Julia Herr: „Ich verstehe, wenn Leute auf die SPÖ angefressen sind.“

Julia Herr ist Vorsitzende der Sozialistischen Jugend. Wenn alles nach Plan läuft, ist sie bald auch Nationalratsabgeordnete. Im Interview spricht sie über den besten Job der Welt, Kapitalismuskritik in der SPÖ und den 12-Stunden-Tag.

Wahrscheinlich wird Julia Herr nach den Wahlen ins Parlament einziehen. Sie kandidiert für die SPÖ auf dem siebten Platz der Bundesliste, ein fast sicheres Mandat. „Aber sicher darf man sich nie sein“, sagt die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend beim Gespräch mit Mosaik im Rahmen unserer Nationalratswahl-Serie. „Wenn wir viel verlieren, wird es knapp.“

Dagegen kämpft Herr mit vollem Einsatz. Es braucht die Sozialdemokratie und politische Glaubwürdigkeit, betont sie immer wieder. Einer Regierung, die den 12-Stunden-Tag nicht zurücknimmt, würde sie, anders als ihre Parteivorsitzende, nicht zustimmen, wie sie im Interview sagt.

Mosaik: Du hast in einem ORF-Interview gesagt, dass es dir nicht nur um ein gutes Wahlergebnis geht, sondern auch um eine Mehrheit links der Mitte. Wird sich das bei diesen Wahlen ausgehen?

Julia Herr: Hoffentlich, aber es werden noch andere Wahlen kommen. Es ist auf alle Fälle realistisch. Wir sehen doch in ganz vielen Belangen, dass die Leute mehrheitlich auf unserer Seite sind. Sie sind für einen starken Sozialstaat und Erbschaftssteuern.

Aber mit Sebastian Kurz wird aller Voraussicht nach jemand die Wahl gewinnen, der den Sozialstaat offen angreift. Wie passt das zusammen?

Das hat sehr viele Gründe. Da muss man die Fehler auch in den eigenen Reihen suchen. Wir hätten die Zeit in der Opposition nutzen können, um mutigere Forderungen zu stellen. Damit haben wir uns anfangs schwer getan. Ich bin grundsätzlich kein Fan davon, den WählerInnen die Schuld zu geben. Sie haben gute Gründe, auf die SPÖ angefressen zu sein. Ihre ökonomische Situation hat sich in vielen Fällen in den letzten 20, 30 Jahren verschlechtert, wenn wir uns die Entwicklung der Reallöhne anschauen.

Das große Thema im Wahlkampf ist aber die Klimakrise. Du sprichst dich für eine CO2-Steuer aus, Pamela Rendi-Wagner dagegen. Ist das ein Problem?

Ich bin Vorsitzende der Sozialistischen Jugend. Das ist der beste Job der Welt. Wir können unsere Positionen festlegen und sind dabei nicht auf die Parteilinie angewiesen. Diese Freiheit haben wir und wir werden sie verteidigen.

Aber nervt es dich, dass Rendi-Wagner die ökologische Frage gegen die soziale Frage ausspielt?

Wir haben einen Green New Deal geschrieben. Da geht es uns darum, wie wir diese Fragen eben gemeinsam diskutieren können. Ganz viel funktioniert über den Arbeitsmarkt. Das sieht man auch in der Diskussion um die dritte Piste. Die GegnerInnen sagen: „Wir müssen den Flugverkehr reduzieren“. Die BefürworterInnen sagen: „Wir brauchen gut bezahlte Arbeitsplätze“. Beide Seiten haben recht, wir müssen die Diskussion aber mit mehr Verständnis führen. Es braucht ein Recht auf staatlich geförderte, grüne Arbeitsplätze. Dadurch entschärfst du diese Diskussion. Das ist Teil unseres Green New Deals. Damit haben wir uns auch in der Partei durchgesetzt.

Ist der Klimawandel nicht auch ein Problem des Kapitalismus?

Total. Einerseits leiden arme Menschen sehr viel mehr darunter als reiche. Sie sind es, die auf den Baustellen in der prallen Sonne arbeiten müssen und sich daheim keine Klimaanlage leisten können. Im Kapitalismus, der von der Profitlogik angetrieben wird, wird die Ausbeutung der Umwelt so lange weiter gehen, solange man damit Geld machen kann. Die Leute spüren das. Vor allem mit jungen Menschen können wir über die Systemfrage reden.

Und in der SPÖ? Kann man da den Kapitalismus zum Thema machen?

Auf alle Fälle, die Basis will das auch. Ich habe in den letzten Monaten viele Ortsparteien besucht und die Mitglieder muss ich nicht einmal überzeugen. Die wissen, dass das Wirtschaftssystem für sie nicht profitabel ist.

Die SPÖ-Linke sagt seit langer Zeit, dass es an der Basis eine linke Mehrheit gibt. Aber warum ändert sich sowenig an der Ausrichtung der Partei?

Dieses Unterfangen ist noch nicht geglückt, das stimmt. Ich habe auch kein Rezept, das zu 100 Prozent funktioniert. Aber ich kann versprechen, dass ich, wenn ich in den Nationalrat komme, weiter dafür kämpfen werde. Da kann ich meine Bühne dann für solche Diskussionen nutzen.

In Deutschland kämpft die SPD ums Überleben. In Griechenland gibt es die Pasok faktisch nicht mehr. Was kann die SPÖ tun, damit ihr dieses Schicksal erspart bleibt?

Wir dürfen nicht immer im System mitspielen. Das bedeutet, dass wir nach den Wahlen nicht leichtfertig in Koalitionen laufen, von denen wir wissen, dass wir unsere Forderungen nicht durchsetzen können. So etwas macht unglaubwürdig. Man muss außerdem nicht in der Regierung sein, um Politik zu machen. Das hat doch die FPÖ immer bewiesen. Die haben Stimmung gemacht und damit dafür gesorgt, dass ÖVP und SPÖ in der Regierung darauf eingehen.

Kommen wir noch einmal zur sozialen Frage zurück: Barbara Blaha hat im Herbst im profil geschrieben, dass die Sozialdemokratie die soziale Frage in den Mittelpunkt rücken sollte und nicht so sehr die „kulturellen“. Blaha ist kein Parteimitglied, aber würdest du dem zustimmen?

Die ökonomische Lage bestimmt sehr viele andere Dinge. Wenn man einen gut bezahlten Job und keine Angst hat, gekündigt zu werden, dann tut man sich leichter, solidarisch zu sein. Wir sollten an vorderster Stelle für eine Verbesserung der ökonomischen Bedingungen der Menschen kämpfen. Also ich würde da eine Priorität sehen, aber kein Entweder-oder.

Gleichzeitig gibt es in der Rassismusforschung viele Leute, die sagen, dass das Gefühl, sich anderen überlegen zu fühlen, wichtiger ist als die Verbesserung der eigenen Lage. Sprich: Solange die Leute rassistisch sein können, ist es ihnen egal, wenn sie schlecht verdienen.

Das ist ein spannender Punkt. Es wird ständig nach unten getreten. Wir müssen dafür kämpfen, dass sich das wieder ändert. Wir müssen aufzeigen, wo der Reichtum wirklich liegt und wer ihn uns wegnimmt.

Aber die Schlussfolgerung könnte doch auch sein, dass man Rassismus zum Thema macht und ihn bekämpft.

Natürlich muss man das. Es gibt so viele Leute, die davon betroffen sind. Es ist für ein Mädchen mit Kopftuch sehr schwer, in Österreich zu leben. Es ist, wie gesagt, kein Entweder-oder. Aber als Sozialdemokratie müssen wir dafür kämpfen, dass die Leute mehr in ihrer Brieftasche und mehr Freizeit haben. Das dürfen wir nie vernachlässigen. Bei Hausbesuchen ist das sehr oft das größte Thema. Der 12-Stunden-Tag hat mir das wieder gezeigt.

Von wegen 12-Stunden-Tag: Laut Rendi-Wagner ist die Rücknahme keine Koalitionsbedingung. Wie stehst du dazu?

Ich sehe das anders. Sollte ich ins Parlament kommen, werde ich einer Regierung, die den 12-Stunden-Tag nicht zurücknimmt, nicht zustimmen.

Wäre es dann nicht leichter, in der Opposition zu bleiben?

Wie gesagt, ich glaube die politische Glaubwürdigkeit ist sehr wichtig. Die können wir nur wahren, wenn wir die Dinge, die wir im Wahlkampf gefordert haben, auch umsetzen. Da geht es nicht nur um den 12-Stunden-Tag, sondern auch um das Klimaticket oder einen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Kinderbetreuungsplatz. Das wären für mich alles Koalitionsbedingungen. Wir wissen aber bereits jetzt, dass wir das mit der ÖVP und der FPÖ nicht umsetzen können.

Julia Herr ist seit 2014 Verbandsvorsitzende der SJ. Sie ist die erste Frau, die diese Funktion einnimmt. Bei den EU-Wahlen im Mai erhielt sie 19.416 Vorzugsstimmen, nur Spitzenkandidat Andreas Schieder bekam mehr.

Interview: Moritz Ablinger

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