Angeklagte Identitäre: Warum der Prozess mehr schaden als nützen könnte

17 AktivistInnen der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) stehen unter Anklage – darunter zehn führende Kader. Der Gerichtsprozess wird die Identitären die nächsten Monate beschäftigen. Doch das Spektakel birgt auch Gefahren und könnte am Ende den Rechtsextremisten auch nützen, meinen Kathrin Glösel und Julian Bruns.

Anfänglich ging es in den Ermittlungen gegen die Identitären gar nicht um ihre Aktionen. Nicht die Stürmung der Grünen Parteizentrale in Graz oder die Störung einer Lehrveranstaltung an der Uni Klagenfurt waren der Anlass, sondern der Verdacht der Steuerhinterziehung.

Die Staatsanwaltschaft Graz vermutete, dass Identitäre Einnahmen aus ihrem Merchandise-Versand nicht korrekt versteuert hätten. Im Rahmen dieser Ermittlungen führte sie Hausdurchsuchungen durch, die letztlich zur aktuellen Anklage führten. Darin wird den IB-Mitgliedern Verhetzung, Sachbeschädigung, Nötigung sowie die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Die Grazer Staatsanwaltschaft erklärt unter anderem, den Identitären gehe es darum, „den Islam generell mit islamistischem Terror gleichzusetzen“.

Wie der Prozess den Identitären schaden kann

Für die rechtsextreme Organisation ist die Anklage ein großes Problem. Alleine die Vorbereitung des Prozesses wird viele Ressourcen der Organisation verschlingen:

Erstens zeitlich. Die Angeklagten werden Gegenbeweise zu den Vorwürfen erbringen müssen und dafür entlastende Unterlagen bereitstellen müssen. Ganz abgesehen davon, dass die Geschichten und Aussagen aufeinander abgestimmt werden müssen. Immerhin werden sie Peinlichkeiten wie im Sommer 2017 vermeiden müssen. Damals blamierte Identitären-Chef Sellner seine deutschen Kameraden bei einer Gerichtsverhandlung in Halle an der Saale durch widersprüchliche Aussagen. Die deutschen Identitären waren wegen Körperverletzung und Nötigung angeklagt.

Zweitens personell. Denn vor und während des Prozesses werden diejenigen, die nicht selbst angeklagt sind, abseits des Gerichtssaals mit Krisenkommunikation und interner Abstimmung beschäftigt sein. Zudem müssen sie verstärkter kontrollieren, wie Leute der zweiten und dritten Reihe sich verhalten, um die Angeklagten nicht zu belasten.

Drittens finanziell. So ein Prozess kostet Geld, das Stundenhonorar von AnwältInnen ist dreistellig. Zwar werden sicherlich wohlgesinnte KameradInnen und GeldgeberInnen aus Deutschland (Stichwort: Einprozent und „Unterstützungskampagnen“) Geld lockermachen. Trotzdem werden sie sich ärgern, diese Summen nicht für rechtsextremen Agitprop ausgeben zu können.

Positive Nebeneffekte

Aufmärsche, Videos und Störaktionen werden schwieriger. Zum einen mangels Ressourcen, zum anderen, weil die Verteidigung wohl davon abraten wird, irgendetwas Öffentlichkeitswirksames zu fabrizieren, das den Angeklagten schaden könnte. Was Identitäre tun und sagen, kann und wird gegen sie verwendet werden.

Der Prozess wird auch interessante Einblicke in die Interna der Identitären in Österreich geben. In ihre Vereinsstrukturen, ihre Strategien, ihre Finanzierungsquellen und ihre engmaschigen wie loseren Netzwerke. Das kann antifaschistische Recherche nachhaltig verdichten.

All das sind mögliche positive Nebeneffekte. Sie resultieren aus der Tatsache, dass es überhaupt einen Gerichtsprozess gibt. Sie haben aber nichts mit den konkreten strafrechtlichen Anklagepunkten zu tun. Denn die sind ein starkes Stück und betreffen auch den umstrittenen §278 StGB, der das Bilden einer kriminellen Vereinigung verbietet.

Wie der Prozess den Identitären nützen kann

Dieser Prozess bringt den Identitären etwas, das sie seit 2012 genießen und auf Biegen und Brechen bekommen wollen: Aufmerksamkeit. Zu erwarten sind Artikel, die in einer Art Leistungsschau jene Aktionen nachzeichnen, die Anlässe für die Anklagepunkte waren. Zu erwarten sind Interviews von wohlgesinnten bzw. ihnen selbst zuzurechnenden Medien (Info Direkt, Wochenblick, Tagesstimme, unzensuriert, Compact Stories, ein paar rührige Video-Blogs) und vermutlich ein selbstmitleidsvoller Prozessbericht aus Identitären-Sicht, der der Justiz Voreingenommenheit und unfaire Prozessführung unterstellt, damit die Opferrolle aufrecht bleibt.

Insgesamt fördert die Anklage eine David-gegen-Goliath-Erzählung: Das vermeintliche Establishment gegen die „patriotischen Kritiker“. Das wird die kameradschaftlichen Bande stärken. Die Mär von den Abendland-Verteidigern, die sich aller Hindernisse zum Trotz für die bedrohte Volksgemeinschaft stark machen, wird in Dauerschleife abgespielt werden.

Wer ist als nächstes dran?

Dass ausgerechnet der Paragraph 278 StGB eingesetzt wird, macht viele BeobachterInnen skeptisch. Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Falter“ und selbst Jurist, findet die Anklage deshalb „nicht unbedenklich“.

Unter anderem weil die Agitationsformen, die im Zuge der Anklage genannt werden, auch von UmweltschützerInnen angewendet werden – wenn auch ideologisch anders besetzt. Klenk sieht „Umwelt-NGOs durch die Argumentation der StA in großer Gefahr“. Eine Verurteilung, so die Schlussfolgerung, könnte einen Rattenschwanz an weiteren Anklagen gegen andere Gruppen nach sich ziehen.

Freispruch als Freifahrtschein?

Ob die Anklage hält und Identitäre für das, was ihnen jetzt in diesem Prozess vorgeworfen wird, verurteilt werden, ist jedenfalls fraglich. Zur Erinnerung: Nach einem Überfall auf AntifaschistInnen in Graz stellte die Staatsanwaltschaft Graz 2016 die Ermittlungen gegen Identitäre ein, obwohl es Fotos vom Angriff und ärztliche Atteste der Opfer gab. Diese warfen den Rechtsextremisten vor, sie mit Schlagstöcken, einem Gürtel und einer Eisenschnalle attackiert und verletzt zu haben. Doch die Behörde wollte den AntifaschistInnen keine „erhöhte Glaubwürdigkeit“ attestieren.

Die Beweislast müsste wohl erdrückend sein, damit es zu einem Schuldspruch kommt. Ein Freispruch hätte nachhaltige Folgen: Er wäre ein Freifahrtschein. Zwar wären Identitäre dadurch nicht immun gegen Kritik. Das Aufzeigen der Gefahren, die von ihrer Ideologie und Propaganda ausgeht, wäre weiter notwendig und möglich. Aber ihre Selbstinszenierung würde immens gestärkt.

Können wir Behörden vertrauen?

Die Frage ist auch, wie viel Vertrauen Betroffene in Behörden haben können, wenn Rechtsextreme nicht zur Verantwortung gezogen werden. Wenn Foto-Beweise bei körperlichen Übergriffen nicht ausreichen, wird ein Freispruch in einem Prozess, der auf die ideologischen Säulen abzielt, noch mehr jene Menschen entmutigen, die die Folgen rassistischer und Anti-Antifa-Propaganda täglich am eigenen Körper zu spüren bekommen.

Kommt es hingegen zu einer Verurteilung und gar zu Haftstrafen, würde dies die Identitären durchaus schwächen, denn unerschöpflich ist ihr Personalpool, insbesondere was Nachwuchskader anbelangt, nicht. Und zum Beispiel Martin Sellner verurteilt würde, wäre das für Identitäre in ganz Europa lästig – vorübergehend.

Kathrin Glösel und Julian Bruns haben gemeinsam mit Natascha Strobl das Buch „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ geschrieben.

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