Der Frauenfußball-Hype bringt vieles zutage – und nicht nur Gutes. Franziska Wallner, mosaik-Redakteurin und aktive Fußballerin, über emanzipatorische Euphorie, linke Rülpser und Bastionen der Männlichkeit, die endlich fallen müssen.
Vor zwei Wochen startete die Europameisterschaft der Frauen mit dem Spiel Norwegen gegen Niederlande. In Österreich wurde das Turnier zunächst relativ unaufgeregt verfolgt. Medial erschienen Artikel mit Titeln wie „So heiß wird die Fußballparty“, in denen die „Hotness“ der Spielerinnen diskutiert wurde. Danke, Österreich. Das Public Viewing im Wiener WUK war zunächst fast leer. Sogar beim ersten Deutschland-Spiel gegen die Frauenfußball-Granden Schweden waren wir fast alleine vor den Screens. Das hat mich doch gewundert, irgendwie hat es sogar meine Euphorie ein klein wenig geschmälert.
Freudentaumel nach Auftaktsieg
Aber dann! Erster Spieltag, Gruppe C: Österreich, also die Spielerinnen des Nationalteams, geben ihr Debüt bei einer EM. Wir kommen kurz vor dem Anpfiff –und diesmal ist das WUK voll, wir müssen stehen. Egal, die Stimmung ist super. Die Österreich-Trikots und rot-weiß-rot dekorierte Wangen ignoriere ich. Zu glücklich macht es mich, dass die Fußballerinnen tatsächlich die Qualifikation geschafft haben und sich mit den besten Fußballerinnen Europas messen können. Das in einem Land wie Österreich, in dem Frauenfußball viel zu lange belächelt, ignoriert und im besten Fall geduldet wurde.
Das Spiel läuft gut, die Österreicherinnen zeigen eine super Präsenz und pressen, was das Zeug hält. Dann, in der 15. Minute, nach einem super Pass von Zadrazil fällt das Tor von Nina Burger. Die Mini-Menge tobt. Der Spielstand wird bis zum Abpfiff gehalten. Unglaublich. Ich fahre in einem Taumelzustand nach Hause und kann nicht einmal in der U-Bahn mein Grinsen zurückhalten. „Dass ich das noch erleben darf!“, denke ich mir und zerdrücke eine kleine Träne der Rührung. Mein Facebook-Feed ist voll von Jubelmeldungen – klar, ich spiele ja selber Fußball und bin mit hunderten fußballbegeisterten und -spielenden Frauen und Männern vernetzt.
Linke Facebook-Rülpser
Dann die ersten Meldungen aus der linken Blase: „Ist Frauenfußball-Patriotismus guter Patriotismus?“, schreibt wer. „Patriotismus ist reaktionär, auch wenn er durch sportliche Leistungen von Frauen genährt wird“, meint jemand anderes. Oder auch: „Diese verschiedenen Maßstäbe, die da angelegt werden, entlarven so manche ,Linke‘!“.
Wow. Ich bin jetzt keine Linke mehr, sondern eine „Linke“. Auch wenn ich mit solchen Meldungen gerechnet habe, rumort es in meinem Bauch und ich gehe wütend schlafen. Männer, die einfach keine Ahnung haben, was es heißt, in Österreich als Frau Fußball zu spielen – sowieso nicht professionell, davon kann keine leben – haben keinen Genierer, ihre „kritische“ Meinung in die Facebook-Bubble rauszurülpsen. Immer noch wütend wache ich auf und fahre in die Arbeit. Meine Freude über das tolle Spiel ist vergraben unter meiner Wut. Ich MUSS einen Kommentar schreiben.
Die Wörter schießen aus meinem Hirn direkt in meine Finger. Nach einer Stunde ist alles gesagt, was gesagt werden musste. Warum es bei der Euphorie nicht um „Österreich“ geht, sondern um den österreichischen Frauenfußball, dem die notwendige Finanzierung und Förderung der Nachwuchsarbeit vorenthalten wird. Oder dass es nicht falsch und verkürzt ist, bei der Frauen-EM andere Maßstäbe als bei jener der Männer anzusetzen, sondern konsequent und notwendig. Es ist ein Sport, der Frauen jahrzehntelang verboten wurde und noch immer streitig gemacht wird – eigentlich eine wahnwitzige Lächerlichkeit, aber leider Realität in der Alpenrepublik.
Gegen Männerbilder von vorgestern
In einem Land, in dem Fußball der Nationalsport ist, in dem die Stadien und Fußballplätze und Parkkäfige Räume hegemonialer Männlichkeit sind, werden diese bis zuletzt verteidigt. Nicht nur gegen Frauen, auch gegen Männer, die dem gesellschaftlich akzeptierten und geforderten Bild von Männlichkeit nicht entsprechen. Offen schwule Männer im Profifußball? Fehlanzeige. Diese Bastionen der Männlichkeit müssen fallen. Das erfordert viel Mut und Hartnäckigkeit. Das letzte was wir da brauchen können, sind linke Männer, die sich in den falschesten Momenten wichtig machen und uns Steine in den Weg hauen. Oida.
„Posten“. Klick. Ich warte gespannt auf die Reaktionen. Dann die Erleichterung, sie sind gut, ich bekomme Zuspruch und Rückhalt. Offensichtlich hatte ich einen Nerv getroffen.
Die Euphorie kehrt zurück
Die besorgten Stimmen ob der linken Integrität von EM-Zuseherinnen sind leiser geworden und bekommen immer öfter richtig guten Konter. Das wärmt mein Herz, das verwirrenderweise immer noch nicht rot-weiß-rot schlägt. Ich finde meine anfängliche Euphorie wieder. Das Turnier geht weiter, die Überraschungen steigen. Die deutschen Fußballerinnen, die seit 1995 jedes EM-Finale gewonnen haben, scheiden im Viertelfinale aus, genauso die Schwedinnen, die auch viele im Finale gesehen hatten.
Die Zeiten ändern sich. Der Frauenfußball hat einen Qualitätsschub erfahren, was auch die Monopolstellung von deutschen Stars wie Marozsán, Mittag oder Blässe zum Einsturz gebracht hat. Die Spiele sind fast durchwegs auf einem wirklich guten Niveau. Vor allem das niederländische Team lässt mich mit offenem Mund auf die Bildschirme starren. Die Österreicherinnen spielen Unentschieden gegen Frankreich, die nächste Sensation.
„Hans Krankl für Bobos“
Ein paar Tage später finde ich in meinem Facebook-Postfach das Foto eines Artikels mit dem Kommentar „Are you fucking kidding me!“. Ein gewisser Lukas Matzinger, von dem ich zuvor noch nie gehört habe, schreibt einen Kommentar über „Das Dilemma mit dem Frauenfußball.“ Ich traue meinen Augen nicht und kann kaum glauben, dass diese Zeilen tatsächlich frisch gedruckt auf Seite 7 des Falter prangern. Der Inhalt muss nicht weiter diskutiert werden, das haben die Social Media-Community und die LeserInnenbriefe in den darauf folgenden Tagen erledigt. Die Kulturredakteurin der Presse twittert: „Trotteln gibt es überall. Also auch beim Falter“. Ein Freund nennt Matzinger zurecht den „Hans Krankl für Bobos“. Martin Blumenau von FM4 stuft den Text treffend als „machoiden Rülpser“ ein.
Die folgende, gestern erschienenen Falter-Ausgabe ziert ein Sargnagel-Comic zur EM auf der Titelseite. Damit will die Redaktion anscheinend die Wogen glätten. Matzinger bekommt in einem von ihm geführten Interview – war das seine Strafe? – Nachhilfe von der Grünen Landtagsabgeordneten Anna Schiester, die sich doch ein Eitzerl besser als er auskennt.
Was kommt nach dem Frauenfußball-Hype?
Immerhin: Frauenfußball bekommt endlich eine mediale Bühne in Österreich. Nicht nur im deppaten Falter wohlgemerkt. Der ORF zeigt die Spiele, und nach dem siegreichen Elferkrimi gegen Spanien im Viertelfinale gibt es sowieso kein Halten mehr. „Wir“ stehen im Halbfinale! Das Sommermärchen geht weiter! Meine Euphorie ist noch da, auch wenn es einen bitteren Beigeschmack hat, wie viele große Namen und Institutionen urplötzlich ihre Leidenschaft für den Frauenfußball entdeckt haben.
Was kommt danach? Müssen Frauen, die Fußballprofis werden wollen, weiterhin das Land verlassen? Finden sich endlich mehr Sponsoren? Wie lange redet sich der SK Rapid noch raus, wann gründet er endlich ein Mädchen- und Frauenteam? Und die anderen großen Vereine? Ich bin gespannt und habe eine klitzekleine Hoffnung, dass der EM-Hype nicht gleich erlischt. Dass sich nachhaltig was geändert hat. Heute geht’s aber erstmal gegen Dänemark ins Halbfinale!
Franziska Wallner spielt seit 13 Jahren Fußball, derzeit beim FC Mariahilf auf dem linken Flügel, im Mittelfeld oder in der Außenverteidigung. Sie studierte Politikwissenschaft und Geographie und ist mosaik-Redakteurin.