Dieses Wochenende findet in Hamburg der G20-Gipfel statt. Schon seit Tagen laufen die Proteste dagegen – und auch die Repression. Wie die Stadt einer Festung gleicht und warum die G20-Proteste wichtig sind, beschreibt Eva Hoffmann.
Jetzt stehen sie doch, die Camps. Dabei hatte die Polizei zu Beginn der G20-Proteste letzte Woche alles daran gesetzt, sie zu verhindern. Trotz gerichtlicher Genehmigung stürmten sie die Camps, verboten das Übernachten und versuchten erneut rechtlich dagegen vorzugehen. Durch den großen Druck der Aktivist*innen und der Zivilgesellschaft dürfen die Camps nun inklusive der Schlafplätze bleiben. Doch die Polizei hat gezeigt, dass sich auf Eskalation und Repression setzen wird.
In Hamburg warf der Gipfel der G20 seine Schatten voraus
Nun herrscht in Hamburg der Ausnahmezustand. Seit zwei Wochen proben tausende deutsche Polizist*innen den Repressionsapparat in der Hansestadt. Der Anlass: Am 7. und 8. Juli richtet Deutschland den G20-Gipfel in Hamburg aus. Die Gruppe der G20 ist ein seit 1999 bestehender, informeller Zusammenschluss aus 19 Staaten und der Europäischen Union. Schon jetzt gleicht die Stadt einer Festung. Die damit einhergehende Rhetorik der Aufrüstung könnte diesen Ausnahmezustand zum Normalzustand befördern. Genau deshalb sind die Proteste aus ganz Europa vor Ort so wichtig.
Von 6. bis 9. Juli, wird auf den Straßen Hamburgs „alles an Polizeiequipment zu sehen sein, was es gibt“, verkündete Einsatzleiter Hartmut Dudde auf einer Pressekonferenz der Hamburger Polizei zu den Vorbereitungen rund um den G20-Gipfel. Was hier wie die Speisekarte eines exquisiten Restaurants angepriesen wird meint eigentlich: Panzerfahrzeuge, Drohnen, Polizeiboote, Hubschrauber, Maschinengewehre und Kleinwaffen. 4,5 Millionen Euro kostet die Aufrüstung der Polizeieinheiten für das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 einflussreichsten Wirtschaftsnationen. Der Einsatz wird der größte der Hamburger Polizeigeschichte. Man wolle kein Polizeistaat werden, so Dudde weiter. Doch Aufrüstung gehöre eben zu den Vorbereitungen gegen 7.000 „gewaltbereite“ Gipfelgegner*innen, mit denen zu rechnen sei.
Dudde argumentiert, als gäbe es gar keinen Gipfel mitten in Deutschlands zweitgrößter Stadt. Als seien nicht die 6.000 Delegationsteilnehmer*innen, die die Stadt mit Hotelbelegungen, Sonderflügen und Autokolonnen lahmlegen, Ursache für den Ausnahmezustand, sondern die Demonstrant*innen, die noch nicht einmal angereist sind. Auffällig ist auch, dass die Einschätzung der Polizei innerhalb der letzten Wochen von 4.000 über 5.000 bis zu 7.000 „problematischen“ Gipfelgegner*innen gestiegen ist. Zahlen, die in lokalen Medien wie dem Hamburger Abendblatt sofort Schlagzeilen machen.
Die Rhetorik der Repression
Die Rhetorik der Polizei und ihrer Öffentlichkeitsarbeit funktioniert auf zwei Ebenen: Zum einen werden sämtliche Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Blockaden und Besetzungen durch den ständigen Bezug auf „Gewalt“ delegitimiert. Zum anderen wird ein Bild der Hamburger Polizei als „Beschützer“ reproduziert, die mehr Waffen denn je brauchen, um die Stadt zu sichern. Der Ausnahmezustand und die vermeintlich notwendige Aufrüstung ebnen den Weg für Sicherheits- und Überwachungstechnologien. Ähnliches wurde nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien oder der Black Lives Matter Bewegung in den USA zum Normalzustand.
Einmal für Großeinsätze angeschafft, lassen sie sich die Geräte immer wieder zur Aufstandsbekämpfung einsetzen. Was nach G20 mit frisch angeschafften Waffen wie dem Kriegspanzer Survivor oder neueren Hubschraubern passiert, wurde bisher in keiner Pressekonferenz geklärt.
Gegen die G20, gegen die Weltgemeinschaft der Reichen und Mächtigen
Es gibt viele Gründe, gegen die G20 zu protestieren. Dass in der kommenden Woche ausgerechnet diejenigen 20 Staaten mit dem höchsten CO2-Ausstoß über Klimaziele, Welthandel und Menschenrechte verhandeln, während jene Länder, die am meisten betroffen sind, nicht eingeladen werden und Tausende an den Grenzen dieser G20 sterben, ist eine Farce. Dass sich eine Gruppe von Reichen und Mächtigen als Weltgemeinschaft inszeniert, während kein einziges osteuropäisches Land, nur ein einziges Land des gesamten afrikanischen Kontinents und nicht mal die Hälfte der südamerikanischen Länder vertreten ist, sollte an der Internationalität dieses Gipfels zweifeln lassen.
Dass Angela Merkel als Gipfelvorsitzende die Stärkung von Frauen in Wirtschafts- und Arbeitswelt als Schwerpunkt für Gäste wie Erdoğan, Putin und Trump ansetzt, ist absurd. Und dass hierfür der Alltag einer Großstadt mit Personenkontrollen, Hausdurchsuchungen, einer 35 Quadratkilometer großen Sperrzone lahmgelegt und Wohnungslose aus der Innenstadt vertrieben werden, hebelt das Recht auf Stadt aller Anrainer*innen aus.
Die G20 sind verantwortlich für den Ausnahmezustand. Weltweit.
Am Unverschämtesten ist es aber, diesen militärischen Ausnahmezustand auf die Protestler*innen zu schieben und sie mit Repressionsandrohungen einzuschüchtern. Nicht die Demonstrant*innen, sondern die G20 selbst sind verantwortlich für den Ausnahmezustand. Nicht nur in Hamburg, sondern weltweit.
Auch deshalb sind die Proteste gegen den Gipfel so wichtig. Ihre Inhalte lassen sich nicht auf ein paar tausend „Gewaltbereite“ herunterbrechen, wie Einsatzleiter Dudde den vielfältigen Protest zu delegitimieren versucht. So findet ein Gegengipfel statt, der die Forderung einer globalen Solidarität als Kritik an den G20 formuliert. Am Vorabend des Gipfels findet die autonome Welcome to Hell Demonstration statt, sowie Blockadeaktionen an den Folgetagen. Am Samstag, den 8. Juli gibt es eine große Abschlussdemonstration, auf der breite Bündnisse parteilicher, ziviler und linksradikaler Gruppen gemeinsam laufen. All diese Aktionen formulieren insbesondere eins: den Widerstand all jener, die sich nicht durch die G20 repräsentieren lassen wollen und damit die gesamte Logik des Gipfels empfindlich stören.
Gegen Alternativlosigkeit und Repression
Es wird nicht nur „alles an Polizeiequipment zu sehen sein (wird), was es gibt“, sondern auch alle Formen massenhafter Proteste. Und dann lässt sich die Inszenierung der neoliberalen Politik von Merkel, Trudeau und Macron als „kleineres Übel“ gegenüber den autoritären Kursen Erdoğans, Putins oder Trumps nicht mehr halten. Jede Kritik, die sich massenhaft gegen den G20-Gipfel richtet, bricht mit dieser Logik. Auf der Straße wird sich zeigen, inwiefern sie auch der Logik der Hamburger Polizei entgegenläuft und einer zunehmenden Militarisierung dauerhaft etwas entgegenzusetzen vermag.
Eva Hoffmann beendet gerade ihren Master in Theater-, Film- und Medientheorie und schreibt für das jetzt Magazin der Süddeutschen Zeitung.