Ivo Hajnal: „Wir sind die einzigen, die verstaatlichen wollen“

Was unterscheidet „Wir können“ von den Grünen und vom Wandel? Warum lehnt das linke Wahlbündnis eine CO2-Steuer ab – und was will es stattdessen? Und wieso ist die Linke in Österreich so erfolglos? Darüber hat Ivo Hajnal mit Valentin Schwarz gesprochen.

Die letzten Töne von „Bella Ciao“ hängen noch in der Luft, als Ivo Hajnal zum mosaik-Gespräch im Rahmen unserer Wahl-Interviewserie erscheint. Mit dem Partisanenlied hat der Wahlkampfauftakt von „Wir können“ auf dem Wiener Volksstimmefest traditionsbewusst geendet – und Ivo Hajnal und seine Ko-Spitzenkandidatinnen Elke Kahr und Zeynep Arslan haben lauthals mitgesungen.

Dass der Innsbrucker Sprachwissenschafter als Listenführender des Bündnisses aus KPÖ, der Alternativen Liste Innsbruck (ALI) und Unabhängigen in die Nationalratswahl zieht, hat viele erstaunt. Auch für Ivo Hajnal selbst kamen die Ereignisse überraschend, wie er eingangs erzählt. Nach ihrem Einzug in den Innsbrucker Gemeinderat 2018 wollte ALI diesen Frühling durch Österreich touren. Doch das Ibiza-Video und die Neuwahl kamen dazwischen. Rasch wurde ein Wahlbündnis auf die Beine gestellt – und Ivo Hajnal zum Spitzenkandidaten gekürt.

Euer Wahlbündnis heißt „Wir können“. Was ist eure Inspiration, Obamas „Yes, we can“ oder Spaniens „Podemos“?

Ivo Hajnal: Podemos. Ich finde es beeindruckend, wie rasch sie den Aufstieg zu einer wichtigen politischen Kraft geschafft haben. Und Barcelona en Comù ist das kommunalpolitische Vorbild von ALI.

Auf Wahlkabine.at liegt ihr bei vielen Leuten nahe bei Grünen und Wandel. Warum sollten sie sich für euch entscheiden?

Unsere Forderungen sind deutlich radikaler. Wir stellen als einzige die Eigentumsfrage. Wir wollen Immobilien- oder Energiekonzerne oder die OMV rekommunalisieren, letztlich also wieder verstaatlichen. Und wir wollen auch keine unsoziale CO2-Steuer, sondern soziale Maßnahmen gegen die Klimakrise, einen Green New Deal wie Bernie Sanders.

Darüber hinaus sollten die WählerInnen erkennen: Wenn sie Grün oder Rot wählen, besteht das Risiko, dass sie ihre Stimme für eine erneute Regierung mit Sebastian Kurz hergeben – denn alle wesentlichen Parteien wollen mit ihm koalieren. Wer wirklich etwas Neues für Österreich will, kommt nicht darum herum, uns zu wählen.

Und was unterscheidet euch vom Wandel?

Unser Programm ist konkreter. Ihre Rezepte sind auf zwanzig Jahre ausgerichtet, unsere auf den Tag nach der Wahl. Das meine ich nicht abwertend. Der Wandel stellt Utopien in den Mittelpunkt und die sind für viele Menschen wichtig. Für mich persönlich ist es relevanter, jetzt schon zu wissen, welchen Antrag ich am ersten Tag im Parlament stellen werde.

Ihr wollt eine gerechtere Verteilung von Vermögen, Einkommen und damit Macht und Chancen. Die von euch vorgeschlagenen Maßnahmen wie 30-Stunden-Woche, Vermögenssteuern oder Wertschöpfungsabgabe sind lang bekannt, die Argumente dafür ausgereift. Trotzdem ist es bisher nicht gelungen, die „gesellschaftliche Spaltung“, wie ihr sie kritisiert, zur politischen Schlüsselfrage zu machen, die auch Wahlen entscheidet. Warum ist das so?

Der Grund ist meiner Meinung nach die immer stärker werdende Politik der Angst. Den Leuten wird seit Jahren systematisch Angst gemacht – vor der Abschaffung des Bargelds, vor syrischen Kriegsflüchtlingen, vor der Vermögenssteuer. Sie glauben ernsthaft, dass die Reichen auswandern und die Wirtschaft zusammenbricht, wenn wir sie besteuern. Alles Blödsinn! Ich habe lange in der Schweiz gelebt. Dort gibt es eine Vermögenssteuer, und dennoch stehen die Reichen an der Grenze Schlange, um in die Schweiz reinzudürfen.

Ihr sprecht euch gegen eine CO2-Steuer aus, weil sie sozial ungerecht sei und wollt stattdessen eine sozial-ökologische Steuerreform. Wir sind wohl alle der Meinung, dass eine CO2-Steuer alleine nicht ausreicht. Aber sie könnte doch Teil eurer Steuerreform sein. Ist es ein guter Grund, kleinere Maßnahmen abzulehnen, weil prinzipiell größere nötig sind? Ihr sprecht euch ja auch für eine 30-Stunden-Woche aus, obwohl damit noch nicht die Ausbeutung der einen Menschen durch die anderen abgeschafft wird.

Wir halten die CO2-Steuer für das ungeeignetste, unfairste und unehrlichste Mittel gegen die Klimakrise. Sie funktioniert wie ein moderner Ablasshandel: Reiche kaufen sich dann frei, zahlen halt 700 Euro für den Flug nach Rom. Die meisten können sich das nicht leisten. Auch unter den PendlerInnen gibt es viele, die nicht zum Spaß jeden Tag eine Stunde im Auto sitzen, sondern weil das Leben und die Mieten in den Innenstädten zu teuer geworden sind. Die CO2-Steuer trifft somit gerade die am härtesten, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, nämlich die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Sie klingt nur für eine bürgerlich-grüne Klientel gut, da sie deren Gewissen beruhigt.

Was sind dann eure Vorschläge, um den Klimakollaps zu verhindern?

Erstens müssen wir den Klimaopfern helfen, die es in Österreich bereits gibt. In den Bergen taut der Permafrost auf, den Bauern und Bäuerinnen fallen die Hänge auf den Kopf. Zweitens müssen wir endlich an den bereits gesteckten Klimazielen arbeiten. Die für 2030 gesetzten Etappen haben wir bereits verfehlt: Der CO2-Ausstoß des Verkehrs müsste bereits stark gefallen sein, das ist nicht passiert.

Die CO2-Steuer könnte doch ein Schritt dorthin sein.

Nein, das ist der falsche Weg. Wir wollen stattdessen kostenlose Öffis. Wir wissen, dass das sehr teuer wird und nicht über Nacht geht. Ein erster Schritt sollten daher kostenlose Öffis entlang der großen Achsen sein, wo die meisten PendlerInnen unterwegs sind. Also auf Strecken wie Wien-Linz oder dem gesamten Inntal. Wir müssen den Menschen eine qualitätsvolle Alternative zum Auto bieten.

Und wir wollen einen Green New Deal, eine radikale Umgestaltung der Wirtschaft. Wir müssen neue Branchen mit neuen Jobs schaffen, etwa in der Solarenergie. Dafür brauchen wir massive staatliche Investitionen. Natürlich müssen wir ebenso die Konzerne, die die Klimakrise am stärksten mitverursachen, zum Umlenken bewegen.

Wie?

Tatsächlich mit CO2-Steuern. Das wird nicht ohne Steuerbelastung gehen.

Für die Schwerindustrie ist die CO2-Steuer also doch eine gute Idee?

Ja, für die Schwerindustrie schon. Noch einmal zu den Autos: Mir ist klar, dass das Dieselprivileg nicht mehr zeitgemäß ist. Aber einen Tesla können sich nur wenige leisten. Wenn ein Elektro-Auto nicht mehr kostet als ein Golf und die Sonnenenergie für alle günstig auf dem eigenen Dach verfügbar ist, wird sich unsere Position ändern.

Ihr wendet euch auch gegen die „käufliche Politik“. Dank Ibiza-Video und ÖVP-Spendenlisten wird die politische Macht der Reichen endlich als Skandal behandelt und heftig diskutiert. Glaubt man den Umfragen, ändert sich das Wahlverhalten trotzdem kaum. Viele sagen sich: „Eh schlimm, aber es sind ja alle Parteien korrupt.“ Was haltet ihr diesem Zynismus entgegen?

Wir wollen ein Zeichen setzen und verpflichten uns selbst, nicht mehr als 2.300 Euro zu verdienen. Der Rest fließt in einen Sozialtopf, der Bedürftige unterstützt. Elke Kahr und Robert Krotzer, die für die KPÖ in der Grazer Stadtregierung sitzen, machen das seit Jahren vor. Sollten wir ins Parlament einziehen, bedeutet das für einige von uns sogar Gehaltskürzungen! Schließlich liegen 2.300 Euro tiefer als das österreichische Durchschnittsgehalt. Während andere PolitikerInnen mit Euro-Zeichen in den Augen herumlaufen, wollen wir deren Bezüge wieder auf den Boden der Realität bringen.

Österreich ist eins der wenigen Länder in Westeuropa, wo es seit langer Zeit keine Linke im Parlament gibt. Ein historischer Grund ist die Stärke der SPÖ. Doch diese hat seit mittlerweile 17 Jahren bei Nationalratswahlen fast nur verloren. Auch die Grünen waren zuletzt schwächer denn je. Trotzdem ist es linken Kandidaturen nicht gelungen, auch nur in die Nähe eines Einzugs zu kommen. Wie erklärst du dir diese hartnäckige Schwäche?

Den Leuten in Österreich geht es noch relativ gut – oder sie glauben es zumindest. In Wirklichkeit mogeln sich viele nur noch durch. Die Miete könnten sie sich nicht mehr leisten, aber sie haben einen Baugrund von den Großeltern geerbt und die Eltern helfen bei den Mietkosten aus. Bei ihren Kindern, der nächsten Generation, wird das anders sein, dann ist der Baugrund weg und das Erbe auch.

Manche Menschen in Österreich lügen sich also selbst in die Tasche. Sie sagen sich: „Ich hab’s ja noch“, aber an ihre Kinder wollen sie lieber nicht denken. Die nächste Generation wird die erste sein, der es mieser geht als der vorherigen. Und die nächste Regierung Kurz wird das verschärfen. Wir müssen diesen Tatsachen ins Auge sehen. Das ist eine Frage der Vernunft, nicht von Links oder Rechts.

In Deutschland, bekanntlich keinem sozialistischen Staat, ist man schon weiter. Dort diskutieren selbst die konservativen Zeitungen über einen gesetzlichen Mietendeckel – und Themen sind salonfähig, die bei uns noch als unanständig gelten.

Der Einzug in den Nationalrat wird schwierig für euch. Was soll eure Kandidatur über das Wahlergebnis hinaus für das langfristige Ziel leisten, eine linke Kraft aufzubauen?

Ich habe lange in der Schweiz gelebt und bin erst vor einigen Jahren nach Österreich zurückgekommen. Was ich hier vorgefunden habe, war erschütternd: lauter frustrierte, entmutigte und zerstrittene Gruppen und Bewegungen. „Wir können“ soll eine dauerhafte Plattform sein, wo verschiedene Gruppen zusammenarbeiten, ohne ihre Identität aufzugeben.

Der KPÖ rate ich, zu sich selbst zu stehen. Sie hat 2.000 Tote aus dem Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus zu beklagen. Darauf kann sie erhobenen Hauptes zurückblicken! Die KPÖ soll die KPÖ bleiben, der Wandel der Wandel und die Junge Linke die Junge Linke. Aber wir sollten in einer gemeinsamen Plattform an einem Strick ziehen.

Was heißt das konkret?

„Wir können“ will über die Wahl hinaus regelmäßig Aktionen starten, etwa zu Brennpunkt-Themen wie teurem Wohnen oder Kinderarmut.

Euer Ziel ist also, ein dauerhaftes Bündnis zu schaffen?

Absolut, da werde ich nicht lockerlassen. Und ich bin mir sicher: Auch die nächste Regierung wird keine fünf Jahre halten. Wenn gar SPÖ oder Grüne mit der ÖVP von Sebastian Kurz koalieren und all die geplanten Grausamkeiten mittragen, werden sie die nächste Wahl verlieren. Dann werden wir bereitstehen.

Ivo Hajnal ist Spitzenkandidat von „Wir können“, dem gemeinsamen Antritt von KPÖ, der Alternativen Liste Innsbruck (ALI) und Unabhängigen bei der Nationalratswahl. Nachdem seine Familie 1937 aus Österreich geflohen war, wuchs Ivo Hajnal in der Schweiz auf und lebt seit 2001 in Innsbruck. Der Sprachwissenschaftler ist Universitätsprofessor und Senatsvorsitzender an der Universität Innsbruck.

Interview: Valentin Schwarz

Dieses Gespräch ist Teil einer Interviewserie mit linken KandidatInnen bei der Nationalratswahl 2019.

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