Michael Bonvalot sprach mit den LehrerInnen Alice, Claudia und Markus* über ihre Arbeitsbedingungen und den Sager Michael Häupls. Alice arbeitet an einer Handelsschule und Handelsakademie. Die 39jährige unterrichtet Spanisch und Geographie. Claudia, 50, ist Lehrerin an einer Handelsakademie. Ihre Fächer sind Mathematik, Physik und Chemie. Der dritte im Bunde ist der 43jährige Markus. Er arbeitet an einem Gymnasium, wo er SchülerInnen zwischen 10 und 18 in Geschichte und Deutsch unterrichtet.
Michael: Könnt ihr zu Beginn erzählen, wie euer Arbeitsalltag während der Unterrichtszeit aussieht?
Alice: Die reine Unterrichtszeit ist natürlich unseriös, denn das ist nur ein Teil der Arbeitszeit. Doch die hat es in sich. In den 50 Minuten in der Klasse bin ich zu 100 Prozent gefordert. Da gibt es kein Facebook, kein Nachdenken, keine Pause, kein Kratzen am Arsch. Die SchülerInnen erwarten Performance und Konzentration. Wie anstrengend es ist, hängt von der Klasse ab, aber auch vom Gegenstand. In Sprachgegenständen wird ab 26 SchülerInnen geteilt, in anderen Gegenständen habe ich die ganze Klasse. In Geografie sind das 30 SchülerInnen. Dann kommt es natürlich darauf an, ob es ein Hauptgegenstand ist oder nicht. Wenn es wichtiger für die SchülerInnen ist, ist es einfach.
Vor allem die Handelsschul-Klassen gehen unglaublich an die Substanz. Du stehst vor 30 SchülerInnen, wo permanent ein enormer Lärmpegel herrscht. Du bist Entertainerin und Dompteuse. Manchmal möchte ich nur heulen und rausrennen. Da kannst du auch nicht nach Lehrbuch unterrichten, sondern musst permanent etwas finden, was voll mitreißt. Und ich habe noch das Glück, das ich nur Oberstufen unterrichte, in Unterstufen und Hauptschulen ist das noch viel heftiger. Michael Häupl kann gern mal in eine Klasse kommen und sich da hinstellen. Die meisten Leute, die schimpfen, würden den Job selbst niemals machen wollen. Wichtig ist mir: die SchülerInnen sind nicht böse, wenn sie laut sind. Sondern das Energielevel der Jugendlichen wird in den Schulen überhaupt nicht befriedigt. Es würde auch nicht gehen, zu sagen, scheiss drauf, ich pack es nicht mehr. Du hast ja einen Lehrplan, die SchülerInnen müssen bestimmte Dinge können.
Claudia: Die SchülerInnen kommen mit allem, was sie ausmacht. Mit Unsicherheiten, mit Problemen und werden auch nicht immer gern unterrichtet. Oft geht ein großer Teil der Stunde drauf, weil etwas brennendes in der Klasse passiert ist, wo die SchülerInnen das Bedürfnis haben, darüber zu sprechen. Hier übernehmen wir Aufgaben, wo es dringend zusätzlich Schulsozialarbeit bräuchte.
Es gibt auch kaum Pausen. Unser Schulgebäude ist sehr weitläufig. Ich komme nicht sofort aus einer Klasse raus, wenn es läutet, weil SchülerInnen Fragen haben. Dann hetze ich ins Konferenzzimmer, hole die nächsten Materialien, die schon bereit liegen müssen und muss sofort in die nächste Klasse – wenn nicht noch ein Anruf eines Elternteils kommt, denn die Eltern erreichen mich ja nur in dieser Zeit. Auch wenn wir Löcher im Stundenplan haben, sind das eigentlich keine Pausen, denn es klopft dauernd einE SchülerIn und braucht etwas. Dann muss kopiert werden oder es ist anderes zu tun.
Michael: Wieviel arbeitet ihr außerhalb der Klasse?
Claudia: Das Unterrichten ist nur kleiner Teil meines Jobs. Ich muss sehr viel Vorbereitung zu Hause machen, damit der Unterricht läuft. Ich überarbeite regelmäßig die Unterrichtsmaterialien, es verändert sich ja auch ständig etwas, inhaltlich, durch neue Lehrpläne oder jetzt die Zentralmatura. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Korrigieren. Ich habe 10 Klassen mit einem Durchschnitt von 25 SchülerInnen. Wenn ich zwei Mal in der Woche eine Hausübung gebe, muss ich pro Woche 500 Hausübungen korrigieren. Da sind noch keine Test oder Schularbeiten dabei.
Dann kommen viele administrative Dinge. Schließlich hat bei uns fast jedeR KollegIn ein Zusatzamt, etwa die Betreuung der Bibliothek, EDV-Tätigkeiten, oder die Organisation von Schulveranstaltungen. Diese Zusatzämter werden entweder gar nicht oder sehr gering entlohnt. Es ist allerdings kaum möglich, nein zu sagen.
Alice: Die Arbeit ist sehr jahresphasenabhängig und hängt auch viel von Berufserfahrung und Effizienz ab. Während der Schularbeitszeiten und der Matura ist es natürlich besonders dicht. Gleichzeitig geht es natürlich immer auch um persönliches Investment. Ich würde sagen, in meiner Schule sind 90 Prozent der KollegInnen sehr engagiert, 10 Prozent gehen den Weg des geringsten Widerstands.
JedeR LehrerIn ist per Vertrag auch verpflichtet, sich an der „Schulentwicklung“ zu beteiligen, sich also für irgendein Amt zur Verfügung zu stellen. Dazu kommen Sitzungen, etwa zur Weiterentwicklung und die Verpflichtung zu Seminaren und Weiterbildung. Ich habe beispielsweise EU-Projekte gemacht, so etwas ist extrem zeitintensiv. Wenn Du da gar nichts machst, wird das nicht gern gesehen. Und wer sich nicht einsetzt, wird auch kaum je einen unbefristeten Vertrag bekommen. Enorm hoch ist auch der Verwaltungsaufwand. Ich muss alles ins elektronische Klassenbuch eintragen. Ich muss auch jede Hausübung notieren, also wann sie gebracht wurde und die Qualität der Arbeit.
Michael: Wie sieht euer Arbeitsplatz in der Schule aus?
Claudia: Mein Arbeitsplatz in der Schule ist ein kleiner halber Schreibtisch, so ca. 50 cm x 50 cm. Ich versuche in der Schule zu arbeiten, weil es im Stundenplan oft große Löcher gibt, aber das wird so extrem erschwert. Diese Leerzeiten sind ein großes Problem für alle. Ich hatte schon bis zu vier Stunden Pause, wo ich in der Schule saß, aber kaum arbeiten konnte. Es scheitert am Platz und am Fehlen meiner Unterlagen, weil in der Schule kein Platz für die Aufbewahrung wäre. Es ist auch durchaus üblich, dass es für 80 bis 90 LehrerInnen gerade einmal fünf Computer gibt.
Markus: Im LehrerInnenzimmer gibt es bei uns viel zu wenig Platz. Wir haben insgesamt acht Computer im LehrerInnenzimmer, die sind für rund 120 KollegInnen. Verwaltungsarbeiten der ca. 40 Klassenvorstände müssen an den Schulcomputern erledigt werden und da kommt es vor allem gegen Schuljahresende zu Stress. Viele haben ihr eigenes Notebook in der Schule dabei. Mit etwas Glück findet man sogar eine unbesetzte Steckdose, wenn der Akku leer ist.
Alice: Mein Arbeitsplatz ist ca. so breit wie ich – und ich bin eher schlank. Wir sitzen mit ca. hundert KollegInnen in einem Raum. Es gibt keinen Platz, um zu arbeiten. Dann habe ich ein Kästchen mit ca. 50x50x50 cm, dazu ein Regal für Bücher. Der eigene Arbeitsplatz ist auch nicht immer zugänglich, am Abend wird zugespert. Das ist blöd, denn durch die Platzsituation habe ich manche Materialien in der Schule, andere zu Hause.
Michael: Wieviele SchülerInnen habt ihr pro Klasse?
Alice: In Geographie habe ich ca. 28, in Spanisch ca. 16 SchülerInnen. In den ersten Klassen sind es mehr. Insgesamt habe ich bei einer vollen Lehrverpflichtung bis zu 180 SchülerInnen pro Jahr.
Claudia: Ich habe im Durchschnitt meiner Klassen 25 SchülerInnen, in den ersten Klassen bis zu 32. Es gibt in so großen Klassen viel zu wenig Zeit für den Aufbau eines persönliches Verhältnisses. Es ist kaum möglich, sich Zeit zu nehmen für Einzelne und ihre Bedürfnisse.
Markus: Die Klassenzimmer an meiner Schule sind größenmäßig für 25 SchülerInnen vorgesehen, es gibt aber etliche Klassen, in denen 28 oder 29 SchülerInnen sitzen. Wenn es trotzdem noch genug Platz für zusätzliche Einrichtung im Klassenzimmer gibt, beispielsweise für Regale oder ähnliches, dann müssen diese von LehrerInnen (und Eltern) bereitgestellt werden. Obwohl meine Schule erst 1996 eröffnet wurde, gibt es kaum genug Räume für die Kinder in der Nachmittagsbetreuung.
Michael: Wieviele Stunden arbeitet ihr?
Claudia: Ich arbeite im Schnitt 40 bis 45 Stunden. Ich habe eine volle Lehrverpflichtung, das sind bei mir 24 Stunden inklusive 2 Überstunden – die meisten KollegInnen machen mehr oder weniger freiwillig Überstunden, weil es an Personal mangelt. Danach bin ich meistens erledigt. Die Arbeitszeit variiert aber auch sehr stark. Manchmal können es 30 Stunden in der Woche sein, zu Zeiten der Matura sind es dann dafür 60 Stunden.
Alice: Ich unterrichte 19 „Werteinheiten“, das ist eine volle Lehrverpflichtung. Wieviele Werteinheiten eine Stunde sind, ist von Gegenstand zu Gegenstand unterschiedlich. Für Korrektur- und Schularbeitsfächer gibt es mehr Werteinheiten als beispielsweise für Leibesübungen. Dazu kommen fix drei Supplierstunden und eine Sprechstunde. Ich bin pro Woche mindestens 25 Stunden in der Schule anwesend, dazu sind es in ruhigen Zeiten nochmals mindestens 10 Stunden zu Hause. In Stress-Zeiten geht es rauf auf 50 oder 60 Stunden pro Woche. Wenn ich etwa eine Schularbeit auf Maturaniveau habe, brauche ich pro Arbeit eine halbe Stunde bis 45 Minuten und es sind 30 Arbeiten zu korrigieren. Oft sitze ich das ganze Wochenende.
Markus: Es hängt davon ab, ob es zusätzlich zu Hausübungen auch noch Schularbeiten zu korrigieren gibt, oder ob ich gerade ein Projekt vorbereite. Vieles hängt auch von der Organisation des Unterrichts ab. An 5 oder 6 Stunden Unterricht an einem Vormittag ist für mich v.a. anstrengend, dass ich in 5 oder 6 verschiedene Klassen muss.
Michael: Es gibt ja auch weniger motivierte LehrerInnen. Wie seht ihr das?
Markus: Es gibt weniger schlechte LehrerInnen als schlechten Unterricht. Um mit Marx zu sprechen: Die LehrerInnen machen zwar ihren Unterricht selbst, sie machen ihn aber nicht aus freien Stücken, sondern unter vorgefundenen Bedingungen. Die sehen so aus: Fehlende Unterstützung in Form von SchulpsychologInnen, kasernenmäßige Schulgebäude, die heute zum großen Teil immer noch so aussehen wie im 19. Jahrhundert, 50-Minuten Unterrichtseinheiten, ein völlig überholtes Beurteilungssystem mit Ziffernnoten usw. Es gibt an der TU Wien ExpertInnen, die sich mit fortschrittlichen Lehr- und Lernräumen auskennen. Das hat sich bislang aber nur bis zu den Volksschulen durchgesprochen, die heute zumindest in Wien anders gebaut werden. An vielen Volksschulen gibt es auch Alternativen zu den Ziffernnote. Ich sage nicht, dass damit das Problem mit den „schlechten LehrerInnen“ gelöst ist. Aber anders kann es nur schwer gelöst werden.
Alice: Es gibt genug LehrerInnen, die im Job vor die Hunde gehen. Sie sind dem nicht gewachsen, sie packen die SchülerInnen nicht. Sie haben oft einfach nicht die Persönlichkeit für den Job oder sind ausgebrannt. Bei uns sind in den letzten Jahren fünf KollegInnen mit Burn out ausgestiegen. Wenn LehrerInnen aber unfair oder zu streng zu SchülerInnen sind, müsste die Leitungsebene einschreiten.
Claudia: Es gibt KollegInnen, die wirklich nicht geeignet sind und es gibt KollegInnen, die einfach frustiert, geschafft und nah am Burn Out sind. Es gibt eigentlich kein Exit-Szenario. Was macht eine 45jährige Biologie-Lehrerin, wenn sie merkt, sie kann nicht mehr? Viele drücken es einfach durch bis zur Pension. Das ist sehr schlecht für alle Beteiligten, also SchülerInnen und die KollegInnen. Oft müssen das dann andere KollegInnen mittragen. Es müsste dringend die Möglichkeit geben, etwas anderes zu machen.
Michael: Was würden zwei Mehrstunden für euch bedeuten?
Claudia: Es sind natürlich nicht nur zwei Stunden plus, ich muss das ja auch vor- und nachbereiten. Wahrscheinlich sind es drei bis vier Stunden unbezahlt. Auch die Zeit, die in der Schule verbracht wird, wird wohl in vielen Fällen mehr als zwei Stunden betragen, wegen der bereits erwähnten Löcher im Stundenplan.
Markus: In meinem Bereich bedeutet es, eine Klasse in Geschichte oder einem anderen 2-Stunden-Fach, zusätzlich zu unterrichten. Möglich ist viel. Möglich ist auch die Anhebung der wöchentlichen Normalarbeitszeit für ArbeiterInnen und Angestellte auf 45 oder 50 Stunden. Aber es ist indiskutabel.
Alice: Eine Klasse mehr. Es ist ein Missverständnis, dass ich dann mehr Zeit pro SchülerIn hätte. Ich hätte einfach mehr SchülerInnen – und andere KollegInnen keinen Job mehr.
Michael: Sind die Ferien ein Privileg?
Claudia: Die großen Ferien sind für mich tatsächlich Ferien. Die anderen Ferien verwende ich zur Vorbereitung. Ich versuche immer, aktuell zu bleiben und muss damit meine Materialien permanent überarbeiten.
Alice: Klar ist das eine gute Sache. Kürzere Ferien sind bei mir aber meist voll mit Vorbereitung. Doch es ist auch klar, dass jeder Mensch Zeit zum Regenieren braucht, dieser Job geht doch oft sehr an die Substanz. Das betrifft aber natürlich nicht nur LehrerInnen, sondern viele Jobs und Menschen.
Markus: Dazu sage ich: Privilegien für alle!
Michael: Fühlt ihr euch von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst vertreten?
Markus: Ich fühle mich von der Führung der AHS-LehrerInnengewerkschaft nicht vertreten. Diese wird von der konservativen FCG beherrscht. Der Vorsitzende, Eckehard Quin, kandidiert auch für die ÖVP in Niederösterreich. Er beschäftigt sich vor allem damit, das Schulsystem so zu erhalten, wie es vor Jahrhunderten entstanden ist. In der Gewerkschaftszeitung „Gymnasium“ gibt es fast immer seitenlange Artikel über die Vorteile der Trennung in Gymnasium und Hauptschule. Arbeitskämpfe in anderen Ländern sind höchstens eine Randnotiz. Der Standesdünkel der AHS-Gewerkschaft war ein Hauptgrund, warum die Regierung im Dezember 2013 das neue Dienstrecht durchsetzen konnte. Das wird für neu eintretende LehrerInnen aller Schultypen gelten. Es bedeutet für die PflichtschullehrerInnen keine wirkliche Verschlechterung. Für die bisher besser bezahlten AHS-LehrerInnen jedoch schon, also niedrigeres Einkommen und höhere Lehrverpflichtung. Die Gewerkschaft war nicht in der Lage, gemeinsam für ein besseres Dienstrecht für alle KollegInnen einzutreten. Der Kampf lief darauf hinaus, die Besserstellung der AHS-LehrerInnen zu verteidigen.
Die GÖD hat sich 2013 darüber beschwert, dass die Regierung das Dienstrecht ohne Zustimmung der Gewerkschaft im Parlament durchgebracht hat. Ich kann keine Anzeichen dafür erkennen, dass sich die GÖD auf die neue Situation eingestellt hat und zu einem echten Arbeitskampf bereit ist. Sie trauert vergangenen Zeiten nach, in denen sie sozialpartnerschaftlich mitbestimmen durfte. Oft waren es nur kosmetische Verbesserungen, die hinter verschlossenen Türen erreicht wurden. Es gab aber auch schon die Zustimmung der GÖD zu einer Null-Lohnrunde ohne Verhandlungen.
Michael: Falls die Regierung die Arbeitspflicht für LehrerInnen erhöhen will, wärt ihr bereit zum Arbeitskampf?
Markus: Ganz einfach: Ja!
Alice: Natürlich. Ich habe mich bereits an Aktionen beteiligt und würde es wieder tun. Ich fände es vor allem gut, aktiv zu demonstrieren. Streiks haben immer das Problem, dass es da wieder starke mediale Angriffe gibt. Und natürlich ist es immer auch für Eltern schwer.
Claudia: Auf jeden Fall. Es wird dann zwar in den Medien heißen, dass die LehrerInnen gegen die Eltern und SchülerInnen streiken. Doch alle Maßnahmen gegen LehrerInnen treffen auch die SchülerInnen und die Eltern. Wir hätten dann noch weniger Zeit für einzelne SchülerInnen. Wir führen also nicht nur einen Kampf für uns, sondern für alle, die mit dem Bildungswesen zu tun haben!
*Namen von der Redaktion geändert.
Michael Bonvalot veröffentlicht seine Artikel in verschiedenen Medien gesammelt auf seiner Facebookseite.