Griechenland: Solidarität als Projektionsfläche des eigenen Scheiterns

Alles ging sehr schnell. Viele von uns waren noch vor wenigen Wochen in Solidarität mit Griechenland auf der Straße, haben #oxi-Kundgebungen organisiert, haben publizistisch versucht, Gegenöffentlichkeiten herzustellen. Jetzt sind die Mailinglisten und Chats schweigsam. Die wenigen Texte, die derzeit zirkulieren, sprechen von einer „Niederlage“ von Syriza, ja, von einem erneuten Fail der gesamten europäischen Linken. Schuld daran sei, so argumentiert beispielsweise Martin Konecny, die Wirksamkeit der Europaideologie, der auch die Linke erlegen sei – und er plädiert daher für einen Auszug aus dem imaginierten „gemeinsamen europäischen Haus“.

Das ist in mehrfacher Hinsicht das Ergebnis eines rein projektiven Verhältnisses zur Syriza-Regierung in Griechenland. Diese Projektionen sind nun nicht mehr möglich. Und das ist gut so. Wir können uns also wieder mit realer Politik beschäftigen. Gestern noch als Vorbild linker Parteien und Bewegungen in Europa bejubelt, wo man gebannt zugehört hat, wie Basisinitiativen und eine linke Partei miteinander kooperierten, wird Tsipras und die Syriza-Mehrheit nun ordentlich kritisiert. Nach Gusto werden ihr ideologische Abweichungen vorgeworfen (sie hätte nämlich eine soziale Rebellion anzetteln sollen, statt mit Merkel & Co zu verhandeln), schwerwiegende strategische Fehler und ein falscher Glauben an die Europäische Union. Auch linken PolitikerInnen ginge es nur um Macht und Geld, sie seien so skrupellos wie alle anderen.

Nein. Das geht mir alles zu schnell, da mache ich nicht mit. Ich sehe mich weiterhin in kritischer Solidarität zur einzigen linken Regierung in Europa, die es derzeit gibt – und zu den Menschen in Griechenland, die immer noch in einer verzweifelten Lage sind und die darum kämpfen, sich auch politisch daraus zu befreien. Dabei sehen sie weiterhin diese Regierung als ihr Sprachrohr an.

Deshalb deprimieren mich weniger die Entwicklungen rund um das Memorandum, das nun durchgesetzt werden soll, wobei es natürlich zu harten Auseinandersetzungen auch innerhalb der Partei – und mit den Bewegungen – kommt. Diese sind aber immer noch ein normaler demokratischer Prozess, wo über die beste Variante unter den ganzen schlechten Varianten gestritten wird. Dass dies so kommen wird, war aber vorhersehbar, zumindest unter der Voraussetzung, dass ein sogenannter Grexit für Alexis Tsipras und für die griechische Bevölkerung nicht infrage kommt. Denn ein solcher hätte wahrscheinlich weitaus gravierendere soziale und ökonomische Folgen für ein finanziell ausgehungertes Land, als der jetzige Kompromiss. Wahrscheinlich – aber wer kann hier behaupten, im Besitz der Wahrheit zu sein?

Kräfteverhältnisse in der EU

Daher konnte unter Bezugnahme auf die realen Kräfteverhältnisse in den Institutionen und in der EU kaum ein anderes Ergebnis heraus kommen. Nur, und das sei in Richtung derjenigen gesagt, die deshalb aus Europa ausziehen wollen: Kräfteverhältnisse sind änderbar, sie sind das geronnene Resultat der gesellschaftlichen Kämpfe. Institutionen wie die Europäische Union bestehen nur vordergründig aufgrund von Verträgen und Vereinbarungen, da diese wiederum den Stand der Kämpfe reflektieren.

Auf lange Sicht, so ist die Wette der griechischen Regierung unter Tsipras, wird es auf diese Weise zu einem Schuldenschnitt kommen, der das erklärte politische und soziale Ziel der Syriza-Regierung darstellt, weil die Hardcore-Austerities in Europa um ihre politische Mehrheit fürchten. Es gibt dort immerhin keine Front „Alle versus Syriza“ mehr. Die Wette läuft weiterhin darauf hinaus, einen institutionellen Wandel herbei zu führen, aber nicht indem Syriza einen „Marsch durch die Institutionen“ durchführt, sondern indem sie auf das Fortdauern der sozialen Bewegungen und Kämpfe europaweit setzen.

Solidarität und die Projektionsfläche neu

Was mich richtig deprimiert, ist also nicht der durchaus kritikwürdige Deal, sondern dass sich die Griechenland-Solidarität mal wieder als eine Projektionsfläche für die ganze Schwäche und Mutlosigkeit der Linken in Westeuropa erwiesen hat. Jeweils rund 500 Menschen konnten wir in Wien zu zwei Kundgebungen mobilisieren. In Berlin waren es etwa 2000, in manchen Städten vielleicht relativ mehr. Zu wenig jedenfalls, um ein ernsthaftes Gegengewicht zu „unseren“ Regierungen aufzubauen. Gebannt haben wir aus unserer Blase heraus auf die Protestzahlen aus Athen und Madrid gestarrt. Und die vergleichsweise beeindruckenden Bilder bestaunt, in der Annahme, dass diese Demonstrationen hier etwas ändern könnten. Sie wurden ja noch nicht einmal berichtet. Über twitter war #Thisisacoup für einige Zeit der Trend-Hashtag. Dazu wurden noch einige Blogtexte verfasst. Das ist zwar einiges, aber zu wenig, um eine politisch wirksame Solidarität zu werden.

Ganz offensichtlich kann eine linke Regierung in Europa sich darauf alleine nicht beziehen. Denn eine Machtfrage wird durch unsere Form der Solidarität niemals gestellt, es ist immer nur die Solidarität der wenigen, die sich mit den vielen woanders identifizieren. Zu schwach, weil zu sektiererisch, zu sehr nach Innen gerichtet, statt mit den Leuten auf der Straße zu kommunizieren, statt also die Bevölkerung anzusprechen und dem neoliberalen Konsens dort entgegen zu wirken, wo er unterstützt, tradiert und befestigt wird: am Arbeitsplatz, im Kaffeehaus, bei Freizeitaktivitäten usw…

Endlich Machtfragen stellen

Und weil das zu wenig und zu schwach ist, verfügt die einzige linke Regierung in Europa nur über eine einzige Autorisierung: die demokratische Autorisierung durch die eigene Bevölkerung. Alle Umfragen und Stimmungsbilder aus Griechenland besagen das Gleiche: Diese linke Regierung hat die Unterstützung der Bevölkerung, was in dieser angespannten Situation und unter der Bedingung, dass wochenlang die Banken geschlossen waren und die ökonomische Situation sich weiter verschlechtert hat, ein kleines politisches Wunder ist.

Das ist etwas, wovon wir, die in Solidarität waren und hoffentlich noch sind, nur lernen können. Wenn wir denn endlich verstehen, dass wir Machtfragen zu stellen haben, und nicht den linken Kaffeehausdiskurs voranbringen müssen. Beginnen wir also endlich in Österreich auf nationaler und regionaler Ebene politische Machtfragen zu stellen. Meine persönliche Kraft widme ich derzeit dieser Aufgabe.

Das bedeutet, endlich eine wirksame Linke aufzubauen, die jenseits universitärer Diskurse Strahlkraft hat – und in diesem Prozess die Bevölkerungsgruppen, die immer die gleichen Ansätze in der Politik satt haben, mit einzubinden. Und dann können wir immer noch sehen, wie sich dann die Europäische Union verändert hat, und ob es sinnvoll sein könnte, eine andere Art von Staatenbund zu gründen.

Sebastian Reinfeldt ist Politikwissenschafter und Aktivist bei Wien Anders.

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