Vom 26. Mai bis 1. Juni fand am Fluss Warme Fischa bei Lichtenwörth das diesjährige Klimacamp bei Wien statt. Betania Bardeleben war dort und berichtet vom ‚Herzstück der Klimagerechtigkeitsbewegung‘.
Von weitem schon sind die zahlreichen Zelte auf dem Feld des Bio-Landwirts Hans Gribitz bei Lichtenwörth in der Nähe von Wiener Neustadt zu sehen. Die Teilnehmer*innen des Klimacamps sind dieses Jahr wieder aus allen Teilen Österreichs angereist. Sie wollen sich bei den unterschiedlichen Workshops in angeregte Diskussionen vertiefen und sich von anderen klimabewussten Menschen inspirieren lassen.
Im Zentrum des Camps: ein riesiges Zirkuszelt. In diesem finden nicht nur Workshops statt. Abends halten darin DJs auch nach Anbruch der Nacht und trotz Regens die gute Stimmung aufrecht. Auf der freien Wiesenfläche vor dem Zelt kommen die Menschen auf Bierbänken zusammen, um gemeinsam Abend zu essen. In der gemeinschaftlichen Küche im Zelt daneben, wird während der Campwoche für die vielen hundert Menschen gekocht. Jede*r wird hier versorgt und entscheidet selbst, wie viel gespendet wird. Auf einem Whiteboard können sich Teilnehmer*innen eintragen, um bei den unterschiedlichen Aufgaben zu helfen. Zu tun gibt es in der Küche und andernorts genug. Zwang herrscht keiner, trotzdem finden sich stets freiwillige Menschen, die der Küchencrew helfen zu kochen und abzuwaschen.
Klimacamps als Orte der Visionen
Das Klimacamp ist ein Ort der Vernetzung und Bildung. Die Organisator*innen des Camps beschreiben das alljährliche Ereignis als „Herzstück der Klimagerechtigkeitsbewegung“. Am Camp soll nicht nur Austausch stattfinden. Es soll ein inklusiver Raum sein, in dem die Anwesenden ein alternatives Zusammenleben erproben – bspw. durch einen anderen Umgang mit Geld – und so der kapitalistischen Gesellschaft im Kleinen etwas entgegensetzen.
Die Workshops und Veranstaltungen, die am Klimacamp stattfinden, drehen sich rund um ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Nachdem das letzte Jahr thematisch die Mobilitätswende ins Visier nahm, war diesjähriger Fokus des Camps die „Bauindustrie in der Klimakrise“. Dazu fanden Exkursionen auf dem Fahrrad, Präsentationen und Workshops wie zum Beispiel von „Architects for Future“ statt. Doch auch außerhalb des breit gefächerten thematischen Rahmenprogramms gab es heuer wieder Spiele, Konzerte und Skillsharing. Für Besucherin Maite (Name geändert) stand am Donnerstag der Workshop zu „Queerfeministischer Landwirtschaft“ am frühen Nachmittag an. Angereist ist sie schon am Mittwoch, um am Abend die Party und Mittwochfrüh die Yogastunde mitmachen zu können.
Das Klimacamp bei Wien über die Jahre
Ein erstes Klimacamp bei Wien fand nach deutschem Vorbild im Jahr 2016 statt. Dabei war unter anderem die Wiener Klimagerechtigkeitsgruppe „System Change not Climate Change“ beteiligt. Seitdem findet das Klimacamp bei Wien jährlich statt und entwickelt sich stetig weiter. Während COVID-19 fand 2020 eine kleinere Ausgabe – das Stadt(t)Klimacamp – statt.
In diesem und letzten Jahr waren die rund 20 Organisator*innen größtenteils unabhängig. „Einige unter den Organisator*innen sind Neulinge in Anbetracht politischer Arbeit. Manche sind aber auch schon bei verschiedenen Gruppen und Initiativen aktiv. Im letzten Oktober fand das erste Plenum statt. Von da an wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet und sich regelmäßig getroffen. Erst ein Mal im Monat und dann immer öfter“, so Moritz (Name geändert) ein Mitorganisator des Camps. Er selbst ist Architekturstudent. „Das Camp versucht stets lokale Kämpfe zu unterstützen, indem es die Aufmerksamkeit auf den Ort des Geschehens lenkt und Unterstützer*innen vor Ort bringt“, so Moritz weiter. „2022 entwickelte sich mit dem Klimacamp bei der Lobaubesetzung die Besetzungsthematik. Noch 2023 entstand daher auch die Idee, mit dem Camp den Widerstand gegen die geplante Ost‚umfahrung‘ in Lichtenwörth zu unterstützen.“
Am Ort des Geschehens ist bereits seit fünf Jahren die Initiative „Vernunft statt Ostumfahrung“ aktiv. Sie holte sich letztes Jahr die Unterstützung von Aktivist*innen aus Wien und Graz. Auf dem Acker an der Grenze von Wiener Neustadt zu Lichtenwörth soll die geplante Umfahrungsstraße B17 den Verkehrsring rund um Wiener Neustadt schließen. Ein Natura-2000 Gebiet und fruchtbare Äcker würden dadurch zerstört werden.
Camptage sind Protesttage
Moritz spricht auch einen anderen Vorteil des Camps beim Protestacker in Lichtenwörth an: Die Organisator*innen konnten auf die Ressourcen vor Ort zurückgreifen. Neben den raffiniert gebauten Komposttoiletten mit Trockensystem wurde Anfang des Jahres ein Folientunnel errichtet. In ihm pflanzt die Gartengruppe seitdem reichlich Obst und Gemüse an. Auch die meisten Anwohner*innen sprechen sich gegen die Ostumfahrung aus. Sie unterstützen die Besetzung und das Klimacamp aktiv oder passiv. In der Campwoche trafen die verschiedenen Gruppierungen aufeinander. Die Klimacamp-Organisator*innen, die Bürgerinitiative, die Gartengruppe, die Besetzungsgruppe, Klimaaktivist*innen, Anwohner*innen und weitere konnten sich vernetzen und austauschen. Der EU-Klimastreik am Freitag, die Pride-Parade in Wiener Neustadt am Samstag und gemeinsames Gärtnern am Protestacker schufen neben des Rahmenprogramms des Camps für die Besucher*innen abwechslungsreiche Gelegenheiten, in Aktion zu treten.
Und auch nach den Tagen des Klimacamps passierte noch einiges. Am 6. Juni tagten unter dem Motto „Stadt fürs Leben – nachhaltig.innovativ.menschlich“ die 73. österreichischen Städtetagen in Wiener Neustadt. Die Klimaaktivist*innen vor Ort nutzten die Zusammenkunft von Österreichs Spitzenpolitiker*innen. Sie protestierten gegen die Kluft zwischen Marketing und Realität in Sachen Umweltschutz in Bezug auf die Straßenbaupläne. Mit Traktoren und Bannern fuhren auch die lokalen Landwirt*innen vor. Unter ihnen Hans Gribitz: „Wann verstehen die Politiker*innen endlich, dass man Beton nicht essen kann?“ Hans, auf dessen Acker das Klimacamp nun schon zum zweiten Mal stattfand, soll für die geplante Straße enteignet werden.
Herzstück im Wandel?
Die im Schnitt 100 bis 150 Besucher*innen des diesjährigen Klimacamps konnten sich über das – im Vergleich zum letzten Jahr – bessere Wetter freuen. Die Sonne lud trotz vollen Programms zu Badepausen in der warmen Fischa, direkt unter dem Baumhaus der Ackerbesetzer*innen ein. Klimacamps sollen ein Ort zum Wohlfühlen sein – aber eben auch der inhaltlichen und strategischen Debatte und des politischen Widerstands. Als solche Orte haben sie sich vor mehr als zehn Jahren etabliert. Doch die Klimagerechtigkeitsbewegung befindet sich im Wandel – und so auch die Klimacamps. Wollen Klimacamps ein Herzstück der Bewegung bleiben, müssen sie diesen Wandel mitmachen bzw. ihn aktiv gestalten. Dass eines der bedeutendsten Klimacamps im deutschsprachigen Raum – jenes im deutschen Braunkohlerevier Rheinland – seit 2023 nicht mehr stattfindet, sollte zu denken geben.
Mit Rückkehr an den Ort eines politischen Widerstands – zuerst die Lobau- jetzt die Ackerbesetzung – hat es das Klimacamp um Wien geschafft, wieder an konkrete Kämpfe anzuknüpfen. Neben Aktivist*innen waren Bürger*inneninitiativen genauso vor Ort, wie Anrainer*innen und teilweise lokale Politiker*innen. Letztere sind nicht zwingend Bündnispartner*innen, jedoch ist in der lokalen Auseinandersetzung der Kontakt mit ihnen wichtig. Gleichzeitig macht es jedoch nicht den Eindruck, dass aktuell auf den Klimacamps (bei Wien) die zentralen taktischen und strategischen Fragen der Klimagerechtigkeitsbewegung diskutiert werden. Dazu sind zu viele relevante Gruppen aus der Bewegung abwesend. Andere Gruppen, mit denen die Klimagerechtigkeitsbewegung sprechen könnte, sind (noch nicht) anwesend. Umso spannender ist daher die Frage, in welche Richtung sich das Klimacamp bei Wien in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Titelbild: Klimacamp bei Wien