Italien-Wahl: Rechtsruck, Konzeptlosigkeit und Populismus

Am Sonntag wählt Italien ein neues Parlament. Warum Giorgia Meloni stärker aussieht, als sie ist, wie sich die Zentristen selbst überschätzen und ob die Fünf-Sterne-Bewegung zu ihren Anfängen zurückkehrt, analysiert Camilo Molina.

Laut letzter Prognosen wird in Italien jede:r dritte Wahlberechtigte am Sonntag nicht zur Wahl gehen – so viele wie noch nie bei einer Parlamentswahl. Das liegt wohl daran, dass in Italien gerade besonders unklar ist, was man bekommt, wenn man wo sein Kreuzerl macht. Seit der letzten Wahl hat hier jede mit jedem regiert (oder fast). In der letzten Koalition waren überhaupt fast alle Parlamentsparteien vertreten. Und dort haben sie das Programm künftiger Regierungen scheinbar auf Jahre festgelegt. Denn damit die Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds bis 2026 weiter in den 192 Milliarden Euro schweren „Aufbau- und Resilienzplan“ Italiens fließen, muss ein detaillierter Reformplan Quartal für Quartal streng eingehalten werden. Dies wird von der EU-Kommission überwacht.

Grundlage für die zuletzt regierende breite Koalition unter dem ehemaligen EZB-Chef Draghi war die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-Krise und der Geldregen aus Brüssel. Mit Krieg, Inflation und den EZB-Zinsanhebungen ist dieses Konzert nun aus dem Takt geraten. Ein halbes Jahr früher als vorgesehen konkurrieren die Parteien nun um Posten im nächsten Krisen-Kabinett.

Radikalisierung der Konservativen

In österreichischen Begriffen könnte man die Koalition mit den besten Aussichten auf einen Wahlsieg als ein schwarzblaues Bündnis bezeichnen. Allerdings unter Führung der Blauen. Die Partei „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia/Fdi) unter Giorgia Meloni wird in deutschsprachigen Medien oft als „postfaschistisch“ bezeichnet. Damit ist vielleicht gesagt, woher sie kommt, aber nicht, wohin sie geht. Entstanden ist die Partei vor zehn Jahren als Absetzungsbewegung vom konservativ-liberalen Lager. Dieses hatte sich während der Eurokrise 2011 einer Expertenregierung untergeordnet und trat später der ersten großen Koalition Italiens bei.

Die Fratelli d’Italia bauten sich hingegen zehn Jahre lang nach dem Credo „Gott, Vaterland, Familie“ in ideologischer Opposition zur Politik der liberalen Mitte auf. Für nationale Größe und Identität, gegen „Bevölkerungsaustausch“ durch Migration, für Geburtenrate und traditionelle Familie statt „Gender-Theorie“ und Gleichstellungspolitik. Für den älteren Kader der Partei fühlte es sich wie eine Rückbesinnung auf seine politischen Wurzeln an. Denn diese liegen in Italien am rechten Rand des Politikestablishments der Nachkriegszeit.

Neben ihrer stolzen Abgrenzung zur Linken arbeitetet Fdi auf regionaler und lokaler Ebene flexibel mit den anderen Mitte-Rechts-Parteien zusammen. Einen Großteil ihres Wähler:innenpotentials hat sie von diesen Kräften abgesaugt. Zwar hatte sie in den letzten Umfragen zuletzt nur 25 Prozent, doch in der zersplitterten Parteienlandschaft Italiens könnte sie das zur stimmenstärksten Partei machen. Ihrem Bündnis mit Salvinis Lega und Berlusconis Forza Italia stellt das Wahlgesetz (vielmehr als das Wahlvolk selbst) eine satte Parlamentsmehrheit in Aussicht.

Konzeptloser Zentrismus

Traditionelle Gegenspielerin der Rechten ist die Demokratische Partei (PD), die in deutschsprachigen Medien meist als „links“ und „sozialdemokratisch“ bezeichnet wird. Die aktuelle Führungsriege der Partei rund um Enrico Letta war früher allerdings Teil des Spitzenpersonals der ehemaligen christdemokratischen Staatspartei Democrazia Cristiana. Ihr Geschäft ist das Verwalten und Vermitteln in hohen politischen Ämtern; weniger Erfahrung haben sie beim Gewinnen von Wahlen. Lettas Konzept, sich als Erbe Draghis und als zentristischer Mustereuropäer zu positionieren, hat schwere Mängel.

Erstens, überschätzt die PD die Beliebtheit Draghis und des EU-Investitionsprogramms unter linksorientierten Wähler:innen. Viele glauben nicht, dass mit dieser Linie akute Probleme wie Teuerung, steigende Armut und Klimakollaps in Angriff genommen werden. Als Antwort auf die aktuellen Krisen bietet die Partei nicht viel mehr als die übliche Aufzählung von Schlagwörtern und Versprechen.

Zweitens läuft Lettas Suche nach ausländischer Unterstützung und sein Vorwurf an die Rechte, sie sei „antieuropäisch“ oder „antiwestlich“, bestenfalls ins Leere. Denn Melonis Linie eines radikalisierten Konservativismus erfüllt die notwendigen Voraussetzungen, um als Teilhaberin des europäischen Imperialismus akzeptiert zu werden. Sie steht in einer Tradition der NATO-Treue, die bis in den Kalten Krieg zurückgeht. Sie hat gute Verbindungen zu den US-Republikanern und trägt den EU-Kurs im Ukraine-Krieg mit. Weiters stellt sie die EU-„Spielregeln“ nicht (mehr) in Frage, sondern umwirbt namhafte Banker und Vertrauensmänner der „Märkte“ für wichtige Ministersessel. Van der Bellen, ganz der europäische Staatsmann, verkündete letzte Woche bei seinem Besuch in Rom sogar, dass Meloni „keine Gefahr für Europa“ sei.

Drittens hat Lettas politischer Kurs, die Wähler:innenschaft zur „Rettung der Demokratie“ aufzurufen, wieder einmal ins Lächerliche gezogen. Denn ein möglichst breites Wahlbündnis gegen die rechte Gefahr war der Partei diesmal nicht so wichtig wie die Abgrenzung von der „Fünf-Sterne-Bewegung“ (M5S), die im Sommer als Erste die Regierung Draghi verlassen hatte. Die zentristische Flanke der PD verabschiedete sich mit den neoliberalen Medienlieblingen Renzi und Calenda in einen unabhängigen Wahlantritt. Und so reduzierte sich die demokratische Front rund um die PD auf eine eher unattraktive Sammlung der Partei und ihren üblichen linken und liberalen Anhängseln, inklusive aus der M5S ausgeschiedener Karrierist:innen.

Fünf Sterne treiben nach links

Unter Giuseppe Conte, dem „Anwalt des Volkes“ und seit 2018 zweimal Premierminister, hat sich die Fünf-Sterne-Bewegung von einer Anti-System-Bewegung in eine Partei mit bescheideneren Zielen verwandelt. Man könnte es vielleicht „Sozialopportunismus“ nennen: In wechselnden Konstellationen sucht sie nach Spielraum für Politik zum Schutz der kleinen Leute. Ihre antimilitaristischen Töne und ihre Forderungen nach dringenden Maßnahmen gegen die soziale Krise machten sie zuletzt zu einem unbequemen Koalitionspartner. Seit die M5S aus der Regierung Draghi hinausgeworfen wurde, ist sie wieder verstärkt Anziehungspunkt für linksorientierte Wähler:innen. Das liegt wohl auch daran, dass sie während ihrer Regierungsbeteiligungen Maßnahmen verwirklicht hat, über die die Linke sonst nur redet. Dazu gehörte die Einschränkung prekärer Arbeitsverträge oder die Einführung eines „Bürgergeldes“, das mit unserer Sozialhilfe vergleichbar ist und ein wahrhaftiges Hassobjekt unter Arbeitgebern und Rechten ist.

Als erneute Außenseiter des politischen Systems werben die M5S nun unter dem Motto „auf der richtigen Seite“ für Mindestlohn, Gleichstellung, stabile Arbeitsverhältnisse und sogar Arbeitszeitverkürzung. Sie werden im kommenden Parlament wohl als drittstärkste Kraft vertreten sein.

Diese Wiederbelebung der M5S hält abermals den Raum für traditionellere linke Wahlantritte gering. Eine „Populare Union“ unter dem ehemaligen Antikorruptions-Staatsanwalt und ehemaligen Bürgermeister Neapels Luigi de Magistris, wird vor allem von kommunistischen Organisationen getragen und hat Unterstützung von prominenten europäischen Linkspolitikern wie Jean-Luc Mélenchon und Pablo Iglesias bekommen. Fraglich ist, was aus dieser Formation wird, wenn sie am Sonntag unter den drei Prozent bleibt. Diese sind für den Einzug ins Parlament notwendig.

Italien ist nicht Ungarn

In Italien könnte im Herbst die rechteste Regierung Westeuropas entstehen. Politisch wäre sie mit den Regierungen Polens oder Ungarns vergleichbar. Ihr Land ist allerdings für das wirtschaftliche Gleichgewicht in der EU wesentlich wichtiger. Wie Meloni ihre Rolle anlegt ist klar: Als Nachfolgerin Draghis bei der Verwaltung des italienischen Kapitalismus. Dafür braucht sie die Stabilisierung der Staatsschulden durch die Europäische Zentralbank. Was sie im Gegenzug anbieten kann: einen raschen Ausbau der Flüssiggasinfrastruktur, Steuersenkungen, den Rückbau der Sozialleistungen, eine harte Hand gegen Protestbewegungen und die Stärkung der Exekutive mit einem Präsidialsystem nach französischem Vorbild. Das Ganze bettet sie in eine ideologische Offensive gegen die Linke ein.

Doch die breite Parlamentsmehrheit von Melonis Wahlbündnis ist kein Garant für eine stabile Regierung. Sie erweckt auch einen falschen Eindruck über die Verankerung von Melonis Fdi in der italienischen Gesellschaft. Für viele sind die „Fratelli d’Italia“ immer noch ein Haufen ungustiöser Politgestalten. Die anrollende Krise wird zeigen, auf wen sie sich stützen können und woher der Gegenwind kommt.

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