Anfang Oktober wurde Brett Kavanaugh als Richter für den Supreme Court bestätigt. Obwohl Vergewaltigungsvorwürfe im Raum stehen und eine Betroffene vor dem Senat aussagte, hielt die Republikanische Partei zu Kavnaugh. Denn für die Rechten ist der Supreme Court Teil eines größeren Plans. Eine Analyse von Adam Baltner.
Was viele lange Zeit befürchtet haben, ist Anfang Oktober passiert. Nach einem umstrittenen Bestätigungsverfahren hat die Republikanische Partei den erzkonservativen Bundesrichter Brett Kavanaugh zum neusten Mitglied des Supreme Court gewählt. Die knappe 5-4 Mehrheit der rechten Richter im obersten Gericht der USA ist damit einzementiert. Trotz dreier Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen Kavanaugh, der Aussage einer seiner Klägerinnen vor dem Senat und der Tatsache, dass er in der Anhörung wiederholt Meineid beging, stimmten alle republikanischen Abgeordneten außer der Senatorin aus Alaska seiner Bestätigung zu.
Für Beobachter*innen stellt sich die Frage, warum die Republikaner*innen Kavanaugh, trotz seiner fragwürdigen Auftritts beim Hearing, der Empfehlung der Amerikanischen Anwaltsvereinigung gegen ihn und der vielen Proteste gegen ihn, bestätigten. Kavanaughs Bestätigung lässt sich aber leichter verstehen, wenn man sie als Teil eines größeren Staatsprojekts betrachtet, das die US-amerikanische Rechten seit Jahren unternimmt. Die Historiker*innen Kim Phillips-Fein und Nancy MacLean argumentieren, dass es bei diesem Projekt darum geht, langfristige Hegemonie im Rechtswesen zu gewinnen. Ein Bollwerk gegen die zwei anderen Organe des US-amerikanischen Staates, die Exekutive (der/die Präsident*in) und die Legislative (das Parlament), soll es werden.
Viel weniger als die anderen beiden Säulen unterliegt die Judikative einer demokratischen Kontrolle. Die Bundesrichter*innen werden auf Lebenszeit ernannt, Wiederwahlen müssen sie sich nicht stellen. Die Justiz spielt so eine Schlüsselrolle in der Strategie eines rechten Bündnisses von Wirtschaftsliberalen und Wertkonservativen. Sie schaffen so eine Hürde gegen den Mehrheitswillen für fortschrittliche Politik.
Der lange Marsch durch die Institutionen
Der Supreme Court ist dabei nicht das einzige Instrument. Seit den Achtzigerjahren bauen die Rechten ein Netzwerk von juristischen Fakultäten, Think Tanks und studentischen Organisationen auf, um rechter Rechtswissenschaft den Boden zu bereiten.
Kavanaugh ist Produkt dieser Welt. Wie die anderen vier rechten Richter im Supreme Court ist er Mitglied der Federalist Society, einer Organisation für wertkonservative und wirtschaftsliberale Jus-Studierende, Jurist*innen und Richter*innen. Ihr Anspruch ist es eine „originalistische“ Auslegung der US-amerikanischen Verfassung, als den Standard zu etablieren. Der juristischen Philosophie des Originalismus zufolge gelten nur diejenigen Rechte als verfassungskonform, die explizit in der Verfassung – ein Dokument aus dem Jahr 1787 – genannt werden. Dementsprechend steht die Federalist Society Roe v. Wade kritisch gegenüber, jener Supreme-Court-Entscheidung aus dem Jahr 1973, die die Abtreibung legalisierte, sowie den Gesetzen, die in den Dreißigerjahren im Rahmen des des New Deal verabschiedet wurden, in denen die US-amerikanische Sozialversicherung festgeschrieben wurde.
Konkret bedeutet diese Rechtsauffassung aber Entscheidungen gegen die Vielen. Die überwiegende Mehrheit der Gerichtsentscheidungen Kavanaughs fällte er zugunsten von Großkonzernen und Arbeitgeber*innen. In Kriminalfällen entschied er überdurchschnittlich oft gegen Beschuldigte. Er stellte sich gegen die Netzneutralität sowie das Recht von Bundesstaaten und Städten, zusätzliche Umweltvorschriften zu denjenigen der Bundesbehörde für Umweltschutz zu verabschieden. Im einzigen von Kavanaugh geleiteten Gerichtsverfahren, das mit Abtreibung zu tun hatte, entschied er, einer schwangeren 17-jährige Frau, die bei der Überschreitung der texanisch-mexikanischen Grenze festgenommen wurde und in staatlicher Verwahrung saß, Zugang zu einer Abtreibung zu verweigern.
Kavanaugh: ein treuer, rechter Soldat
Trotzdem: Wäre es für die Rechten nicht einfacher gewesen, jemanden zu nominieren, dem nicht drei Fälle sexueller Gewalt vorgeworfen werden? Eine Frau vielleicht, oder schlicht ein anderes Federalist-Society-Mitglied? Möglicherweise schon. Aber Kavanaugh kam nicht nur wegen seiner ideologischen Überzeugung zum Zug, sondern auch für seine mehrfach bewiesene parteipolitische Treue.
In den Neunzigerjahren arbeitete Kavanaugh im Ermittlungsausschuss des Staatsanwalts Ken Starr und dessen Starr-Bericht mit, der dem Amtsenthebungsverfahren gegen den Demokratischen Präsidenten Bill Clinton den Boden bereitete. Während der Anfechtungen der Resultate der Präsidentschaftswahlen 2000 diente er als Mitglied des Rechtsteams von George W. Bush, das mithilfe einer rechten Supreme-Court-Mehrheit eine Neuauszählung des umstrittenen Ergebnisses im Bundesstaat Florida erfolgreich blockierte. De facto ernannten sie damit Bush zum Sieger über den Demokraten Al Gore. Danach arbeitete Kavanaugh für die Regierung, bis er 2006 von Bush seinen ersten staatlichen Richterposten bekam. Im Vorfeld der Wahl zur Kavanaughs Bestätigung zum Supreme Court nahm Bush Kontakt mit einigen „moderaten“ Republikaner*innen im Senat auf, um ihre Stimmen für Kavanaugh zu sichern.
Frauenfeindlich durch und durch
Dennoch hat die Entscheidung, Kavanaugh zu bestätigen, eine weitere Dimension. Wie zahlreiche Wissenschafter*innen und Aktivist*innen feststellen, geht es bei sexuellen Übergriffe nicht einfach um Sex. Als gesellschaftliches Phänomen ist sexualisierte Gewalt, in den Worten der feministischen Soziologin Alexandra Schmidt, eine Form des Machtmissbrauchs, „ein Ausdruck von alten, patriarchalen Strukturen, in denen ein Geschlecht weniger wert ist und sexuell verfügbar sein muss“. Diejenigen, die versuchen, Frauen, die Beschuldigungen gegen ihre Angreifer erheben, zu demütigen und delegitimieren, sehen ihren Machtanspruch als bedroht an. Glaubt man den Betroffenen einmal, öffnet sich in dieser Logik ein Tor zu einem aufrichtigen Diskurs um sexuelle Gewalt.
Die Parallele zum rechten Staatsprojekt wird offensichtlich. Es geht letztendlich um den Versuch einer Minderheit von Mächtigen, ihre Privilegien zu sichern. Demokratie und Gleichberechtigung sollen Randthemen bleiben. Koste es, was es wolle.
Ungerechtes Rechtswesen
Letztlich liegt in genau dieser Offenheit, dieser Ignoranz gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit, ein einziger, möglicher Silberstreifen. Die Rechte hat der amerikanischen Bevölkerung mit ihrem Festhalten an Kavanaugh eindeutig zu verstehen gegeben, dass der Supreme Court ein „Skandal der Demokratie“ ist. Eine Einrichtung, die sich der demokratischen Kontrolle nach Möglichkeit entzieht.
Linksliberale setzen eine Hoffnung auf die Gerichtshöfe. Sie dienen als Schutz gegen die Machenschaften eines Reaktionären wie Trump, meinen sie. Damit ignorieren sie aber den zutiefst antidemokratischen Charakter des Rechtswesens. Die Konfrontation mit dieser Wirklichkeit führt zu einer unausweichlichen Erkenntnis. Jedes ernstzunehmende Programm für fortschrittliche Politik in den USA muss auf die Reform dieses ungerechten Rechtswesens zielen. Das wird kein leichter Kampf. Aber in einem historischen Moment, in dem Vertrauen in den traditionellen Institutionen so niedrig wie nie ist, ist alles möglich.