Warum der Erfolg der deutschen Grünen kein Vorbild ist

Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben Die Grünen deutlich dazugewonnen. Sie profitieren von einer bürgerlichen Sehnsucht nach einer stabilen politischen Mitte. Ein Kommentar von Julia Brandstätter.

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen sind erklärungsbedürftig. Während der schleichende Niedergang der Sozialdemokratie – und allgemeiner der Verfall der Großen Koalition (GroKo) – vielfach ausbuchstabiert wurde, ist der Erfolgskurs der Grünen noch immer erstaunlich: Mit knapp 20 Prozent (11,1 Prozent im Jahr 2013) in Hessen und 17,5 Prozent (8,6 Prozent im Jahr 2013) in Bayern gelangen der Partei zwei historische Ergebnisse.

Der Niedergang der traditionellen Volksparteien

Die Krise der ausgelaugten, traditionellen „Volksparteien“ erstaunt kaum noch jemanden. Die steigende soziale Ungleichheit, die wachsende Frustration und die anschwellende Unsicherheit münden in der verzweifelten Suche nach Alternativen. Die rechtsautoritären Kräfte ziehen mit der altbewährten Teile-und-herrsche-Politik eine Spaltungslinie zwischen einem homogenisierten „Wir“ und einem rassifizierten „Sie“. So verhindern sie erst den gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten gegen die neoliberale Radikalisierung. Die armutsproduzierende, großkoalitionäre Fehlpolitik der letzten Jahrzehnte trieb die verunsicherten WählerInnen in die Arme der Rechten. Was aber auf den ersten Blick nicht wirklich einleuchtet, ist der Erfolgskurs der Grünen. Warum gewinnt Die Linke – die ja den gemeinsamen Kampf versucht – so wenig, warum eine liberal-bürgerliche Partei wie Bündnis 90/Die Grünen so viel mehr?

Sehnsucht nach der politischen Mitte

Die GroKo hat also ausgedient. Aber obwohl die sozialen Verwerfungen zu einem Machtverlust der traditionellen Volksparteien geführt haben, gibt es noch immer eine Sehnsucht nach einer stabilen, politischen Mitte. Die bürgerlich-liberale bis konservative WählerInnenschicht wünscht sich eine Kraft, die ohne Rassismus und Gewalt auskommt. Die Armutsgefährdungsquote liegt in Bayern und Hessen weit niedriger als etwa in Sachsen-Anhalt oder Bremen. Wo die soziale Ungleichheit nicht so stark spürbar ist und daher Unsicherheit, Verarmung und Hoffnungslosigkeit nicht im selben Ausmaß die Gesellschaft prägen wie in strukturschwächeren Regionen, gibt es eine breite, wohlhabendere WählerInnenschicht. Sie ist zwar für eine antirassistische, nicht jedoch für eine antikapitalistische Politik empfänglich.

Der Erfolgskurs der Grünen

Die Grünen präsentieren sich als linksliberale Volkspartei und wollen die politische Mitte mit einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz besetzen. Das entspricht passgenau dem Interesse der bürgerlich-liberalen WählerInnenschicht. Um aber von einer breiteren Masse (vor allem im Hinblick auf künftige Wahlen im Osten) als Alternative zur GroKo wahrgenommen zu werden, geben sich die Grünen einen radikaleren Anstrich. Sie sprechen davon „Internetkonzerne zerschlagen“ zu wollen, sie meinen „Regieren ist radikal“ und man müsse wieder über „die Entfremdung von Arbeit“ sprechen. Doch der radikale Anstich bröckelt, sobald man einen Blick auf die Programmatik wirft.

Die vermeintliche grüne Alternative

Die beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock, werden zu den „Realos“ gezählt. Gegenüber den „Fundis“ stehen sie eben für eine „realpolitische“ – sprich reformistische und gerade nicht radikale – Ausrichtung. Sie grenzen sich vehement von den autoritären Rechten ab und versuchen die Lagerbildung mit rein rhetorischer Radikalität zu überbrücken. Inhaltlich werden die Grünen über kurz oder lang aber keine adäquaten Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben können. Die ersehnte Rückkehr zu einer kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft mit regionalen Wirtschaftskreisläufen (Bauern sollen nur so viele Tiere halten, wie sie mit ihren eigenen Ackerflächen selbst ernähren können), die Sehnsucht nach dem „einfachen und guten Leben“ in provinzieller Tradition – worauf nicht zuletzt die positive „Wiederaneignung“ des Heimatbegriffs hinweist – und die moralisierende Konsumverzichtsideologie sind nicht Lösung, sondern Teil des Problems.

Wir brauchen echte, statt scheinbarer Radikalität. Wir brauchen ein linkes, radikales Gegengewicht, das sich gegen den grassierenden Rassismus und Sexismus, die existenzielle Bedrohung aller Lebensgrundlagen, gegen die unverschämte Ausbeutung und Verarmung und alle anderen Unarten der Unterdrückung gleichermaßen stellt. Sonst wiederholt sich die Große Koalition in Jamaika- oder Ampelfarben, bis sie erneut vom Rechtsautoritarismus herausgefordert wird.

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