Warum Integration nicht funktioniert – und das gut so ist

Mit seinem Buch Desintegriert euch! sorgte der Autor Max Czollek 2018 in Deutschland für Aufregung. Nach einer gemeinsamen Performance Lesung mit dem Grazer Literaten Christoph Szalay im Forum Stadtpark sprach Czollek mit Mosaik-Redakteur Markus Gönitzer.

Was meinst du mit „Desintegriert euch“?

Politisch ist es zuerst einmal eine Absage an den Integrationsbegriff. Es gibt keine politische Debatte in Deutschland zu den Themen Migration und Postmigration ohne den Begriff der Integration. Integration ist das Modell um Zugehörigkeit in Deutschland zu denken und zwar über alle demokratischen Parteien hinweg. Egal um wen es geht, „Nafris“, Muslim*innen, Türk*innen, sie haben sich zu integrieren. Sie müssen eine Leistung erbringen, damit ihre Zugehörigkeit zu diesem Land anerkannt wird.

Die Debatte um Mesut Özil hat dieses Jahr gezeigt, dass dieser Anspruch auch dann nicht endet, wenn man in Deutschland geboren ist. Wenn du Mohammed oder Aishe heißt und in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland lebst, musst du immer noch beweisen, dass du integriert bist. Du musst Tore schießen oder einen Bambi gewinnen und immer zeigen, dass du nicht zu den bösen Migrant*innen gehörst. Daran wird sehr schön deutlich, wie sehr hinter dem Integrationsmodell nach wie vor Vorstellungen von kultureller Dominanz und kultureller Homogenität stehen.

In deinem Buch schreibst du, wir sollten der „Rhetorik der Zärtlichkeit“ der AfD gegenüber ein Ende setzen. Ist das eine Aufforderung, nicht oder nicht mehr mit Rechten zu reden?

In den meisten Debatten wird so getan, als müssten wir den Rechten und vor allem ihren Wähler*innen einfach einmal richtig zuhören. Wir wüssten ja gar nicht, was deren Probleme sind. Aber spätestens mit den Ereignissen in Chemnitz halte ich diese Haltung für scheinheilig. Seit Jahren brennen Flüchtlingsheime. Pegida mobilisierte Massen auf die Straßen, der NSU konnte über ein Jahrzehnt lang morden. Wir wissen alles, was wir wissen müssen.

Aber innerhalb der Vorstellung einer geläuterten deutschen Gesellschaft ist das Aufkommen einer neo-völkischen Rechten, die in Umfragen von 20 Prozent der Bevölkerung unterstützt wird, unmöglich. Und weil es im positiv nationalistischen Deutschland nicht so viele Rechte geben darf, wie es gibt, erklärt man sie zu Frustrierten, um die man sich kümmern muss. Ich nennen diese Haltung den Rechten gegenüber „Rhetorik der Zärtlichkeit“.

Oft heißt es auch, abweichende Meinungen auszuhalten, sei Teil der Demokratie. Wie siehst du das?

Ja, das stimmt sicherlich. Aber Demokratie besteht ja nicht nur darin, dass man sich versteht. Demokratie bedeutet auch die Notwendigkeit des politischen Streits. Desintegration ist ein Aufruf zu einem solchen Streit. Der Aufruf zu sagen, wir haben uns nicht missverstanden. Ich sehe das einfach anders.

Wenn Leute in Büchern wie Mit Rechten Reden schreiben, dass die Rechte vor allem eine diskursive Bedrohung sei, der man sich stellen müsse, haben sie in Bezug auf ihre eigene Lebensrealität vermutlich Recht. Aber ich würde ich das nicht verallgemeinern. Für die Menschen, mit denen ich im Gorki Theater arbeite, ist der Rechtsruck eine physische Bedrohung.

Du stellst in Desintegriert euch! einen Sehnsuchtsort vor, den Begriff der „radikalen Vielfalt“. Was können wir uns unter diesem Konzept vorstellen?

Ich stelle diesen Begriff dem der Leitkultur entgegen. Deutschland und vor allem das, was in Deutschland an Kultur entsteht, in der Musik, im Theater, in der Literatur, ist hochgradig geprägt durch gesellschaftliche Vielfalt. Mit der Behauptung einer deutschen Leitkultur hat das wenig zu tun. Radikale Vielfalt bezeichnet da erst einmal nur den Versuch, ein Modell zu entwickeln, das näher an der gesellschaftlichen Realität dran ist.

Aber gleichzeitig sollten wir uns als Linke eben auch von diesen Ideen verabschieden, Integrationsmedaillen zu verleihen oder Heimat positiv zu besetzen. Sonst gerät man nämlich in ein diskursives Fahrwasser, das die AfD mit ermöglicht hat. Stattdessen müssen wir unsere eigenen Konzepte aufbauen und uns fragen, wie unser Denken eingerichtet sein müsste, um so etwas wie die AfD zu verhindern. Und da bezeichnet radikale Vielfalt eine konkrete Utopie, einen Ort jenseits des Integrationsparadigmas.

Im Forum Stadtpark meintest du gestern, dass sich momentan viele zentrale politische Debatten in die Sphäre der Kunst und Kultur verlagern. Worin siehst du aktuelle Potenziale der Kunst, vor allem auch der Kunstformen, in denen du verhaftet bist?

Es mag eine professionelle Fehleinschätzung sein, dass ich glaube, dass Kunst eine wichtige Rolle spielt (lacht). Was ich wahrnehme ist aber, dass ein Theater wie das Maxim-Gorki-Theater, das seit vier Jahren eine postmigrantische Theatersprache entwickelt, einen immensen Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse hat. Sasha Marianna Salzmann und ich haben beide angefangen, Modelle des künstlerischen Ausdrucks zu entwickeln, die uns ermöglichen, dem Klischee als jüdische Autor*innen zu entrinnen.

Und auch mein Buch Desintegriert euch! ist kein Policy Paper, sondern ein künstlerisches Konzept, das sich mit der Form der Polemik auseinandersetzt, mit Rhythmus, dramaturgischen Bögen und der Klaviatur der Haltungen. Ein Beispiel: Der Begriff „jüdische Rache“, der im Buch über ein ganzes Kapitel ausgebreitet wird, ist die künstlerisch-überspitzte Verarbeitung der Position der „guten Opfer“, die ausschließt, dass die Juden keine Rache an den Nazis genommen hätten. Dieser Bezug auf die Rache heißt aber nicht, dass ich denke, es bräuchte auch politisch gesehen eine jüdische RAF.

Künstlerische Überspitzungen der Realität, die dabei viel von der Funktionsweise unserer Gesellschaft sichtbar machen, findet man auch in anderen Kunstformen. Ich verweise da gern auf HipHop, gerade weil der so einen schlechten Ruf hat. Ich glaube, dass HipHop für viele Menschen als ein Ermächtigungsraum funktioniert. Das meine ich nicht in einem politisch-moralischen Sinne, auch HipHop ist kein Policy Paper. Sondern er ist eine Art der Gegenerzählung. Womit im HipHop ja ganz zentral gespielt wird, sind die Angststrukturen der Dominanzkultur, etwa: Ihr habt Angst vor dem migrantischen Mann? Zurecht! Denn wir sind wirklich gefährlich. Das ist doch eine bewusst gewählte Strategie der Überzeichnung und der Aneignung, in der etwas Ermächtigendes mitklingt. Und das funktioniert als Stilmittel auch aus einer jüdischen Perspektive. Ihr habt Angst vor der Weltverschwörung der Weisen von Zion? Ja zurecht, denn wir kontrollieren den Laden. Und wenn wir wollen, dann ist hier morgen Revolution.

Max Czollek wurde 1987 in Berlin geboren, wo er bis heute lebt. Bis 2006 besuchte er die Jüdische (Ober-)Schule Berlin, danach studierte er Politikwissenschaft an der FU Berlin.

Interview: Markus Gönitzer

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