Warum intergeschlechtliche Kinder besser geschützt werden müssen

Regenbogenglitzer

Die Bundesregierung ist beim Schutz von intergeschlechtlichen Minderjährigen säumig. Ein Gesetzesentwurf verstaubt in der Schublade, schreiben Paul Haller und Magdalena Klein.

Mit einem offenen Brief und einer Petition richteten sich vergangenen Mittwoch, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter*-, und Transfeindlichkeit, 72 Organisationen an die Bundesregierung. Ihre Forderung: Die Regierung muss rechtliche Schutzlücken schließen und intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche vor nicht notwendigen medizinischen Eingriffen schützen.

Dazu hat sie der Nationalrat mit einem Entschließungsantrag vor fast zwei Jahren einstimmig aufgefordert, also, mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos. Das politische Versprechen wurde bis heute nicht erfüllt. Ein von Justiz- und Gesundheitsministerium erarbeiteter Gesetzesentwurf liegt laut Justizministerin Alma Zadić seit Herbst 2022 bei der ÖVP, wie aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von Mario Lindner (SPÖ) hervorgeht. Die Familien- und Jugendministerin Susanne Raab (ÖVP), die neben Zadić und Gesundheitsminister Rauch im Entschließungsantrag adressiert ist, ist gefordert, die politische Blockadehaltung aufzugeben.

Vielgerügtes Österreich

Die Forderung nach einem gesetzlichen Schutz von intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen ist nicht neu. Im Gegenteil: Sie ist seit Jahrzehnten die Nummer-Eins-Forderung von intergeschlechtlichen Menschenrechtsaktivist*innen weltweit, verschriftlicht in der Malta Deklaration 2013, einem internationalen Forderungskatalog der Inter*-Bewegung. Seither wurde Österreich mehrfach von den Vereinten Nationen gerügt: 2015 vom UN-Ausschuss gegen Folter, 2020 vom UN-Kinderrechtsausschuss. Zuletzt prüfte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die Menschenrechtssituation in Österreich.

Im Jänner 2021 empfahlen im Zuge der Prüfung mehrere Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – konkret: Argentinien, Island, Malta und Uruguay – Österreich Kinder und Jugendliche vor nicht konsensuellen Eingriffen an den Geschlechtsmerkmalen zu schützen. Österreich nahm die Empfehlungen noch im selben Monat an, was auf ein zunehmendes Problembewusstsein schließen lässt. Doch verbessert hat sich seither nichts.

EU: langsamer Fortschritt

Auf EU-Ebene ist die Richtung klar: Das Europäische Parlament beschloss bereits 2019 eine umfassende Resolution über die Rechte von intergeschlechtlichen Menschen. Die Europäische Kommission zog nach und macht sich nun in der EU-Kinderrechte-Strategie ebenso wie in der EU-LGBTIQ Equality Strategy für den Schutz von intergeschlechtlichen Kindern bzw. Kindern und Jugendlichen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale (VdG) stark. Internationale Vorbilder gibt es auch, so verabschiedeten Länder wie Malta (2015), Portugal (2018), Deutschland (2021) und Griechenland (2022) bereits Gesetze zum Schutz von intergeschlechtlichen Minderjährigen. Während also immer mehr Staaten und Institutionen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung erkennen, blamiert sich Österreich zunehmend und nimmt Rüge für Rüge achselzuckend zur Kenntnis.

Allianz für Kinderschutz

Unter den Initiator*innen des offenen Briefs und der #aufstehn-Petition sind erstmals drei Selbstvertretungs- und Selbsthilfegruppen: der Verein intergeschlechtliche Menschen Österreich, die Frauen*-Selbsthilfegruppe MRKH Austria und der Verein Klinefelter* Inter. Unterstützt werden sie von einem breiten Bündnis von LGBTIQ-Organisationen, aber auch von Kinderschutzorganisationen wie den Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs, SOS Kinderdorf Österreich, bis hin zur Bundesjugendvertretung, der Volkshilfe Österreich, dem Berufsverband der Sozialen Arbeit (OBDS) oder der Österreichische Hochschüler:innenschaft (ÖH).

Sie alle eint folgender Gedanke: Nur ein Gesetz kann intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche wirkungsvoll vor nicht notwendigen medizinischen Eingriffen schützen. Kinder und Jugendliche mit Variationen der Geschlechtsmerkmale sollen die Chance haben, selbst über ihre Körper zu entscheiden. Dafür brauchen sie Informationen, Nachdenkzeit, unterstützende Erwachsene, einen positiven Zugang zu geschlechtlicher Vielfalt und ihren eigenen Körpern, aber auch: eine mutige Politik, die ihre körperliche Unversehrtheit schützt.

Foto: Alexander Grey

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