Wie griechische Solidaritätsbewegungen gegen die rechte Regierung kämpfen

Am Montag schickte die neue Regierung die Polizei. Sondereinheiten räumten vier selbstverwaltete Flüchtlingsunterkünfte in Exarchia, einem anarchistisch geprägten Stadtteil von Athen. Die griechischen Solidaritätsbewegungen machten zuerst das Überleben in der Krise erträglich und unterstützten in den letzten Jahren vor allem Geflüchtete. Die neue Rechtsregierung geht nun mit Gewalt gegen sie vor. Um den linken Geist wiederzubeleben, braucht es aber ihre ganze Kraft, schreibt Christos Giovanopoulos.

Schon Anfang Juli hatte City Plaza seine Pforten geschlossen. Es war die bekannteste Flüchtlingsunterkunft Griechenlands. Wenige Tage später ließ die neue konservative Regierung der ältesten besetzten Flüchtlingsunterkunft, Notara 26, den Strom abschalten. Die neuen Machthaber versuchen nicht mehr die Solidaritätsbewegung einzubinden, sondern unterdrücken sie offen. Damit geht in Griechenland ein Zyklus zu Ende, der mit dem Sommer der Migration 2015 begann.

Im gleichen Sommer setzte sich die Syriza-Regierung über das OXI (Nein) der Bevölkerung zu einem dritten Kreditprogramm hinweg und führte die von der Troika diktierte Kürzungspolitik weiter. Das Programm endete offiziell im August 2018, aber die Troika überwacht Griechenland noch immer. So wird etwa das öffentliche Vermögen Griechenlands bis 2060 von einem Spezialfonds als Sicherheit für die Schuldentilgung gehalten. Raum für politische Alternativen zum Neoliberalismus gibt es also auch nach Ende des Troika-Diktats kaum.

Enttäuschte Hoffnungen

Syrizas Kurswechsel zum politischen „Realismus“ zerstörte die Hoffnung aller, die für einen radikalen Wandel gestimmt hatten. Das war die Voraussetzung für den Sieg der Konservativen bei den Wahlen diesen Sommer.

Dieser Kurswechsel traf auch die Solidaritätsbewegung hart. Sie hatte 2011 begonnen, als aus Protest gegen das politische Establishment und die Troika-Politik hunderttausende Menschen auf die Plätze der Städte strömten und diese besetzten. Als sie die Plätze nach einigen Monaten wieder verließen, trugen sie die Erfahrung der direkten Demokratie in ihre Nachbarschaften und schufen dort Strukturen der Solidarität und des alternativen Wirtschaftens.

Schulen, Kliniken, Kooperativen

Innerhalb weniger Monate entstanden Solidaritätskliniken und -schulen, Direktvertriebsnetze „ohne Mittelsmann“, solidarische Lebensmittelinitiativen, Tauschringe und Kooperativen. Diese Solidarität von unten war radikal transformativ. Gleichzeitig leistete sie konkreten Widerstand gegen die herrschende Politik und den Aufstieg der Rechten. Bereits im Sommer 2015 gab es hunderte von Basisinitiativen, die das Prinzip der selbstorganisierten Solidarität verbreiteten, das schließlich zur Unterstützung der ankommenden Flüchtlinge eingesetzt wurde.

Die unmittelbare Notwendigkeit, Solidarität mit Geflüchteten zu leisten, fing den politischen Schock der Kapitulation 2015 vorübergehend ab. Trotzdem zerbrach bald die lose Anti-Troika-Front, die seit 2011 verschiedene Initiativen zusammengeführt hatte. Bis heute ist es der Solidaritätsbewegung nicht gelungen, ausreichend auf die neue politische Dynamik zu reagieren. Die jüngsten Ereignisse markieren das Ende dieser Phase – aber sie tragen auch die Spuren von etwas Neuem.

In ihrer Abschiedserklärung erklären die AktivistInnen von City Plaza, dass ihr Entschluss, die Flüchtlingsunterkunft zu schließen, „mit der mangelnden Fähigkeit der breiteren Widerstandsbewegung zusammen[hängt], wirksame Formen der Organisation, Mobilisierung und Diskurses betreffend die Flüchtlingsfrage zu entwickeln, die den aktuellen Ansprüchen gerecht werden.“

Überleben statt Widerstand

2015 ging es für die Solidaritätsbewegung darum, sich neu auszurichten. Aus Angst vor den Auswirkungen der Spaltungen in der politischen Linken und der weit verbreiteten Ernüchterung konzentrierte sie sich darauf, ihre Solidaritätsaktionen fortzusetzen – insbesondere die Unterstützung von Geflüchteten. Dass die Bewegung in der Lage war, ihr Handeln an die sich ändernden Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen, zeigt wie lebendig und tief verwurzelt sie war. Trotzdem setzte ein Teil der Bewegung nach dem Sommer 2015 nicht mehr auf „Widerstand“. Das „Überleben“ bis nach der Kürzungspolitik rückte in den Mittelpunkt. Das verfestigte nicht nur die Niederlage der Bewegung, sondern entpolitisierte sie auch. Jede Kritik wurde als Kritik an einer „linken Regierung“ verstanden.

Die Solidaritätsarbeit beschränkte sich auf einen karitativen Akt und löste sich von ihren ermächtigenden und transformativen Praktiken. Denn die transformative Agenda der Solidaritätsbewegung wurde nicht Teil der staatlichen Sozialpolitik unter Syriza. Die wenigen Maßnahmen der Regierung waren von einer paternalistischen Mentalität der Sozialfürsorge geprägt. Sie verstärkten die klientelistische Macht staatlicher Behörden. Sie wurden von oben nach unten beschlossen und angewendet, ohne die neoliberale Ausrichtung des öffentlichen Sektors in Frage zu stellen. Dieses Festhalten an einem Vorkrisen-Wohlfahrtsstaat, die Ernüchterung und Müdigkeit sorgten dafür, dass eine Reihe von Solidaritätsstrukturen ihre Aktivitäten einschränkten oder ganz aufgaben.

Von der Selbsthilfe zum politischen Wandel

Viele Solidaritätskollektive gingen jedoch einen anderen Weg. Sie versuchten, oft erfolgreich, sich neu zu orientieren. Wie sie das taten, unterschied sich zwar je nach ihrem Tätigkeitsfeld und ihrer Geschichte, ihre Erfahrungen weisen aber einige Gemeinsamkeiten auf. Diesen Initiativen ist es gelungen, ihren politischen Charakter und ihre widerständige Rolle zu bewahren. In einer Zeit, in der die Hoffnung erst einmal zu Ende ist, müssen sie aber über den Widerstand gegen die Kürzungspolitik hinausgehen.

Die Solidaritätsbewegung war ein wichtiger Teil einer zunehmend mobilisierten Gesellschaft, die in zentrale Felder der Politik eingriff. Sie verkörperte den Versuch der Menschen, durch den Widerstand gegen die Kürzungspolitik Selbstbestimmung zu erlangen. Die Bewegung forderte nicht nur Sozialpolitik vom Staat, sondern schuf selber partizipative und demokratische Infrastrukturen der gegenseitigen Hilfe. Wie ein Aktivist der Solidaritätsschule von Mesopotamien es ausdrückt: „Wir haben uns auf auf die Schaffung dauerhafter Strukturen konzentriert, die auf eine tiefere langfristige Transformation abzielen. Es geht nicht nur um das Lokale, sondern darum, einen Grundstein für einen allgemeinen politischen Wandel zu legen.“

Eine langfristige Vision

Die Kollektive haben erkannt, dass ihre Rolle eine dauerhafte ist, die über Krise und Kürzungspolitik hinausgeht. Sie setzen sich aktiv mit den sich ändernden Bedingungen auseinander und bemühen sich auf Basis ihrer bisherigen Erfahrungen, ihren transformativen Charakter zu verstärken. Obwohl uneinheitlich und unverbunden, entwickeln sie in den meisten Fällen eine strategische und langfristige Zukunftsvision.

So haben sich beispielsweise in den letzten Jahren einige Lebensmittelinitiativen zu dauerhaften Genossenschaften entwickelt. Solidaritätskliniken versuchen, ihr Wissen und ihre innovative Gesundheitspraxis sowie die von ihnen vorgeschlagenen politischen Maßnahmen aufzubereiten. Die Solidaritätsschulen haben eine Diskussion über öffentliche Schulen angestoßen, indem sie Bildung als ein Common – ein Allgemeingut – verstehen. ArbeiterInnenkooperativen haben ihre Netzwerke international gestärkt und ausgebaut. Generell hat der Rückschlag auf nationaler Ebene die lokale Dimension wieder in den Mittelpunkt gestellt, um von dort aus effektive Gegenmacht aufzubauen.

Schutz gegen kommende Bedrohungen

Die tiefe Verwurzelung der Solidaritätsstrukturen und ihre Kreativität sind ihr bester Schutz vor den kommenden Bedrohungen. Da es keine andere tragfähige Alternative gibt, muss die Solidaritätsbewegung ihre soziale und materielle Macht entwickeln. Unter dem Radar und angeschlagen, aber immer noch in Entwicklung, beweist diese Bewegung – basierend auf Selbstorganisation, Gegenseitigkeit und Basisdemokratie – ihre Fähigkeit, auf politische Veränderungen zu reagieren und ihre innovative Entwicklung fortzusetzen. Ob dies ausreicht, um die Rückkehr zum politischen Realismus und Zynismus durch das entstehende Zwei-Parteien-System in Griechenland zu verhindern, ist eine offene Frage.

Übersetzung: Lisa Mittendrein und Martin Konecny

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