auf ein bedenkliches Niveau sinken. Davon zeigt sich Lukas [Name geändert; Anm. Redaktion] überzeugt. Lukas ist einer von 12.000 privaten Buslenker*innen in Österreich und sitzt seit über 15 Jahren hinterm Steuer. Am Telefon sagt er, dass er seinen Job immer noch gerne macht. Das aber nur, weil er sich selbst Methoden und Strategien zurechtgelegt habe, wie er die Freude nicht verliert. Die aktuellen Arbeitsbedingungen in der Busbranche sieht er als riesiges Problem. Unter dem Mantra der ‚Optimierung‘ seien „menschenunwürdige Zustände“ geschaffen worden. Früher hätten „die Planer“ noch berücksichtigt, wann Buslenker*innen wie eine gute Pause verbringen können. Heute gehe es darum, wie die Unternehmen das Personal ihn ihrem Sinne ‚optimal‘ einsetzen können.

Optimal bedeute dann, dass die Buslenker*innen ihre gesetzlich vorgesehenen Pausen „irgendwo in der Pampa“ verbringen müssen – fernab von einer Einkaufsmöglichkeit oder Sanitäranlagen. Lukas berichtet, dass Proteste dahingehend ins Lächerliche gezogen wurden. Männern seien darauf hingewiesen worden, dass der nächste Busch für die körperlichen Befindlichkeiten wohl reichen würde. Auch „Pinkelflaschen“ wären ihnen angeboten worden. Dass Frauen hier nochmals andere Bedürfnisse haben, sei geflissentlich übergangen worden.

Buslenker*innen und Aktivist*innen bei Protesten
Proteste im November 2024 | (c) WFG

Der Alltag als Buslenker*innen werde auch ohne diese Schikanen stressiger und stressiger, fügt Lukas hinzu. Der Verkehr auf den Straßen sei gestiegen, die Stimmung bei den Fahrgäste habe sich spätestens nach Corona stetig verschlechtert und Dienstzeiten würden zusehends in die Länge gezogen. Lukas beobachtet eine Frust-Spirale zwischen Fahrgästen und Buslenker*innen und eine Work-Life-Balance, die immer mehr Richtung ‚work‘ kippt. Das mache ihm auch mit Blick auf ‚den Nachwuchs‘ Sorgen. Knapp 80% der Buslenker*innen seien über 50 Jahre. Das bedeute in spätestens fünfzehn Jahren seien nur noch 20% der aktuellen Lenker*innen aktiv. Aber wer will sich diesen Job noch antun?

KV-Einigung in der fünften Runde

Dass Buslenker*innen am Limit sind, war auch das Ergebnis einer Studie, die WFG gemeinsam mit der Universität Wien im Dezember 2024 präsentierte. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Verhandlungen zum Kollektivvertrag bereits in der zweiten Runde. Ein meist achtköpfiges Verhandlungsteam der Buslenker*innen, unterstützt durch die Gewerkschaft vida, saß dabei dem Verhandlungsteam der Arbeitgeber*innenseite gegenüber. Dieses wiederum erhielt Unterstützung von der Wirtschaftskammer Österreich. Die Stoßrichtung der Buslenker*innen war von Beginn an klar: Ein fairer Ausgleich der Teuerung; verbesserte Arbeitsbedingungen – vor allem, was die Nachtzulagen betrifft; und Entlastungsmaßnahmen, an die sich die Unternehmen auch verbindlich halten müssen. Außerdem wollte man nicht wie in den letzten Jahren einen ‚Kuhhandel‘ hinlegen: Verbesserungen in bestimmten Bereichen durften keine Verschlechterungen in anderen nach sich ziehen, so die Gewerkschaft.

Nach vier ergebnislosen Verhandlungsrunden und einem Warnstreik kam es schließlich am 05. März zu einer Einigung zwischen den Verhandlungsteams. Die Gewerkschaft vida legte ihren Mitgliedern den entsprechenden KV-Entwurf vor und empfahl die Zustimmung. Am 14. März verkündet sie, dass der Entwurf mehrheitlich angenommen wurde. Der neue KV gilt für zwei Jahre und bringt eine Lohnerhöhung um 3,6%. Für 2026 ist eine Erhöhung um die durchschnittliche Inflation plus 0,1% vorgesehen. Ab dem 01.07.2025 erhalten Buslenker*innen einen Nachtzuschlag von 50%, wenn sie zwischen 23.00 und 00.00 Uhr unterwegs sind. Ab dem 01.01.2026 verlängert sich dieser Zeitraum auf 22.00 bis 00.00 Uhr. Buslenker*innen dürfen jetzt außerdem geteilte Dienste ablehnen, ohne dass sie dafür in der Dienstplanung benachteiligt werden.

Im ersten Moment war ich schwer enttäuscht“

Lukas hält mit seiner Einschätzung des Ergebnisses nicht hinterm Berg: „Im ersten Moment war ich schwer enttäuscht.“ Er habe sich in den letzten Monaten auch privat voll reingehängt. Jetzt werde vor allem über die Lohnerhöhungen gesprochen. Was ihm jedoch wichtig war, sei eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gewesen. Diese wurde nur sehr eingeschränkt erreicht. Nachdem er seinem ersten Ärger Luft gemacht hat, kann er aber auch das Positive sehen. Der Abschluss sei alles in allem eine gute Grundlage, um darauf aufzubauen. Man müsse die schlechte Ausgangslage, in der man sich befand, bei der Bewertung im Blick haben. Außerdem sei durch und mit WFG abseits der Verhandlungen viel Positives entstanden, sagt er und verweist auf das stärkere Zusammenrücken der Buslenker*innen.

Proteste der Buslenker*innen für bessere Arbeitsbedingungen
Buslenker*innen fordern Nacht- und Sonntagszulage | (c) WFG

Die Einschätzung aus der Klimaecke klingt ähnlich: Die unmittelbaren Verbesserungen für die einzelnen Lenker*innen seien zunächst eher gering. Was jedoch gelungen sei, ist, die Logik des Tauschhandels zu durchbrechen. Den Verbesserungen stehen tatsächlich keine Verschlechterungen gegenüber. Das habe „die Tür einen Spalt breit geöffnet“ – so ein Aktivist. Eine Tür, die es jetzt gelte, weiter aufzustoßen – auch wenn 1,5 Jahre keine KV-Verhandlungen stattfinden werden. Dafür müsse auf der entstanden Solidarität innerhalb der Belegschaft aufgebaut werden.

Kein Sprint, sondern ein Marathon“

„Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, sagt auch Phili. Sie bezeichnet den Abschluss als Realitätscheck für die Klimaaktivist*innen. Man müsse erst lernen, was im Rahmen von sozialpartnerschaftlichen KV-Verhandlungen in welchem Tempo möglich sei. Gleichzeitig hält sie fest, dass die Klimaaktivist*innen „mit ihrem frischen Wind“ den Alltagstrott der Gewerkschaft unterbrochen hätten. In diesem Sinne habe man wechselseitig voneinander gelernt. Dasselbe gelte auch für die Buslenker*innen. Gedanken über Pronomen hätten sich wohl die wenigsten von ihnen bislang gemacht. Die Aktivist*innen hingegen waren dazu aufgefordert, sich auf Lebensrealitäten einzulassen und nicht bei der ersten Äußerung außerhalb der eigenen Komfortzone davonzulaufen. „Menschen bewegen sich, Menschen lernen“, fasst Phili mit Blick auf beide Seiten zusammen.

Das berichtet auch Lukas. Mit zunehmender Zeit sei es immer besser gelungen, die Kolleg*innen zu überzeugen, dass es sich bei den Aktivist*innen nicht um „die Klimakleber“ handle. Sondern um Unterstützer*innen, die an den Problemen der Lenker*innen interessiert seien. Bedenken, dass das aber immer noch Linke sind, habe er mit dem Hinweis abgetan, dass diese Linken kein Recht hätten, die Kolleg*innen zur Wahlurne zu begleiten. Lukas ist sich sicher, dass der Arbeitskampf ohne WFG in der Form nicht möglich gewesen wäre. Sowohl die firmeninterne, als auch die österreichweite Vernetzung, wie sie heute besteht, sei ein großer Verdienst des Bündnisses.

Erfolgsgeschichte WFG

Hunderte, wenn nicht tausende Buslenker*innen in Österreich haben in den letzten Monaten eine wesentliche Erfahrung gemacht: Die Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen ist das Ergebnis eines Kräftemessens. Durch Arbeitskampf und entsprechende Solidarität kann dieses Kräftemessen zugunsten der Arbeiter*innen beeinflusst werden. Allein dieser Umstand, so die Beteiligten, mache WFG zu einer Erfolgsgeschichte, die sowohl die Klimabewegung als auch die Gewerkschaft erzählen können.

WFG ist aber auch eine Erfolgsgeschichte der Methode des Organizing. Seit über einem Jahr haben die Aktivist*innen von WFG an Wiener Knotenpunkten wie dem Kagraner Platz, Meidlinger Bahnhof oder Hütteldorf und in Pausenräumen viele persönliche Gespräche mit Buslenker*innen geführt. Sie haben von den Arbeitsrealitäten der Menschen hinterm Steuer erfahren und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. „Plötzlich waren wir nicht mehr die, die Stau verursachen, sondern die, die bei -2° an der Bushaltestelle ehrlich zuhören“, beschreibt Phili und spielt dabei unmissverständlich auf die Letzte Generation an. Der nächste Schritt des Organizing lag bei den Buslenker*innen selbst. Sogenannte Garagenverantwortliche suchten das Gespräch von Kolleg*in zu Kolleg*in. Ein Netzwerk entstand. Über dieses können Ziele formuliert und Druck aufgebaut werden. Das Netzwerk wirkt nicht nur firmenintern. Es fordert auch etablierte und allzu routiniert ablaufende Betriebsrats- und Gewerkschaftsstrukturen heraus. Es verlässt die eingeübten Pfade der österreichischen Sozialpartnerschaft und bietet Raum für Erneuerung – nicht zuletzt auf Gewerkschaftsseite.

Klimaaktivist*innen von WFG
Motivierte Klimaaktivist*innen | (c) WFG

Nächster Halt: Verkehrswende

Lukas geht es weniger darum, Erfolgsgeschichten zu erzählen. Er ist schon bei den nächsten Schritten. Die Arbeitskämpfe müssten sich bis zu den nächsten KV-Verhandlungen auf Unternehmensinterna konzentrieren. Die geschaffenen Strukturen müssten gefestigt und auch die Politik vermehrt unter Druck gesetzt werden. Denn schließlich stinke der Fisch auch vom Kopf. Öffentliche Ausschreibungen würden immer noch an den Billigstbieter gehen und qualitative Aspekte – wie Arbeitsbedingungen – nicht berücksichtigt.

Lukas greift sich bei solchen politischen Entscheidungen an den Kopf. Denn am Ende des Tages gehe es nicht um den Berufsstand, sondern um die Verkehrswende und somit um die Zukunft – nicht nur – seiner Kinder. Diesen Gedanken unter seinen Kolleg*innen zu verbreiten, sei ihm bisher nur in eingeschränktem Ausmaß gelungen. Doch selbst dahingehend ist er optimistisch und meint: „Wir müssen einfach dranbleiben.“

Titelbild: WFG

Spenden CTA Image

Dir hat der Text gefallen?

Unsere Texte sind für alle gedacht, und alle sollen unsere Texte lesen können. Allerdings ist unsere Arbeit nur durch die Unterstützung unserer Leser*innen möglich. Nur durch freiwillige Spenden können wir linken, kritischen, unabhängigen Journalismus in Österreich weiterführen – jeder Betrag hilft uns!

Autor

Nach oben scrollen