Die Covid-19-Impfung polarisiert. Das Spektrum reicht dabei von Zustimmung über Unsicherheit bis zu Verschwörungstheorien. Für eine sinnvolle Gesundheitspolitik und mehr Verständnis seitens der Bevölkerung braucht es vor allem eine differenzierte Kommunikation, internationale Zusammenarbeit und eine Debatte über Verteilungsfragen.
Großbritannien beginnt diese Woche mit der Covid-19-Impfung – die österreichische Bevölkerung gibt sich skeptisch. „Zu Recht”, meinen die einen, „Das sind doch alles Corona-Leugner*innen”, sagen die anderen. Wer sind diese angeblichen Impfskeptiker*innen, wie könnte eine solidarische Impfpolitik aussehen und was hat die Covid-19-Forschung mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen während HIV- und Ebola-Epidemien zu tun? Katharina T. Paul und Christian Haddad forschen an der Universität Wien zu Impfpolitik und Pharmaindustrie und klären über diese und andere wichtige Fragen rund um das Thema auf.
Mosaik-Blog: Laut Umfragen wollen sich 40-60% der Menschen in Österreich nicht gegen Covid-19 impfen lassen – auch unter der Voraussetzung der Impfstoff sei „sicher und wirksam“. Was wissen wir über diese Menschen?
Katharina T. Paul: Oft wird davon ausgegangen, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad weniger Zugang zu Informationen haben und daher eher zu Impfskepsis tendieren. Inzwischen sehen wir an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Uni Wien, dass Bildung keinen großen Unterschied macht. In manchen unserer Umfragen des „Austrian Corona Panel Projects” korreliert das Impf- mit dem Wahlverhalten. Aber das sind andere Zusammenhänge. Anhänger*innen der FPÖ sind zum Beispiel eher gegen die Impfpflicht, weil sie sie als Eingriff des Staates in die Privatsphäre sehen.
Wir beobachten, dass Männer impffreudiger sind als Frauen, weil Frauen in der Erziehung der Kleinkinder mehr mit dem Thema konfrontiert sind. Ältere sind impffreudiger, weil sie in anderen Impfsystemen, mit Praktiken wie der Impfpflicht, sozialisiert wurden.
Gerade diese Impfpflicht ist eines der Themen, die von Impfskeptiker*innen immer wieder aufgebracht werden. Was spricht dafür, was dagegen?
Katharina T. Paul: Verpflichtung kann Widerstand generieren. Über eine Impfpflicht nachzudenken und sie besprechbar zu machen, ist aber sinnvoll. Da geht es am Anfang vor allem um bestimmte Berufsgruppen. Die Bioethikkommission hat unlängst dafür plädiert, medizinisches und pädagogisches Personal verpflichtend zu impfen. Schon vor der Pandemie haben viele Krankenhausträger versucht, das zu implementieren. Aber wenn solche Entscheidungen von staatlichen Behörden auf private Institutionen verschoben werden, entstehen nur lückenhafte Instrumente.
Christian Haddad: In dieser Debatte verabsäumt die Politik häufig, mit den Fachkräften in einen Dialog zu treten. Gesundheitspolitisch ist eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen sinnvoll, aber es darf nicht an der Kommunikation fehlen.
In Österreich wurde bis in die 1970er Jahre verpflichtend gegen Pocken geimpft…
Katharina T. Paul: Ja, derlei Maßnahmen sind keine neuen Diskussionen. Zwar besteht keine Impfverpflichtung mehr in Österreich, in anderen Ländern Europas aber sehr wohl. In Deutschland ist zum Beispiel die Masernimpfung ein Kriterium für den Zugang zu Bildungsinstitutionen.
Christian Haddad: In viele Länder kann man bereits heute nicht ohne bestimmte Impfungen einreisen. Manche Menschen sehen das als Schutz der Allgemeinheit, andere als Einschränkung der persönlichen Freiheit. Das ist ein demokratiepolitischer Bereich, den wir verhandeln müssen. Denn hier treffen unterschiedliche Werte aufeinander.
Welche anderen Gründe nennen Imfpskeptiker*innen üblicherweise für ihre Zweifel?
Katharina T. Paul: Die Gruppe, die wir als Impfskeptiker*innen bezeichnen, also Menschen die zu Verschwörungstheorien tendieren, macht in Österreich nur unter fünf Prozent der Bevölkerung aus. Größer ist die Gruppe die zögert. Zur Zeit nehmen wir wahr, dass sich Menschen bezüglich der Wirkung der neuen, noch nicht zugelassenen Covid-19-Impfkandidaten, unsicher sind. Vorrangig weil es dazu noch keine Langzeitdaten gibt. Manche Menschen sind auch davon überzeugt, dass ihr Immunsystem an sich stark genug ist, um eine Covid-Infektion zu überstehen. Zusätzlich fehlen niederschwellige Angebote, die Impfungen zugänglicher machen.
Christian Haddad: Der schnelle Prozess der Impfstoffentwicklung verunsichert momentan sehr. Vor einem Jahr haben wir noch nichts von Covid-19 gewusst, im Dezember lassen wir in Europa bereits Impfstoffe zu. Da sind manche Menschen zunächst einmal zu Recht skeptisch, weil das gewöhnlich viele Jahre dauert.
Ist diese Geschwindigkeit in der Arzneimittelproduktion eine neue Entwicklung?
Christian Haddad: Viele Maßnahmen der beschleunigten Arzneimittelzulassung, die wir während der Covid-19-Pandemie sehen, sind Nachwirkungen der HIV-Aids-Epidemie. Damals übten Patient*innenorganisationen starken Druck auf die Gesundheitspolitik aus. Sie warfen den „Bürokraten in Washington” vor, durch ihr langwieriges Zulassungsverfahren höhere Sterberaten zu verantworten und forderten schnellere Maßnahmen und flexiblere gesundheitspolitische Möglichkeiten. Die heutige Skepsis nährt sich paradoxer Weise aus einem System das eingeführt wurde, um in Notsituationen schneller handeln zu können.
Ist diese Skepsis nicht berechtigt? In der Vergangenheit wurden zugelassene Arzneimittel bereits einige Male wieder eingeschränkt, weil sich in der Langzeitbeobachtung Komplikationen ereignet haben.
Christian Haddad: Die Impfstoffentwicklung geht nicht schneller voran, weil wissenschaftliche Phasen übersprungen werden. Aufgrund der Notsituation investieren Staaten und Privatwirtschaft sehr viel Geld in die Forschung. Viele Entwicklungsphasen, die normalerweise hintereinander ablaufen, passieren jetzt gleichzeitig. Was aber tatsächlich fehlt, ist die Langzeitbeobachtung.
Katharina T. Paul: Die Wissenschaft forscht schon lange zu Corona-Viren, auch bezüglich einer neuen Impfung. Das ist also kein völlig neues Kapitel. Dadurch, dass gleich so viel öffentliches Geld da war, mussten Forscher*innen keine ewig langen Anträge schreiben. Das nimmt im biomedizinischen Bereich normalerweise viel Zeit und Energie in Anspruch. Außerdem gibt es intensive internationale Kollaborationen. So werden unter anderem neu gewonnene Daten sofort geteilt.
Zum Stichwort weltweite Zusammenarbeit: Viele internationale Organisationen setzen sich gerade dafür ein, Patente für Corona-Impfstoffe auszusetzen, um eine gerechte Impfstoffverteilung an alle Länder zu ermöglichen. Wie wahrscheinlich setzt sich das durch?
Christian Haddad: Dem sogenannten Impfstoff-Nationalismus soll durch internationale Kollaborationen entgegengewirkt werden. Da geht es darum, Impfstoffe gemeinsam zu erforschen und fair zu verteilen. Es gibt aber mehrere Problemstellungen. Zwei Milliarden Impf-Dosen wurden schon von Europa und den USA gekauft. Die Regierungen wollen den Impfstoff der eigenen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, um sich politisch zu legitimieren.
Außerdem gibt es technische Herausforderungen. Zwei der Impfstoffe müssen bei bis zu -70 Grad gelagert werden. So könnte der Impfstoff nur dort verteilt werden, wo es sichere Kühlketten gibt. Und das sind eher Europa und Nordamerika als zum Beispiel Lateinamerika. Das kann als “technisches” Argument bei Verteilungsdebatten vorgeschoben werden.
Diese Fragen werden bisher aufgeschoben, dabei sind sie genauso relevant wie die Impfstoffentwicklung im engeren Sinn.
Wenn das so problematisch ist: Gibt es andere Versuche einer solidarischen Impfstoffentwicklung?
Christian Haddad: Die jetzigen Vorstöße sind im Vergleich zu früher bereits vielversprechend. Gegen die Ebola-Epidemie waren etwa 37 Impfstoffe in Entwicklung. Am Ende wurde nur ein Arzneimittel in die Endtestphase zugelassen, weil die Krise zynischerweise „zu schnell” vorbei war. Sobald der Krisenstatus nicht mehr da ist, lässt der politische Druck nach und Investoren ziehen sich zurück. Damit dies nicht wieder geschieht, gründete sich 2017 die Allianz CEPI (Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung). In Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation versucht CEPI die Corona-Impfstoffentwicklung zu koordinieren.
Katharina T. Paul: Globale Gesundheit ist völkerrechtlich nicht leicht verhandelbar. Insbesondere in einer globalisierten Welt, in der auch private Akteure eine große Rolle spielen. Epidemiolog*innen haben schon lange vor möglichen Pandemien gewarnt. Die pandemische Vorbereitungspolitik wurde aber ignoriert – nationale Interessen hatten Vorrang. Das sehen wir auch heute noch daran, dass gesundheitspolitische Fragen als innenpolitische Aufgaben diskutiert werden.
Es scheint momentan viel Frust über die unklare Krisen-Kommunikation der Regierung zu geben. Wie schätzt ihr die Arbeit der Politik ein?
Katharina T. Paul: Die Politik muss mutiger werden, Unwissen klarer kommunizieren und den Menschen zuzumuten. Damit riskiert man kurzfristig eine größere Skepsis, bereitet aber langfristig eine bessere, gesellschaftliche Akzeptanz für neue Technologien vor.
Christian Haddad: Das würde auch den sogenannten Verschwörungserzählungen den Wind aus den Segeln nehmen. Letztens wurde in der Zeit im Bild erklärt, die europäische Arzneimittelbehörde würde nur einen Impfstoff zulassen, der absolut sicher ist. Aber absolut ist im wissenschaftlichen Kontext nichts. Dafür braucht es Verständnis.
Wie sollte die politische Kommunikation zu Pandemie-Zeiten idealerweise aussehen?
Katharina T. Paul: In der österreichischen Innenpolitik wird suggeriert, dass diese Impfung das Ende der Pandemie darstellt. So wird es nicht sein. Gleichzeitig können wir aber auch nicht ohne Impfung. Masken und Kontakt-Reduktion werden weiter eine Rolle spielen. Reisen oder einkaufen wie früher wird nicht in einem Jahr wieder beginnen, was es vielleicht auch gar nicht sollte. Momentan wird alles sehr kurzsichtig verhandelt und kommuniziert. Dabei ist eine neue Technologie alleine zu wenig, es braucht politische Vertrauensarbeit.
Christian Haddad: Demokratiepolitisch ist es wichtig, die Kommunikation zu fördern. Oft stellen wir eine Polarisierung her: Entweder bist du für eine neue Technologie und damit auf der Seite der Wissenschaft oder dagegen. Da bräuchte es einen differenzierteren Dialog, der es aushält dem anderen zuzuhören und das auszudiskutieren. Ohne gleich zu sagen: „Ah, das ist ein böser Impfskeptiker.”
Der Prozess der Wissensdemokratisierung was Pandemien betrifft, hat bereits begonnen. Im April 2020 stimmten in unseren Umfragen viele Menschen dem Handeln der Regierung zu, denn sie wussten nicht, was es für Alternativen geben sollte. Ein halbes Jahr später sehen wir einen differenzierteren Blick auf die Maßnahmen – die Menschen wissen mehr über das Thema und bringen sich in die Debatte ein. Eine Konsequenz dessen könnte sein, dass wir bei einer künftigen Pandemie alle mehr Resilienz haben.
Interview: Sarah Yolanda Koss