Mehr Überwachung im Burggraben der Festung Europa

Mit EUROSUR verfügt Frontex über ein mächtiges Überwachungssystem für ihren „Grenzvorbereich“. Das System führt Aufklärungsdaten von Flugzeugen, Drohnen und bald auch Fesselballons zusammen. Mit der Vorverlagerung der EU-Außengrenzen agiert die Grenzagentur wie ein Geheimdienst – und will bald auch mit Libyen kooperieren.

Die EU-Grenzagentur Frontex nimmt im Mittelmeer eine Reihe neuer Überwachungsmethoden in Betrieb. Das ist Teil des Grenzüberwachungssystems EUROSUR, das die Europäische Union vor fünf Jahren gestartet hat. Es vernetzt die Zentrale von Frontex in Warschau mit den Grenzbehörden der 28 Mitgliedstaaten. Nach jüngsten Zahlen wurden seit Bestehen von EUROSUR rund 184.000 Ereignisse zu irregulärer Migration an das Koordinierungszentrum bei Frontex übermittelt, rund 33.000 betrafen organisierte Kriminalität.

Kern des EUROSUR-Systems ist die Satellitenaufklärung, über die Frontex auch selbst an den Grenzen beobachten kann. Die Bilder stammen von kommerziellen Satellitendiensten, unter anderem Airbus, sowie von optischen und radarbasierten Satelliten des EU-Erdbeobachtungsprogramms „Copernicus“.

Überwachung neuer Gebiete

Frontex beobachtet bereits die Küstenregionen in Algerien, Tunesien und Libyen. Diese Überwachung wird auf neue Gebiete ausgeweitet. Nun werden auch die technischen Fähigkeiten von „Copernicus“ ausgebaut. Das System soll „Unregelmäßigkeiten im Schiffsverhalten“ erkennen und melden. Als verdächtig kann etwa gelten, wenn ein Schiff keine gewöhnlichen Routen fährt oder die Geschwindigkeit verlangsamt. Anschließend können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten informiert werden, die das Schiff dann eigenständig überwachen oder kontrollieren.

Seit diesem Jahr erhält Frontex außerdem Bilder von Aufklärungsdrohnen, die von der Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs geflogen werden. Bisher noch ein Pilotprojekt mit 900 Flugstunden im Jahr, könnte 2019 der Regelbetrieb beginnen. So jedenfalls steht es in einem früheren Entwurf des Arbeitsprogramms von „Copernicus“ für das kommende Jahr. Demnächst will Frontex außerdem Fesselballons zur „Grenzraumüberwachung aus der Luft“ testen.

„Beobachtung des Grenzvorbereichs“

Frontex hat im vergangenen Jahr einen „Mehrzweck-Flugdienst“ gestartet. Von Flugzeugen über dem Mittelmeer aufgenommene Videos werden in Echtzeit in ein Lagezentrum der EUROSUR-Zentrale nach Warschau gestreamt. Im Rahmen des Projekts „FRONTEX Compatible Operational Image“ erprobt die Agentur die Verbesserung dieser Echtzeit-Übertragung ins Hauptquartier.

Frontex nutzt die Luftaufnahmen zur Beobachtung des sogenannten „Grenzvorbereichs“, der laut der Kommission mehr als 500 Quadratkilometer groß ist. Welche Gebiete konkret beobachtet werden, entscheidet ein „Frontex-Referat für Risikoanalyse“. Hierfür startet die Agentur den Dienst „ProDetect service“. Das Verfahren verarbeitet frühere Vorkommnisse im „Grenzvorbereich“ und soll eine Frühwarnfunktion bieten. Häufen sich also Abfahrten aus einer bestimmten Region, könnte Frontex eine Vorhersage für vermutete Routen oder Ankunftsorte von Booten erstellen. Eine solche Analyse wäre aber auch für den Landweg möglich. Ziel ist, die vermuteten „Migrationsströme“ möglichst frühzeitig zu unterbinden.

Seepferdchen im Mittelmeer

Diese neuen Fähigkeiten erweitern die Überwachung des Mittelmeers beträchtlich. Auch Frontex rechnet mit deutlich mehr Lageinformationen über Boote von Geflüchteten. Schon jetzt ist die Informationsdichte immens: Und die Überwachung wird noch weiter ausgebaut: EUROSUR soll ab 2020 zusätzliche 52,5 Millionen Euro erhalten, ab 2021 sollen jährlich rund 90 Millionen Euro zusätzlich fließen. Das meiste Geld ist für die Anwendung neuer Technologien vorgesehen, EUROSUR soll aber auch 65 neue MitarbeiterInnen erhalten.

Was mit den ermittelten Informationen geschieht, ist allerdings umstritten. Denn bis jetzt darf Frontex gemäß der EUROSUR-Verordnung diese Informationen nicht direkt mit Drittstaaten teilen. Das „Seepferdchen Mittelmeer“ könnte das allerdings ändern. Dort haben sich die südlichen Mittelmeeranrainer der Europäischen Union zusammengeschlossen. Neben Italien, Malta, Griechenland, Zypern, Frankreich und Spanien ist auch Portugal Teil des Netzwerks. Es handelt sich um eine multilaterale Vernetzung einiger Mitgliedstaaten, nicht um eine Einrichtung der Europäischen Union. „Seepferdchen Mittelmeer“ gehört jedoch zum Informationsraum des Systems EUROSUR, mit dem die Europäische Union ihre Außengrenzen überwacht. Seit Dezember laufen Gespräche ob auch Libyen Teil dieses Überwachungsnetzwerks werden soll, die dortige Regierung könnte so über relevante Vorkommnisse vor ihrer Küste erfahren. Frontex drängte bereits im Jahresbericht zur Seeaußengrenzenverordnung auf eine Kooperation mit dem nordafrikanischen Staat und die Erlaubnis einer umfassenderen Zusammenarbeit mit der dortigen Küstenwache.

Datentausch wird Gesetz

Die derzeit gültige Seeaußengrenzenverordnung verbietet jedoch den Austausch personenbezogener Daten mit Drittstaaten, wenn die „ernste Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung besteht“. Dies gilt dem Gesetzestext zufolge für Länder, in denen „das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter, der Verfolgung oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung“ besteht. Die Verordnung bezieht sich dabei auf die Europäische Menschenrechtskonvention. In Libyen werden die von der Küstenwache aufgegriffenen und zurückgebrachten Geflüchteten in Lagern festgehalten, deren Bedingungen sogar das Auswärtige Amt als menschenunwürdig beschreibt. Menschen werden dort in engen Räumen zusammengepfercht, misshandelt, vergewaltigt und Berichten zufolge auch ermordet. Die Möglichkeit, Asyl oder einen anderen Schutz vor Verfolgung zu beantragen, existiert in Libyen nicht.

Auch die geltende Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache steht derzeit zur Debatte. Ein Vorschlag der Kommission hat für Furore gesorgt, weil Frontex eine stehende Grenztruppe von bis zu 10.000 BeamtInnen aufbauen und Einsätze in Drittstaaten durchführen will. Die Kommission legt in dem Vorschlag aber auch die Rechtsgrundlage für den Datentausch von Frontex mit Drittstaaten fest, die „entweder im Rahmen bilateraler und multilateraler Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten einschließlich regionaler Netze oder durch Arbeitsvereinbarungen zwischen der Agentur und den zuständigen Behörden von Drittstaaten, zusammenarbeiten“.

Militärische Operationen „zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung“

Diese Formulierung ist maßgeschneidert für das regionale Netzwerk „Seepferdchen Mittelmeer“. Die Mitgliedstaaten werden in dem Papier sogar direkt aufgefordert, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten „auf operativer Ebene“ ausweiten. Explizit erwähnt werden militärische Operationen „zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung“.

Fraglich ist aber, mit welchen konkreten Stellen sich Frontex und die Mitgliedstaaten in Libyen vernetzen sollen. Mittlerweile hat die libysche Regierung ein Lagezentrum eingerichtet, in dem alle Behörden, die Aufgaben zur Seesicherheit übernehmen, zusammengeschlossen sind. Diese libysche „Rettungsleitstelle“ befindet sich in der Nähe des Flughafens in Tripolis und ist auch für die Seenotrettung zuständig. Laut der Bundesregierung sind dort Mitarbeiter des Außenministeriums, der Küstenwache, der Hafen- und der Flughafenbehörde sowie des Fernmeldeamtes vertreten.

Marine nutzt Gmail-Adresse

Stutzig macht dabei, dass die libysche Küstenwache für die Seenotrettung eine Google-Mailadresse als Kontakt angibt: Die Leitstelle soll über lcg.nav.room@gmail.com angeschrieben werden. Seenotrettungsorganisationen beklagen immer wieder, dass Libyens Küstenwache nicht auf Telefonanrufe reagiert, sodass sie tatsächlich nur über Mailadressen erreichbar ist. In einem Dokument der US-Regierung, das monatliche Seenotrettungsfälle dokumentiert, findet sich sogar die libysche Marine mit einer Gmail-Adresse.

Ein Grund könnte darin liegen, dass die Marine und die Küstenwache in Libyen aus Milizen bestehen, die sich zwar der Regierung in Tripolis gegenüber loyal erklären, aber eigentlich unabhängig sind. Diese Truppen geraten immer wieder für ihre Brutalität gegenüber Geflüchteten und Seenotrettungsorganisationen in die Schlagzeilen. Die libysche Regierung will jetzt die Kompetenzen der Milizen schrumpfen. Zunächst haben Regierungstruppen den Flughafen unter ihre Kontrolle gebracht, später wollen sie den Milizen auch die Bewachung des Hafens den Milizen entziehen.

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