Nicht ganz geringfügiger Klassenkampf von oben

Ort des geringfügigen Klassenkampfs: Das AMS

In einem neuen Gesetzesentwurf planen ÖVP-SPÖ-NEOS massive Änderungen bei der geringfügigen Beschäftigung. Menschen, die Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beziehen, sollen nicht mehr die Möglichkeit haben, etwas dazuzuverdienen. Georg Eder sieht darin einen nicht ganz geringfügigen Klassenkampf von oben.

FPÖ und ÖVP hatten es in ihren Regierungsverhandlungen bereits angedacht. Die neue Dreierkoalition macht jetzt mit gravierenden Änderungen bei geringfügigen Beschäftigungen ernst. Im Rahmen ihrer Regierungsklausur Anfang April verkündeten Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsorfer (ÖVP), Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) und Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) das Vorhaben, die geringfügige Zuverdienstmöglichkeit bei Arbeitslosigkeit abzuschaffen. Jetzt gibt es einen ersten Gesetzesentwurf, der aktuell bei verschiedenen Behörden zu Vorbegutachtung vorliegt. Er ist Ausdruck eines Klassenkampfs von oben und sieht Änderungen bei der geringfügigen Beschäftigung nicht nur im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit vor.

Änderungen im Gesetzesentwurf

Nach der derzeitigen Rechtslage gelten Personen als geringfügig beschäftigt, wenn ihre monatliche Bezahlung 551,10 Euro nicht überschreitet. Geringfügig Beschäftigte sind lediglich in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert und haben die Möglichkeit, eine relativ günstige Selbstversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung abzuschließen. Eine Zuverdienst auf geringfügiger Basis ist es derzeit auch für alle sogenannten AlVG-Leistungsbezieher*innen möglich. AlVG steht für Arbeitslosenversicherungsgesetz. Das bedeutet, dass Menschen, die Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beziehen, sich mit einer Anstellung bis zu Geringfügigkeitsgrenze die finanziell angespannte Lage während des Bezuges von AMS-Leistungen erleichtern können.

Nach den Plänen der Regierungen soll es in diesem Zusammenhang ab 1. Jänner 2026 zu zwei wesentlichen Änderungen kommen. Zum Ersten werden geringfügige Beschäftigungen in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen. Somit fällt für die Arbeitgeber zukünftig auch für diese Beschäftigungen der Beitrag zur Krankenversicherung an. Zusätzlich wird die sogenannte Dienstgeberabgabe – eine Abgabe, die nach aktueller Rechtslage nur zu leisten ist, wenn mehr als eine geringfügige Stelle vorliegt – für sämtliche geringfügigen Beschäftigungen zu zahlen sein. Im Ergebnis steigen die sonst so verpönten Lohnnebenkosten für geringfügige Beschäftigungen so stark, dass kein großer Unterschied mehr zu nicht-geringfügigen Beschäftigungen besteht. Als Konsequenz wird die Motivation, Personen geringfügig zu beschäftigen, wohl stark sinken. Auch wenn vermutlich nicht die Hauptintention des Gesetzgebers, könnte das insbesondere kleinere Vereine im nichtkommerziellen Bereich treffen. Sie können sich oft nur maximal ein*n geringfügige*n Beschäftigte*n leisten.

Klar intendiert sind die jedoch die Konsequenzen, die das neue Gesetz für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe hat. Denn so sieht der Gesetzesentwurf zweitens vor, dass die Möglichkeit neben dem Bezug von AMS-Bezügen dazu zu verdienen, abgeschafft wird. Ausgenommen sind wenige, seltene Ausnahmefälle.

Vorwand: Budgetkonsolidierung

Warum tut man das? Die Regierung argumentiert mit der Notwendigkeit, ihre Ausgaben zu senken. Sie erwartet sich durch die weitgehende Abschaffung des geringfügigen Zuverdienstes bei gleichzeitigen AMS-Leistungen, bundesweite Einsparungen von jährlich rund 110 Millionen Euro. Unabhängig davon, wie realistisch diese Zahlen sind, scheint der Beitrag zur Budgetkonsolidierung überschaubar. Nach den nach außen kommunizierten Zahlen haben im Jahr 2024 rund 28.000 neben dem Bezug von AMS-Leistungen geringfügige Beschäftigungen ausgeübt. Bei über 300.000 offiziell arbeitslosen Personen und etwas weniger als 4 Millionen unselbständig Beschäftigten ist auch dies eine vernachlässigbare Größe.

Interessant ist die im Vorblatt zum Gesetzesentwurf enthaltene Einschätzung zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen. Auszugsweise der Originalwortlaut:

Obgleich aus Modellrechnungen ableitbar ist, dass der Bestand an AlVG-Leistungsbezieher:innen durch die Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeit während der Arbeitslosigkeit um rund 10.000 Personen im Jahresdurchschnitt sinken könnte, ist kein wesentlicher Nachfrageeffekt mit hoher Wahrscheinlich [sic] begründbar, da das erhöhte Arbeitsangebot teilweise andere Arbeitskräfte ersetzen wird.“

Mit anderen Worten: Die Regierung erwartet sich, rund 10.000 Personen in vollversicherte Beschäftigungen zu drängen. Gleichzeitig geht sie aber nicht davon aus, dass dadurch offene Stellen besetzt werden, sondern dass andere Personen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Um die ach so händeringend gesuchten Fachkräfte kann es also denklogisch nicht gehen.

Tatsache: Klassenkampf von oben

Worum geht es dann? Der Verdacht liegt nahe, dass es darum geht, den Bezug von AMS-Leistungen so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Und das vor dem Hintergrund, dass sie im internationalen Vergleich ohnehin schon sehr niedrig sind. Wie bereits bei der massiven Eindämmung der Bildungskarenz und den zu erwartenden Einschnitten bei der Sozialhilfe, sollen Lebens- und Überlebensmodelle jenseits von Vollzeitlohnarbeit erschwert bis verunmöglicht werden. Akkordiert wird dies durch wiederholte Beiträge in den einschlägigen Boulevard-Medien, in welchen der Bezug von Sozialleistungen Vollzeitbeschäftigungen gegenüber gestellt wird. Das Argument: Die ‚exorbitanten‘ Einkünfte aus diversen Sozialleistungen würden sich der Höhe nach nicht wesentlich von Gehältern aus Vollzeitbeschäftigungen unterscheiden. Bezeichnender Weise stellen diese Beiträge ausschließlich Sozialleistungen in Frage – niemals die Lohnhöhen für Vollzeitbeschäftigungen.

Die Politik, die im Gesetzesentwurf zum Ausdruck kommt, hat weitreichende Konsequenzen. Sie betrifft nicht nur Personen, die unfreiwillig ihre Arbeit verlieren oder diese beenden, da sie physisch oder psychisch nicht mehr können, oder sich temporär den Zumutungen kapitalistischer Vollzeitlohnarbeit entziehen wollen. Sie hat Folgen für alle Lohnabhängigen: Je unattraktiver der Bezug von Sozialleistungen ist, umso weniger ist man geneigt, eine lohnabhängige Vollzeitbeschäftigung wegen schlechter Arbeitsbedingungen zu beenden. Gesamtwirtschaftlich wird somit unter dem Deckmantel der Budgetkonsolidierung die Verhandlungsmacht der sogenannten Arbeitgeber*innen gestärkt. Damit handelt es sich bei den geplanten Gesetzesänderungen schlicht um Klassenkampf von oben. Ob sich eine Sozialdemokratie voller Stolz und voller Würde daran beteiligen möchte, bleibt dieser überlassen.

Foto: mosaik

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