Die FPÖ und der rechte Rand: Liebe, Verrat, Versöhnung

Ein Ende der „Distanziererei” verkündete FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz unlängst im Interview mit einem rechtsextremen Medium. Es ist das jüngste Kapitel im Wechselbad der Gefühle, dass seine Partei Rechtsextremen in den letzten Jahren bereitet, schreibt Bernhard Weidinger.

Rückblende in den Mai 2017: Die FPÖ führt seit zwei Jahren alle Umfragen an. Die allgemeine Unzufriedenheit mit der rot-schwarzen Bundesregierung und die Virulenz der Migrations- und Asylthematik infolge des Sommers der Migration 2015 bescheren ihr Werte von an die 35 Prozent. Der Fast-Sieg Norbert Hofers bei den Präsidentschaftswahlen 2016 scheint nur ein Vorbeben dessen gewesen zu sein, was mit der nächsten Nationalratswahl Realisierung finden muss. Und das ist eine FPÖ auf Platz 1 und eventuell gar eine erste freiheitliche Kanzlerschaft. Die Vorfreude im rechtsextremen Lager ist groß.

Enttäuschende Wahl 2017

Doch dann übernimmt Sebastian Kurz die ÖVP und saniert ihre Umfragewerte im Eiltempo. Angesichts seiner Programm-Piraterie bei der FPÖ vor allem auf deren Kosten. Den Freiheitlichen bleibt bei den Wahlen 2017 erneut nur Platz drei. Trösten können sie sich mit ihrem vierten Einzug in die Bundesregierung, einem Regierungsprogramm mit starker freiheitlicher Handschrift und einer beachtlichen Ausbeute an Ressorts. Darunter das nun von Herbert Kickl geführte Innenministerium. Die folgenden Mühen bewältigen die Freiheitlichen deutlich souveräner als einst an Wolfgang Schüssels Seite. Bis Ibiza Schwarz-Blau ein erneutes vorzeitiges Ende bereitet. 

Viele Posten für Burschenschafter

Aus Sicht der außerparlamentarischen extremen Rechten fiel die Bilanz über die freiheitliche Regierungsarbeit gemischt aus. Die Besetzung der Ministerkabinette und die üblichen Umfärbungen im staatsnahen Bereich ließen zahlreiche Burschenschafter neue Visitenkarten drucken. Österreichs Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt wurde von rechtsextremen Medien als Erfolg ihrer Kampagnisierung verbucht. „Identitären“-Führer Martin Sellner sprach Kurz und Strache Dank für diesen Schritt aus. Und er bekundete öffentlich, er fühle sich erstmals in seinem Leben von Leuten regiert, die es gut mit ihm meinten. Symbolische Akte wie Kickls Umbenennung von Aufnahme- in Ausreisezentren ernteten am rechten Rand die zu erwarteten Begeisterungsstürme und Schenkelklopfer. 

Es begann mit Liederbüchern

Und dennoch blieb die FPÖ in Regierungsverantwortung aus Sicht des rechten Randes erneut einiges schuldig. Die wiederholten Distanzierungen von Rechtsauslegern inner- und außerhalb der Partei entsprachen nicht jener mannhaft-prinzipientreuen Haltung, die man sich von der Partei seit jeher wünscht. Den Auftakt bildete der freiheitliche Umgang mit der Liederbuch-Affäre in ihrem Vorfeld. Einschließlich der Einsetzung einer Historikerkommission zur Aufarbeitung der Parteigeschichte. Strache erteilte just am Wiener Akademikerball dem Antisemitismus eine Absage. Und die rechtsextremen Zeitschrift „Aula“ musste nach fast 70 Jahren ihr Erscheinen einstellen. Nachdem die Partei ihr die Freundschaft aufgekündigt hatte.

Verrat nach Christchurch-Attentat

In einer Situation, in der am rechten Rand ohnehin bereits von „Verrat“ und „Kniefall vor dem Zeitgeist“ gemurmelt wird, ereignet sich das antimuslimische Massaker von Christchurch. Es rückt die Frage in die politische Debatte, wie es die FPÖ denn mit den vom Attentäter offenbar überaus geschätzten „Identitären“ halte. Damit findet der freiheitliche Distanzierungsreigen, wenn auch unter dem üblichen Zähneknirschen, seinen Höhepunkt.

Das kurz darauf folgende, Ibiza-bedingte Ende der Regierung erlebt manch Rechtsextremer angesichts dessen fast als Befreiung. Aber auch mit einem tränenden Auge darüber, mit Kickl den „besten Innenminister aller Zeiten“ verloren zu haben. Bei einigen reicht die Identifikation mit dem politischen Projekt der Regierung Kurz-Strache besonders tief: „Sogar, wenn wir es schaffen, unsere [!] Ideen in die Regierung zu bringen, müssen wir erleben, dass wir [!] geputscht werden“, klagt Anfang Oktober ein Redner auf einer „identitären“ Demonstration in Wien. 

Freiheitlicher Eiertanz

Diese Entwicklungen verweisen auf ein strukturelles Problem der FPÖ. Zwar verfügt sie über ein Stimmenpotenzial, das angesichts ihres weit rechten ideologischen Standorts nur als bemerkenswert bezeichnet werden kann. Allerdings kann sie diesen Standort in einer Regierungsbeteiligung (noch) nicht behaupten. Das führt unter ihren rechtsextremen AnhängerInnen inner- und außerhalb der Partei unweigerlich zu Irritationen. Das ständige Manövrieren zwischen Regierungs- und Parteikrise, zwischen den Wünschen des  Koalitionspartners und jenen ihrer weltanschaulich gefestigten Fans macht das Regieren schwierig.

Die gute Nachricht für die FPÖ ist, dass sich in Oppositionszeiten, wo weniger Kompromisse geschlossen werden müssen, schnell wieder Harmonie mit dem rechten Rand herstellen lässt. Allzu schnell ist dieser (mit Ausnahme des neonazistischen Spektrums, das die FPÖ höchstens als geringstes Übel gelten lässt) bereit, der Partei ihre Treuebrüche nachzusehen. An wen sonst sollte man die eigenen Hoffnungen auf Änderungen am parteipolitischen Weg auch richten? Und so senden Freiheitliche seit dem Regierungsende 2019 wieder verstärkt versöhnliche Signale aus.

Herbert Kickl: Geschätzt von Sellner und Küssel

Insbesondere die jüngsten Ansagen von Schnedlitz waren Balsam auf gekränkte Seelen. Dass das entsprechende Interview mit einer rechtsextremen Zeitschrift vom offiziellen Facebook-Account der FPÖ geteilt wurde, lässt darauf schließen, dass Schnedlitz dabei parteiintern auf einige Rückendeckung vertrauen kann. Nicht zuletzt durch Klubobmann Kickl, der noch nie ein Freund des Distanzierens war. Erst jüngst wieder hatte Martin Sellner die Zahl der Vorzugsstimmen für Kickl bei den Wahlen 2017 als Maß für den „harte[n] Kern von Österreichs Patrioten“ herangezogen: es handle sich dabei um Leute, „die genauso denken wie wir“. Hierin ist Sellner beizupflichten: wer Kickl gut findet, kann auch mit Sellner kein ernsthaftes Problem haben. Selbst Neonazi Gottfried Küssel würdigte Kickl 2019 in einem Interview. Und zwar als „einzigen in der ganzen FPÖ, der politisch denkt“ und immerhin tue, „was ihm möglich ist“. 

Regieren nur noch mit „Eiern“

Schnedlitz’ Absage an Distanzierungen wertete Sellner als ein „Erdbeben in der FPÖ“. Und er bekräftigte die langjährige Aufforderung der außerparlamentarischen extremen Rechten an die Partei, „weiterhin gemeinsam, aber in getrennten Bereichen, im Parlament, auf der Straße“ auf das gemeinsame Ziel hinzuarbeiten. Die FPÖ scheint dazu bereit. Ob man sie sich in die Regierung zurückwünschen soll, ist am rechten Rand angesichts der bisherigen Erfahrungen umstritten. Schnedlitz und sein Gesprächspartner im vorerwähnten Interview einigten sich darauf, dass man nur regieren solle, wenn man „genug Testosteron“ bzw. „die Eier dazu hat“.

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