Wenig überraschend verharrt die Europäische Kommission auch bei ihren aktuellen länderspezifischen Empfehlungen zu Pensionen in ihren bisherigen Denkmustern. Die Empfehlung, das gesetzliche Pensionsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, scheint so sicher wie das Amen im Gebet – denn damit ließen sich die relativen Pensionsausgaben zukünftig noch weiter nach unten drücken. Warum diese pensionspolitischen Empfehlungen der Europäischen Kommission am Holzweg sind, erläutert Erik Türk.
Geht es um die Zukunft der Pensionen, sollte das eigentlich die zentrale Zielsetzung sein: gute und angemessene Alterseinkommen auch unter sich deutlich verändernden demografischen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Das setzt unter anderem voraus, dass die langfristige Ausgabenentwicklung für die Alterssicherung insgesamt im Auge behalten wird.
Man sollte meinen, dass diese einleitende Klarstellung ziemlich unstrittig wäre, sie ist es aber keineswegs. Die Europäische Kommission versteht offensichtlich nicht die Sicherstellung angemessener Alterseinkommen, sondern die relative Reduktion öffentlicher Pensionsausgaben als prioritäre Zielsetzung. Auch Finanzminister Schelling vertritt nach wie vor vehement diese Position. Dabei ignorieren sie, dass in Folge der demografischen Verschiebungen der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung deutlich zunimmt. Daher sollte nahezu zwangsläufig für deren adäquate Absicherung künftig auch ein zumindest etwas größerer Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) reserviert werden.
Die Europäische Kommission selbst weist darauf hin, dass bei einer angenommenen nahezu Verdoppelung des sogenannten Altersquotienten (also der Relation der 65-Jährigen und Älteren zu den 15- bis 64-Jährigen) bis 2060 die Pensionsausgaben in Österreich (nur) um 0,5 Prozent des BIP ansteigen werden. Dabei bietet das öffentliche System (auch weiterhin) eine im internationalen Vergleich gute Absicherung. Der nur sehr moderate Zuwachs öffentlicher Pensionsausgaben trotz auch künftig relativ guter Sicherungsniveaus hat mehrere Gründe. Dazu zählen vor allem der Fokus auf eine verbesserte Erwerbsintegration, die Anpassung der Leistungszusagen – relativ gute Pensionen bei späterem (faktischen) Pensionsantritt – und die schrittweise Angleichung der großzügigeren Sondersysteme an die Pensionsversicherung.
Anstatt jedoch diese Perspektive als Beleg für eine nachhaltige soziale und finanzielle Entwicklung zu werten, empfiehlt die Europäische Kommission gebetsmühlenartig eine Koppelung des Pensionsalters an die Lebenserwartung. Damit sollen die relativen öffentlichen Pensionsausgaben zukünftig sogar unter das aktuelle Niveau gedrückt werden. Jeden auch noch so moderaten Anstieg öffentlicher Pensionsausgaben als Ausdruck mangelnder „finanzieller Nachhaltigkeit“ zu diskreditieren, belegt eine politische Werthaltung, die angesichts des Ausmaßes der demografischen Verschiebungen nur als widersinnig bezeichnet werden kann.
Schwierige pensionspolitische Rahmenbedingungen
Seit gut zwei Jahrzehnten wird unter Hinweis auf die demografische Entwicklung massiv Stimmung gegen öffentliche umlagefinanzierte Pensionssysteme und für mehr private und betriebliche kapitalgedeckte Vorsorge gemacht. Neben der Finanzindustrie spielte dabei nicht zuletzt die Weltbank eine zentrale Rolle. Aber auch die OECD und die Europäische Kommission haben kaum eine Möglichkeit ausgelassen, um – angesichts der absehbaren Bevölkerungsalterung und der angeblich damit einhergehenden drohenden Unfinanzierbarkeit öffentlicher umlagefinanzierter Systeme – Reformen dieses Zuschnitts das Wort zu reden und öffentliche Pensionsausgaben zurückzudrängen.
Schon die ausschließliche Fokussierung auf öffentliche Pensionsausgaben stellt selbst unter dem Primat der „finanziellen Nachhaltigkeit“ eine unsinnige Beschränkung dar. In einer sinnvollen Abgrenzung kann es nur um die Pensionsausgaben insgesamt gehen, und diese lassen sich eben nicht einfach durch eine Neugewichtung in der Finanzierungsstruktur durch mehr Kapitaldeckung beschränken.
Die Alterung stellt zweifellos Sozialsysteme und die Gesellschaft insgesamt vor große Herausforderungen. Der Ausbau kapitalgedeckter Vorsorge und das Zurückdrängen öffentlicher Pensionen leisten aber keinen Beitrag zu deren Bewältigung, sondern lediglich zur Abwälzung politischer und gesellschaftlicher Verantwortung. Auch scheinen kapitalgedeckte Pensionssysteme nur bei oberflächlicher Betrachtung resistenter gegenüber demografischen Verschiebungen. Bei näherer Betrachtung weisen öffentliche umlagefinanzierte Systeme – nicht zuletzt vor dem Hintergrund deutlicher Änderungen in der Altersstruktur – sogar wesentliche Vorteile gegenüber privaten kapitalgedeckten Systemen auf.
Umdenkprozess findet in den Empfehlungen noch keinen Niederschlag
Mittlerweile ist ein gewisser Umdenkprozess erkennbar. In den wichtigsten pensionspolitischen Dokumenten der Europäischen Kommission wird nunmehr die zentrale Bedeutung des Arbeitsmarktes auch für die Erreichung pensionspolitischer Ziele viel stärker betont. Ebenso werden nunmehr neben der finanziellen Nachhaltigkeit auch die Angemessenheit und Sicherheit von Pensionen als essenzielle Zielsetzungen zunehmend hervorgehoben und beleuchtet.
Aber auch in der aktuellen Ausgabe der wichtigsten OECD-Publikation zu Pensionen finden sich einige äußerst bemerkenswerte Erkenntnisse. Dieser (späte) „Erkenntniswandel“ in der Analyse bringt allerdings wenig, solange er nicht auch in die zentralen pensionspolitischen Empfehlungen dieser Institutionen eingeht.
Beschränkung öffentlicher Pensionen mit weitreichenden Konsequenzen
Nach rund zwei Jahrzehnten pensionspolitischer Reformen, die im Wesentlichen auf ein Zurückdrängen öffentlicher Pensionen ausgerichtet waren, zeigen sich deutliche Auswirkungen auf die (künftige) soziale Nachhaltigkeit. In vielen Ländern lässt sich eine angemessene Absicherung im Alter selbst auf Basis deutlich überhöhter Renditeannahmen für kapitalgedeckte Pensionen nicht mehr glaubwürdig darstellen. Auch in Österreich wurde unter Schwarz-Blau 2003 mit der sogenannten „Pensionssicherungsreform“ der Versuch unternommen, das öffentliche System massiv zurückzustutzen und verstärkt auf kapitalgedeckte private Vorsorge zu setzen. Das ist bekanntlich am breiten Widerstand der Bevölkerung gescheitert.
Auch wenn im österreichischen System zweifellos noch Verbesserungspotenziale – etwa bei der Armutsfestigkeit – bestehen, hebt sich dieses mittlerweile deutlich positiv im internationalen Vergleich ab, weil dieser Irrweg hierzulande eben nicht beschritten wurde. Die österreichische Politik ist gut beraten, auch künftig derartigen Empfehlungen nicht zu folgen.
Erik Türk ist Ökonom und Pensionsexperte in der AK-Wien.