Unter Trumps Präsidentschaft wird die Lage migrantischer Beschäftigter in den USA noch prekärer. Undokumentiert Arbeitende sind besonders bedroht. Laura Moreno, Migrationskoordinatorin der US-Gewerkschaft UNITE HERE! erklärt im Interview, wie Organisierung unter diesen Bedingungen aussehen kann.
Du bist Organiserin bei der Gewerkschaft UNITE HERE! und aktiv im Verband für die Rechte von MigrantInnen in San Diego. Welche Herausforderungen stellen sich für euch unter Präsident Trump?
Unter Trumps Präsidentschaft, das wissen wir jetzt schon, werden grundlegende Rechte von MigrantInnen verletzt. In der Woche nach meiner Rückkehr aus Österreich wurden Einreisebeschränkungen für einige muslimische Länder eingeführt. Menschen wurden an der Grenze zurückgewiesen, auch wenn sie einen gesicherten Aufenthaltstitel hatten. Aufgrund unserer Nähe zu Mexiko wissen wir auch, dass es zu einer weiteren Militarisierung der Grenze kommen wird. Eine Herausforderung ist die Tatsache, dass viele Beschäftigte die Grenze täglich überschreiten müssen, um zu ihrem Arbeitsplatz in die USA zu kommen. Interessant wird dabei sein, welche zusätzlichen Grenzkontrollen Trump einführen wird. Die zweite große Herausforderung werden wohl Razzien sein. Wir befürchten, dass es unter Trump noch mehr Razzien am Arbeitsplatz geben wird und damit MigrantInnen weiter eingeschüchtert werden.
„Sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ ist eine oft gehörte Stammtischparole in Europa, wenn es um MigrantInnen geht. Stimmt das? Was sagst du als Gewerkschafterin dazu, wo du in San Diego arbeitest, einer Stadt, die 50 Kilometer von der Grenze entfernt liegt?
Ja, diesen Spruch gibt es auch in den Vereinigten Staaten. Letztendlich ist das eine bequeme Art für die Regierung, eine Gruppe von Personen für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen. Das tun sie anstatt dafür zu sorgen, dass besser bezahlte Arbeitsplätze in den unterschiedlichen Sektoren geschaffen werden. Ich würde sagen, dass MigrantInnen andere nicht „ersetzen“ oder etwas „wegnehmen“, sondern viel eher Jobs annehmen, die Nicht-MigrantInnen in den meisten Fällen gar nicht machen wollen.
Es wird immer wieder gesagt, dass es fast nicht möglich sei, prekär Beschäftigte und undokumentiert Arbeitende zu organisieren. Sie laufen Gefahr, unsichere Arbeitsplätze zu verlieren oder sogar abgeschoben zu werden. Stimmt das? Was für eine Gewerkschaft brauchen wir, um die „Unorganisierbaren“ zu organisieren?
Undokumentiert Arbeitende sind schwieriger zu organisieren, da sie Repression besonders fürchten müssen. Daher muss ihre Gewerkschaft daran arbeiten, ein sicheres Umfeld zu schaffen, um für die eigenen Rechte einzutreten. Das bedeutet vor allem auch, undokumentierte KollegInnen gegen UnternehmerInnen zu unterstützen. Der erste Schritt besteht immer darin, bei diesen KollegInnen Vertrauen aufzubauen, indem man ihnen zuhört und ihre Erfahrungen ernst nimmt. Der zweite Schritt ist, den KollegInnen klar zu machen, wie ihre geringeren Löhne und die schlechte Behandlung mit ihrem Aufenthaltsstatus zusammenhängen.
Zugleich muss die Gewerkschaft auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene Druck auf den Gesetzgeber aufbauen, um ihre Mitglieder zu schützen. Sie sollte auch auf UnternehmerInnen Einfluss nehmen, damit diese Migration nicht ausnützen und zur Einschüchterung verwenden. Schlussendlich muss die Gewerkschaft zu einer Gewerkschaft werden, die die Anliegen ihrer Mitglieder versteht und nicht davor zurückschreckt, auch Einzelfallarbeit zu übernehmen. Die Gewerkschaft muss dazu bereit sein, auf den Putz zu hauen, wenn es darauf ankommt, ihre Mitglieder zu schützen – koste es was es wolle.
Seit Mitte der 1990er Jahre haben die großen US-Gewerkschaftsdachverbände damit begonnen, 30 Prozent ihres Budgets in Organisingprojekte zu stecken. Das Ziel war, durch neue, offensive Methoden neue Mitglieder zu gewinnen. Was sind deine Erfahrungen mit gewerkschaftlichem Organising? Welchen Stellenwert hat das zum Beispiel heute in deiner Gewerkschaft UNITE HERE?
In unserer Gewerkschaft sind wir die ganze Zeit dabei, Organising in die Praxis umzusetzen und zu lernen, wie wir besser werden können. Hauptamtliche GewerkschafterInnen müssen lernen, mit Beschäftigten in Verbindung zu stehen und Vertrauen zu gewinnen. Dann braucht es natürlich auch den Rahmen, wo KollegInnen mehr über die Gewerkschaft oder ein bestimmtes Projekt lernen. Es gibt Phasen, in denen wir unsere KollegInnen zu Hause besuchen, um sie zu überzeugen, sich an einem Kampf zu beteiligen. Am Ende geht es aber immer darum, direkte Verbindungen mit den KollegInnen aufzubauen und das Bewusstsein zu stärken, dass das Engagement in der Gewerkschaft nicht nur der eigenen Familie, sondern auch der eigenen Community helfen wird. Organising ist in unserer Gewerkschaft wichtig, weil es uns hilft, unsere Community zu stärken.
Jeden Schritt, den wir machen – egal ob Aktionen, Proteste, Streiks, Verhandlungen – verwenden wir als Mittel um zu organisieren. Das bedeutet, in unserer Gewerkschaft leitende Kräfte aufzubauen. Im Bereich der Migration, wo ich für die Gewerkschaft arbeite, nützen wir unser Engagement, um Vertrauen in der Community aufzubauen. Das passiert durch unsere Kontakte mit glaubwürdigen MultiplikatorInnen, durch NGOs, aber auch durch Forschungsergebnisse von Universitäten.
Wir versuchen den Bereich auch zu nützen, um schon länger aktive Mitglieder aus einer Community in leitende Positionen zu bringen, damit sie in der Gewerkschaft mitentscheiden können. Schlussendlich wollen wir allen anderen KollegInnen auf diese Weise vermitteln, dass die Gewerkschaft auch ihre Gewerkschaft ist. Die KollegInnen müssen Verantwortungsbewusstsein für etwas bekommen, das ihnen gehört: ihre Gewerkschaft. Ihre Schwächen und Stärken sind die Schwächen und Stärken von allen anderen. Eine organisierte Community führt zu organisierten Kämpfen.
Um in einem Betrieb als Gewerkschaft Fuß fassen zu können, müsst ihr KollegInnen finden, die Sinn darin sehen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Ihr arbeitet viel damit, „leaders“, also Schlüsselpersonen unter der Belegschaft aufzubauen. Was genau bedeuten Schlüsselpersonen bei euch und wie baut ihr die auf?
Schlüsselpersonen aufzubauen bedeutet, dass wir den KollegInnen Handlungshilfen, Trainings und vor allem Vertrauen geben. Als OrganiserInnen müssen wir unsere Schlüsselpersonen immer wieder anstoßen, mehr organisierende Rollen am Arbeitsplatz, aber auch außerhalb zu übernehmen. Schlüsselpersonen bauen wir durch Trainings auf, indem wir Leuten zuerst kleine Verantwortungen übertragen, wie zum Beispiel Telefonanrufe bei KollegInnen oder Transporte mit dem Auto. In einem nächsten Schritt bereiten wir sie darauf vor, in ihrem Umfeld selbst mit Organising zu beginnen. Wir übergeben ihnen nach und nach mehr Verantwortung. Schlussendlich ist das Ziel, sie dazu zu befähigen, Organisierungsprojekte selbständig durchzuführen. Als hauptamtliche OrganiserInnen sind wir dazu da, Unterstützung anzubieten und Handlungshilfen für die KollegInnen zu geben.
In den letzten Jahren haben Basisbewegungen in den USA viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Teils wurden sie auch in Europa wahrgenommen. So zum Beispiel „Occupy Wallstreet“, „Black Lives Matter“ oder die Kampagne „Fight for $15“. Welche Bedeutung haben diese Bewegungen? Was können wir von diesen Bewegungen lernen?
Diese Basisbewegungen dienen dazu, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Jede hat zwar einen spezifischen Fokus, mit dem ein gewisses Spektrum angesprochen werden kann. Zugleich wird aber immer auch etwas Breiteres thematisiert. Zum Beispiel die „Black Lives Matter“-Bewegung, die von Bevölkerungsteilen ausgeht, denen Rechte vorenthalten werden und die daher gleiche Rechte für alle einfordert. Die Idee ist, spezifische Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen und universelle Lösungsansätze vorzulegen. Bei „Fight for $15“ geht es um die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 US-Dollar die Stunde für Angestellte der Fastfood-Industrie. In der breiteren Diskussion geht es jedoch um niedrige Löhne und Reallohnverluste für alle. Was wir davon lernen können ist, dass es zwar immer und überall große Ungerechtigkeiten gibt, wir uns aber im Kampf fokussieren müssen. Gleichzeitig müssen wir verschiedene Probleme miteinander in Bezug setzen, um zu Lösungen für alle zu kommen.
Das Gespräch führen Sandra Stern und Rainer Hackauf von undok, der Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender.