Die Berichterstattung zu den Morden in Kitzbühel thematisiert diese als Beziehungsdrama oder Eifersuchtstat. Nicht gesprochen wird über den sexistischen gesellschaftlichen Kontext, in dem es immer wieder zu Gewalt von Männern kommt.
Kitzbühel ist in aller Munde. Ein junger Mann ermordet seine Ex-Partnerin, deren Familie und ihren neuen Partner. Die Tat ist grausam und schockierend. „Eifersucht“ sei das Motiv gewesen, heißt es in der medialen Debatte oft. Der Täter habe sich zurückgewiesen gefühlt, er habe die Trennung nicht verkraftet oder „er wollte seine große Liebe zurück“. Es geht also, folgt man diesen Erklärungen, um Emotionen, um die Eskalation eines Beziehungskonfliktes, um Privates also.
Der gesellschaftliche Hintergrund der Tat verschwindet dabei. Dabei beschränkt sich männliche Gewalt nicht auf diesen Fall. Darauf haben in den letzten Tagen in den (sozialen) Medien diverse feministische Stimmen hingewiesen. Was fehlt also in dieser Berichterstattung?
Klare Sprache
Seit 1976 werden über 90 Prozent der Morde in Österreich von Männern begangen. Die Täter sind meist Familienmitglieder der Opfer oder stehen diesen anderweitig nahe. 2018 markierte mit 41 Morden an Frauen einen tragischen Höhepunkt. Doch es sind nicht nur die Morde: Jede fünfte Frau in Österreich ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Auch Lesben, Schwule, Trans*-Personen sind europaweit verstärkt von Gewalt und Diskriminierung betroffen. In Österreich gibt es hierzu nicht einmal Kriminalstatistiken.
Die Zahlen sprechen dennoch eine klare Sprache: Männliche Gewalt und geschlechtsspezifische Gewalt sind ein Problem, das nicht als privates Beziehungsdrama bagatellisiert werden kann. Wer das dennoch tut, trägt einen Teil dazu bei, dass sie weiter stattfindet. Die Alternative wäre, sich ernsthaft die Frage zu stellen, wie unsere Gesellschaft funktioniert und welche Strukturen geschlechtsspezifische Gewalt entstehen lassen.
Toxische Männlichkeit
Die Konfliktforscherin Birgit Haller hat in der ZiB2 im Gespräch mit Armin Wolf den Begriff „toxische Männlichkeit“ verwendet. Er zeigt auf, dass männliche Gewalt mit bestimmten Idealen oder stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit in einem Zusammenhang steht. Wer diesem Ideal entsprechend als „männlich“ gelten will, muss sich stark, durchsetzungsfähig und dominant geben. Gefühlsregungen wie Traurigkeit, Verletzlichkeit oder Hilfsbedürftigkeit werden als schwach abgewertet. Das hat schwerwiegende Folgen: Viele Männer lernen nie, sich selbst in emotionalen Krisen liebevoll und sorgsam zu begegnen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie überdurchschnittlich häufig von Depressionen geplagt sind oder Suizid begehen. Nicht selten kommt es vor, dass Männer Emotionen wie Trauer oder Angst in Wut und Aggression kanalisieren. Wir alle kennen die (Film-)Szenen von Männern, die angesichts einer emotionalen Krise wütend mit der Faust gegen eine Wand schlagen.
Doch die Faust trifft nicht nur Wände – sie trifft genauso andere Menschen: vor allem Partner*innen, Kinder, Freund*innen. Eine Kritik an toxischer Männlichkeit ist daher keine Kritik, die Männer pauschal verurteilen oder benachteiligen will. Vielmehr erkennt diese Kritik an, dass eine Gesellschaft ohne diese gewaltvollen Ideale insgesamt besser dastehen würde. Sie wäre gesünder, liebevoller und sicherer für alle.
Schwarz-Blau gegen Feminismus
Die Frage ist also, wie eine Gesellschaft mit dieser Realität umgeht. Werden politische Maßnahmen ergriffen, um Gewalt vorzubeugen und den Betroffenen beizustehen? Werden die Strukturen verändert, die diese Gewalt bedingen? Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen der österreichischen Politik legt eine andere Antwort nahe.
Unter der letzten schwarz-blauen Regierung wurden vielmehr feministische Errungenschaften, die Meilensteine im Kampf für eine geschlechtergerechte Gesellschaft waren, in Frage gestellt oder angegriffen. Bereits nach wenigen Monaten an der Macht hat die ehemalige Regierung vielen (queer_)feministischen Vereinen finanzielle Förderungen gekürzt. Jene Menschen, die sich teilweise seit Jahrzehnten für Frauen*- und LGBTIQ*-Rechte einsetzen, konnten ihre Arbeit nur noch unter erschwerten Bedingungen fortsetzen – falls überhaupt. Auch das von schwarz-blau vorgeschlagene und im September beschlossene Gewaltschutzgesetz wurde von feministischen Organisationen als populistische Maßnahme kritisiert.
Die Dominanzgesellschaft wäscht sich rein
Der Täter von Kitzbühel war einst Mitglied der FPÖ. Männlichkeitsideale von Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und Dominanz sind in rechten Ideologien besonders verbreitet. Von der FPÖ über Burschenschaften bis hin zu sogenannten „Lebensschützern“ und „Väterrechtlern“ ist die Rechte vereint in ihrem Kampf gegen eine fantasierte Übermacht von Feminist*innen. Ziel ihrer Angriffe sind feministische Sprachpolitiken („gendern“), Frauenhäuser oder Gender-Mainstreaming. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Man stelle sich vor, der Täter sei Moslem oder gar ehemaliges Mitglied einer islamistischen Gruppierung gewesen. Die Schlagzeilen wären voll davon. Der Mord würde ohne Umwege in Zusammenhang mit dieser politischen Gesinnung oder gar der „kulturellen Herkunft“ des Täters gebracht. Im Falle einer ehemaligen FPÖ-Mitgliedschaft hören wir vor allem eines: Schweigen. Und dieses Schweigen sagt viel darüber aus, was in dieser Debatte nicht gesagt wird: Dass männliche Gewalt kein Thema ist, das sich irgendwo im Privaten abspielt oder rassistisch anderen Gruppen zugeschrieben werden kann, sondern mitten in diese Gesellschaft hineinreicht – und mitproduziert wird durch eine Politik, die sich hierzulande großer Beliebtheit erfreut.
Männliche Gewalt ernst zu nehmen hieße, gegen die strukturelle Diskriminierung von Frauen* und LGBTIQ* vorzugehen. Das hieße ökonomische Ungleichheiten („gender pay gap“) zu bekämpfen, ernsthafte Gewaltprävention und Unterstützung von Betroffenen zu leisten und allgemein an einer Gesellschaft zu arbeiten, die für alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung ein sicheres, lustvolles und lebenswertes Leben ermöglicht. Wer von Eifersuchtsmorden und Beziehungsdramen spricht, macht es sich zu einfach und trägt nichts zu einer solchen Gesellschaft bei. Die Aufgabe ist viel größer und die Lösung stellt diese Gesellschaft als Ganze in Frage – und nichts Geringeres müssen wir tun, wollen wir ein Leben ohne Gewalt ermöglichen.