Die Gefahren rechtsextremer Jugendarbeit am Land

Noch in den 1990ern gab es auch in Österreichs ländlicheren Regionen ein belebtes Netzwerk aus Jugendzentren und anderen sozialarbeiterischen und kulturellen Angeboten für junge Menschen. Heute scheinen viele dieser Strukturen geschrumpft, oder gar ausgestorben zu sein. Inspiriert von den deutschen und italienischen Vorbildern, wie III. Weg und Casa Pound, versuchen jetzt auch Österreichs Rechtsextreme, dieses Vakuum zu füllen und den Rechtsruck am Land zuzuspitzen. Ein Kommentar von Markus Gönitzer.

Das Buhlen um die Jugend ist für rechtsextreme Organisationen nichts Neues. Sowohl die historischen Faschismen, als auch zeitgenössische rechtsextreme Gruppen (parlamentarisch und außerparlamentarisch) empfinden Jugendorganisationen und die Politisierung der Jugend als unverzichtbar. Hinzu kommen deutschnationale Burschenschaften, die junge Menschen bereits ab dem Schulalter an rechte und rechtsextreme Ideologien binden. Aktuell gibt es zurecht Beunruhigung über neofaschistische Gruppen wie Casa Pound und die Identitären, die dezidiert versuchen, Jugendliche vor allem auch in ländlichen Regionen anzusprechen. Die Gefahr dieser Gruppen liegt darin, dass sie sich aktuelle Jugendcodes und -trends aneignen, um so über verrostete rechte Milieus hinauszureichen.

Die neue, alte Rechte und die Jugend

Wie so oft dient für die italienische Gruppe Casa Pound als Vorbild. Die selbsternannten Neofaschist*innen haben sich viele historisch links-assoziierte politische Praxen angeeignet, um Menschen außerhalb parlamentarischer Politik für ihre menschenverachtenden Inhalte zu gewinnen. (Jugend-)kulturelle Angebote und soziales Engagement für wirtschaftlich Abgehängte sind fixer Bestandteil der Organisierungsbemühungen von Casa Pound. Ihre Ressourcen ermöglichen es ihnen, in Italien 120 soziale Zentren zu betreiben und dort Angebote von medizinischer Versorgung bis zu kultureller Unterhaltung in Form von Konzerten, Workshops, etc. anzubieten. Natürlich nur für weiße Italiener*innen.

Auch in Österreich thematisieren Kollektive wie Soziale Arbeit ist politisch oder die Recherchegruppe Mensch Merz rechtsextreme Einflussnahme im sozialarbeiterischen Bereich. Sie unterstreichen die Notwendigkeit eines antifaschistischen Grundkonsenses in diesem Feld.

Identitäre Bemühungen um die Jugend am Land

Nachdem sich die Identitären in Österreich etabliert hatten, versuchten sie auch über die urbanen Zentren wie Wien, Graz oder Linz hinaus Einfluss zu erlangen. In einigen steirischen Kleinstädten wie Deutschlandsberg, Voitsberg oder Weiz wurden Stammtische organisiert. Darüber hinaus boten die Identitären in unregelmäßigen Abständen niederschwellige Angebote wie gemeinsames Wandern, Grillen oder Kegeln an. Der Erfolg der Bemühungen blieb jedoch aus.

Bei genauerer Betrachtung der Stammtischfotos ist augenscheinlich, dass ein Großteil der hauptsächlich männlichen Besucher die immer gleichen Kaderaktivisten sind. Nicht zu unterschätzen ist dennoch, dass es in der Steiermark und in Kärnten auch am Land (vor allem unter Grazer Anleitung) zu kleinen Interventionen kam. Die vereinzelten Aktionen, bei denen sie Transparente von Autobahnbrücken oder vor Geflüchteten-Unterbringungen (beides beispielsweise in Wolfsberg) hissen, ergaben zwar meist nur verwackelte Handyfotos, die nicht wirklich in die professionelle Medienstrategie der Rechtsextremen passen. Trotzdem stellen diese Aktionen Partizipationsmöglichkeiten dar, die sich entscheidend auf die Politisierung junger Menschen auswirken können.

Scheinbar in der Defensive

Allgemein lässt sich feststellen, dass die Identitären Aufwand und Komplexität tatsächlicher Organisierungspolitik unterschätzt haben. Die Initiativen in ländlichen Regionen wurden deutlich weniger und es etablierten sich keine schlagkräftigen Strukturen. Stattdessen konzentrierte sich die rechtsextreme Gruppe wieder vermehrt auf Diskurspolitik und darauf, martialische Fotos und Videos zu produzieren. Schließlich haben Hausdurchsuchungen, Social Media- und Kontosperren sowie gerichtliche Prozess sie in die vermeintliche Defensive gedrängt.

Die größte Attraktivität und damit auch die größte Gefahr, die die identitäre Präsenz in ländlichen Regionen dennoch mit sich bringt, ist ihr symbolisches Identifikationspotenzial. Wenn es plötzlich cool ist, dass alltägliche Freizeitpraxen von Jugendlichen wie gemeinsames Abhängen, Ausgehen, Feiern, Sport, etc. im Phalanx- (Modelinie der Identitären) oder „Still not loving Antifa“-T-Shirt absolviert werden. Wenn in den Schulpausen am Raucherhof eher Martin Sellner-Vlogs anstatt Feine Sahne Fischfilet-Videos gestreamt werden und samstagabends lieber am patriotischen Lagerfeuer, als auf der selbst aus dem Hut gezauberten Keller-Elektroparty in Mamas Garage gefeiert wird. Dann besteht die Gefahr, viele Köpfe und Herzen für eine radikal vielfältige und sozial gerechte Gesellschaft auf Dauer zu verlieren.

Fortschrittliche Gegenangebote am Land stärken

Mit Sicherheit kann man in Österreich noch von keiner besonders erfolgreichen, tatsächlichen, Organisierung der Identitären von Jugendlichen in ländlichen Regionen sprechen. In einer durchdigitalisierten Gesellschaft birgt ihre mediale Präsenz und die bereits geschaffenen Anknüpfungspunkte dennoch eine Gefahr, vor allem hinsichtlich der schwindenden progressiven Gegenangebote in den Feldern der ländlichen Jugend- und Kulturarbeit. Die urbane Fixierung der Linken ist ein, oft polemisch zugespitzter, Vorwurf rechter Kräfte. Ein Funken Wahrheit ist darin aber mit Sicherheit enthalten.

Es braucht daher die Unterstützung, Vernetzung und Stärkung von Strukturen und Räumen am Land, die alternative, fortschrittliche Angebote machen. In jungen Jahren mit alternativen Kulturformen in Berührung zu kommen und sich selbst darin auszuprobieren, kann wichtige Fährten für eine fortschrittliche, politische Bewusstseinsbildung legen. Schön illustriert wird das in dem vor kurzem erschienenen Dokumentarfilm über das Röda Steyr: „Jedem Dorf sein Underground“. Der Film dokumentiert den selbstbestimmten, kreativen und langanhaltenden Kampf junger Menschen für einen Raum, in dem sie sich austauschen und verwirklichen können. Filmszenen aus den 1990ern, in denen hunderte junge Menschen am Hauptplatz von Steyr protestieren und die Politik in die Pflicht nehmen, auf ihre Bedürfnisse einzugehen, erfrischen und inspirieren auch heute.

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