Österreichs fossiles Erbe

Andrij Bulba

Österreich ist nicht nur das Land der internationalen Gaskonferenzen, sondern selbst massiv vom fossilen Kapitalismus geprägt – und das seit über hundert Jahren. Eine kurze Geschichte über den Ölrausch Österreich-Ungarns, das „Öldorado“ Weinviertel und das verzerrte Geschichtsbild der OMV. Von Christian Bunke

Die European Gas Conference macht in Wien eines deutlich: Österreich, und insbesondere Wien, ist ein gefragter Ort für Verhandlungen, wenn es um Öl und Gas geht. Nicht umsonst hat die OPEC ihren Sitz in Wien. Was dabei oft in Vergessenheit gerät ist, dass Österreich selbst ein Öl und Gas förderndes Land ist. Die österreichische OMV ist einer der weltweit größten Konzerne in dem Bereich, mit Interessen auf dem afrikanischen Kontinent, sowie in Nord-, Ost- und Zentral-Europa. Gemeinsam mit dem Wiener Flughafen bildet die OMV eine fossile Kapitalfraktion mit großer politischer und wirtschaftlicher Macht, die sich vor allem in den östlichen Bundesländern Österreichs bemerkbar macht. Vereinfacht gesagt liefert die OMV den Sprit, mit dem in Schwechat die Flieger starten. Beides ist für den Wirtschaftsstandort Österreich von wesentlicher Bedeutung. 

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat auch in Österreich ein Hinterfragen der Öl- und Gas-Industrie begonnen. Die Teuerungsspirale der Wintermonate hat das Problem der Abhängigkeit von diesen Rohstoffen deutlich vor Augen geführt, ganz abgesehen von deren erwiesener Klimaschädlichkeit. Was bei alldem nie diskutiert wird ist, welche Rolle die Öl- und Gasförderung in der österreichischen Geschichte eigentlich gespielt hat. Dabei liegt im Wiener Becken eines der größten Erdöl-Reservoirs Zentraleuropas. Und im Weinviertel führt die OMV Probebohrungen durch, um gegebenenfalls Erdgas mit der umstrittenen Fracking-Methode aus dem Boden zu holen. 

Der Öl-Staat Österreich-Ungarn

Keine moderne Industriegesellschaft funktioniert ohne fossile Brennstoffe. Kohle, Gas und Öl brachten uns die Welt, in der wir heute leben: mit Autos, Gasheizungen, Kriegen und Umweltzerstörung. Österreich ist keine Ausnahme. In ihrem Buch „Oil Empire – Visions of Prosperity in Austrian Galicia“ beschreibt Harvard Professorin Alison Fleig Frank, wie Ende des 19. Jahrhunderts Österreich-Ungarn zum drittgrößten Erdöl fördernden Staat der Welt wurde.

Ein erstes Epizentrum war Galizien, die heutige westliche Ukraine. Hier war damals das Dallas Zentraleuropas. Hunderte Glücksritter zog es dorthin, um nach Öl zu graben. Die angewandten Methoden waren zu Beginn primitiv. Mit wenig mehr als Hacken und bloßen Händen gruben die Arbeiter:innen nach dem schwarzen Gold. Die Arbeitskräfte waren Bäuer:innen aus der Umgebung, die sich einen kargen Tagelohn verdienten. Die Arbeit war gefährlich. Immer wieder entzündete sich das Öl, etwa weil bei Gewitter Blitze in die hölzernen Fördertürme einschlugen. Die so entstandenen Großbrände flammten teils über Monate, während aus dem Boden emporsprudelndes Öl die Ackerböden und Flüsse verschmutzte. 

Diese Umweltverschmutzung ging auch weiter, als kanadische und amerikanische Ingenieure moderne Technik nach Galizien mitbrachten. Die Ölförderung war und ist eine schmutzige Sache. Die Wiener k.u.k. (kaiserliche und königliche) Regierung protegierte diese Entwicklung und schützte die entstehende Ölindustrie vor ausländischen Begehrlichkeiten, etwa als der US-amerikanische Monopolist Standard Oil versuchte, sich in Galizien zu etablieren. 

Ölrausch und Weltkrieg

Was in Galizien stattfand, war ein regelrechter Ölrausch mit Raubbau-Tendenzen. Möglichst viel Öl in möglichst kurzer Zeit aus der Erde zu holen, lautete die Devise der Zeit. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte dies auch eine militärische Bedeutung. Flugzeuge, Panzer, Schiffe und andere moderne Waffensysteme brauchten zunehmend Öl, um zu funktionieren. Galizien wurde für Österreich-Ungarn zum kriegsentscheidenden Schauplatz. Als Russland Galizien zeitweise eroberte, kam das k.u.k. Militär ins Stocken.

Ein Problem war auch, dass Österreich-Ungarn keine strategisch orientierte Infrastrukturpolitik betrieben hatte. So war kein Eisenbahn- oder Straßennetz gebaut worden, um das in Galizien geförderte Öl schnell zum Kriegshafen in Triest verfrachten zu können. Die Förderung kriegsfähiger Autobahnen in Zentraleuropa mittels der „Trans-Europäischen-Netze (TEN)“ durch die Europäische Union – zu denen auch die Lobau-Autobahn zählt – beruht unter anderem auf solchen Lehren, die kapitalistische Staaten aus dem Ersten Weltkrieg zogen.

Öldorado Weinviertel

Über den in Galizien unter österreichisch-ungarischer Betreuung betriebenen Raubbau wird heute in Österreich kaum noch geredet. Lieber erinnert man sich an die Blüte der Öl- und Gasförderung im ost-österreichischen Weinviertel, deren Zeit mit Ende des Ersten Weltkrieges heraufdämmerte. Im Jahr 1935 wurde hier die Rohöl-Aufsuchungsgesellschaft (RAG) gegründet. Das Kapital dafür kam den Vorläufergesellschaften der heutigen transnationalen Großkonzerne Exxon Mobil und Royal Dutch Shell, wie Benjamin Steininger in einem Artikel über die Geschichte der Öl- und Gasförderung im Weinviertel herausarbeitet. Die RAG errichtete die ersten Pipelines vom Weinviertel zu Lagerstätten am Rande der Lobau. Diese Pipelines sind heute im Besitz der OMV. Die RAG konzentriert sich inzwischen hauptsächlich auf den Betrieb von Gasspeichern. 

Über die Zeit der 1930er Jahre heißt es im Vorwort des von Gerhard Ruthammer verfassten Buches „Öldorado Weinviertel“: „Unbeschreiblich war der Jubel zu Beginn der 1930er Jahre, als im Raum Zistersdorf der erste wirtschaftlich bedeutende Erdölfund in Österreich getätigt wurde. Bald wurden weitere Vorkommen entdeckt und entwickelt. Diese Zeit risikobereiter Pioniere wurde aber jäh durch die deutsche Besitzergreifung nach dem Einmarsch in Österreich im Jahr 1938 beendet. Es setzte eine raubbaumäßige Ausbeutung der Lagerstätten ein, die unter der russischen Besetzung ihre Fortsetzung fand.“ 

Das Geschichtsbild der OMV

Ruthammer ist ein ehemaliger OMV-Mitarbeiter sowie ein ehemaliger Professor an der Montanuniversität Leoben. Seine Sichtweise deckt sich weitgehend mit der Geschichtsversion, wie sie die OMV auf zahlreichen von ihr gesponserten Lehrpfaden im Weinviertel erzählen lässt. Es ist die Geschichte einer verantwortungsbewussten österreichischen Öl- und Gasbranche, deren Blüte durch ausländisch verantworteten Raubbau kurzfristig beeinträchtigt wurde, inzwischen aber wieder zu neuem Glanz erwacht ist. 

Dieses Geschichtsbild sollte Widerspruch herausfordern. Der bleibt jedoch aus. Das liegt sicher auch im großen kulturellen Einfluss der OMV auf die Ostregion begründet. Es gibt nur wenige Schwimmbäder oder Kulturzentren im Weinviertel, an deren Finanzierung die OMV nicht beteiligt war.

Verdrängte nationalsozialistische Wurzeln

Tatsächlich wurde die österreichische Öl- und Gasbranche von den Nazis weitgehend enteignet. Profitable Förderrechte wurden deutschen Unternehmen zugeschoben. Zu dem Bild gehört aber auch, dass die Nazis im Rahmen ihrer Kriegswirtschaft massiv in die Infrastrukturen der Ostregion investierten. Heute noch oder wieder bestehende Infrastrukturen wie die Raffinerie Schwechat, der Ölhafen Lobau, zahlreiche Pipelines und nicht zuletzt der Flughafen Wien-Schwechat haben nationalsozialistischen Ursprung. Sie wurden unter Zuhilfenahme von Zwangsarbeit errichtet und betrieben. Der Marsch der deutschen Wehrmacht Richtung Osten war nur mit österreichischem Öl möglich. Eine Erinnerungskultur an diese Zeit fehlt fast völlig, beziehungsweise ist sie weitgehend marginalisiert. 

Dabei ist eine kritische Würdigung der Ursprünge des fossilen österreichischen Kapitalismus überfällig. Heute mächtige Konzerne wie die OMV und der Wiener Flughafen haben ihre Wurzeln in Krieg, Ausbeutung und Faschismus. Wer über Gas, Öl und Klimakrise spricht, kann davon nicht schweigen. 

Foto: Andrij Bulba

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