Flüchtlingshilfe im Zeichen der Selbstermächtigung

Eines der Kennzeichen von traumatischen Erfahrungen ist das Gefühl, der Situation hilflos und schutzlos ausgeliefert zu sein. Keine der üblichen Reaktionsmuster scheinen zu greifen und die physische und psychische Immunität ist in Gefahr. Traumatisierungen können einzelne Menschen individuell betreffen, über Generationen weitergegeben werden, aber auch kollektiv erlebt werden. Die jüngsten Attentate in Frankreich lösten in vielen Menschen genau dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Machtlosigkeit aus – ein Zustand, vor dem die meisten Schutzsuchendenden fliehen. Und während nach einem kurzen Vergießen von Krokodilstränen über die Opfer von Frankreich die Gesellschaft militarisiert, die Schutzsuchenden mit hochspezialisierten und ausgebildeten Terroristen gleichgesetzt werden, Waffen aus Europa weiterhin in IS Kanäle verschwinden, trotzen immer mehr Leute der Hilflosigkeit und beginnen sich zu vernetzen.

Gelebte Solidarität und menschliche Schönheit

In der Psychotherapie nimmt die Resilienzforschung einen immer größeren Stellenwert ein. Resilienz ist die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände, schwerer Lebensbedingungen und Schicksalsschlägen nicht unterkriegen zu lassen. Es bedeutet ein unerschütterliches Vertrauen, sein Leben selbst in den Griff zu bekommen und weiterzumachen. Das Verlassen der „Opferrolle“, sowie Freundschaften und Netzwerke gehören zu den wichtigen Resilienzfaktoren. Und genau das bietet die aktuelle Solidaritätsbewegung mit ihrer beispiellosen Flüchtlingsarbeit. Während man ein völliges Versagen der politischen und staatlichen Strukturen auf europäischer Ebene erleben muss, schaukeln Freiwillige in ungebrochener Hilfsbereitschaft in ganz Österreich fast die komplette Versorgung der Flüchtlinge. Die Grenzen zwischen dem, was erlaubt ist und was gebraucht wird, verschwimmen. Die moralische Autorität der Staatlichkeit und ihre Gesetze werden nicht nur offen hinterfragt sondern auch bewusst hintergangen. Besonders jetzt, da die Eisernen Vorhänge wieder auf Europa niedergehen, gilt es keine Rücksicht auf die bürokratischen Lösungsmodelle der „Flüchtingswelle“ zu nehmen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen den Menschen zu helfen. Diese Selbstaktivierung ist überall zu begrüßen und absolut unterstützenswert.

Hilfe den Helferinnen

Nach Wochen der Aktivität und des Spendens stoßen nun aber die HelferInnen an ihre Grenzen. Diese sind nicht zuletzt politisch gezogen. Es wird klar, dass eine zunehmend repressive Asyl- und Innenpolitik durchgesetzt wird. Der Kampf um Menschlichkeit wird immer mehr zu einem Kampf gegen Windmühlen. Dazu kommen Materialknappheit, mangelnde Koordination und vermehrt Behinderung durch die Behörden. Auch die sekundäre Traumatisierung (das Überspringen der Traumatisierung auf die HelferInnen selbst) durch die vielen schrecklichen Erlebnisse der Flüchtlinge hinterlässt ihre Spuren. Die Arbeiterinnen- und Frauenbewegung hat in ihrer Geschichte durch Eigeninitiative und Freiwilligenarbeit vieles dazu beigetragen bzw. erkämpft, was heute als „Sozialstaat“ bekannt ist. Seien es medizinische Ambulatorien, soziale Vereine, Versicherungen oder auch Kultur- und Freizeitangebote. Vieles entstand abseits der staatlichen Strukturen nur durch Engagement und Eigeninitiativen.

Diese Forderungen drängen sich heute auf:

  • Dienstfreistellung bei Solidaritätsarbeit (einige Firmen machen dies bereits)
  • Bezahlung analog der branchenüblichen Kollektivverträge sowie Schulungen und Fortbildungen für alle HelferInnen, um ein längerfristiges Lohndumping in diesem Bereich entgegenzuwirken
  • der freie Zugang zu und Verwaltung von materiellen Ressourcen (Unterkünfte, Essen, medizinische Versorgung…), die für die Flüchtlingsarbeit notwendig sind
  • volle Information über flüchtlingsrelevante politische Entscheidungen und Verhandlungen
  • permanente Begleitung durch TraumatherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und DolmetscherInnen
  • gewerkschaftliche Vernetzung aller HelferInnen, um sich gegenseitig zu schützen und stützen

Das Geschäft mit dem Helfen

Gegenwärtig steht auch die Firma ORS Services AG im Zentrum der Kritik vieler HelferInnen. Diese gehört zu den großen Playern im Bereich der Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden. Sie weist für das vergangene Jahr bei einer Bilanzsumme von 12,1 Millionen einen Bilanzgewinn von einer Million aus. 500.000 Euro davon werden an die GesellschafterInnen ausgeschüttet.  Die Frage, ob mit menschlichem Leid Profit gemacht werden darf, hat mehr als eine moralische Komponente. Die Flüchtlingshilfe wird in Österreich seit 2003 auch privatwirtschaftlich organisiert und geht auf den ÖVP-Mann Strasser zurück (der mit der Fußfessel). Die Firma bekommt zusätzlich zu einem Sockelbetrag auch pro AsylwerberIn einen Kostenanteil bezahlt. Ob diesEr ein Bett zur Verfügung hat oder unter einem Baum schläft, zählt offenbar nicht zu den Vergabekriterien. Mängel an der Ausstattung, (sexuelle) Übergriffe, Unterversorgung und schlecht ausgebildetes Personal begleiten die Firma seit ihrem Beginn. Maulkörbe und schlechte Arbeitsbedingungen sorgen für eine hohe Fluktuation und eine permanente Überlastung der Beschäftigten. Die Arbeit dieses Unternehmens muss auf das Schärfste kritisiert werden und eine Aufgabe der Bewegung wird sein, gewinnorientierte Firmen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich hinaus zu bringen. Zugleich muss auch aufgezeigt werden, dass das Ministerium für Inneres bei der Vergabe sich bewusst einen Anbieter ausgesucht hat, der Profit vor Menschen als Leitbild aufweist. Die HelferInnen haben vorgezeigt, dass sie die Arbeit besser (und vor allem menschlicher) machen können als privatwirtschaftliche Organisationen. Jetzt gilt es die Erfahrungen der HelferInnen aufzugreifen und sie dabei zu unterstützen.

Die antikapitalistische Dimension des Helfens

Durch die Militarisierung der Außengrenzen vom Mittelmeer bis zur Steiermark wird das Asylrecht komplett ausgehöhlt und das Sterben in fernere Regionen verlagert. Aber auch die bereits hier lebenden Menschen haben Ängste vor sozialem Abstieg durch Arbeitslosigkeit, Teuerung und leeren Sozialkassen. Diese Stimmung ist besonders in jenen Schichten der Arbeiterklasse, die nur prekär in die Arbeits- und Wohnungsmärkte eingegliedert, oder überhaupt aus ihnen ausgeschlossen sind, stark vorhanden. Diese Angst fußt auf den realen Erfahrungen seit der Wirtschaftskrise 2008: stagnierende Einkommen, steigende Preise, lange Arbeitslosigkeit und ein völlig überfüllter Arbeitsmarkt machen uns allen das Leben schwer und für viele zum Spießrutenlauf.

Wie auch aktuelle Beispiele zeigen, agiert die Politik allseits zynisch und schürt den Rassismus, nicht nur durch ihre Panikmache, sondern auch durch handfeste politische Weichenstellungen: Im Budget 2016 werden die Ausgaben für die innere Sicherheit um 20 % erhöht, das Bildungsbudget wird um nur 1,1 % angehoben.

Die Gesamtsituation legt nahe: Unsere Menschlichkeit ist anti-kapitalistisch und kämpferisch gegen jenen kleinen – aber herrschenden – Teil der Gesellschaft, der es schafft, jede Krise in eigenen Profit zu münzen. Unter unmenschlichen Bedingungen und den Absichten der herrschenden Klasse formuliert unsere Menschlichkeit auch politische Forderungen:

  • Weg mit Frontex, den Grenzbefestigungen, der inneren Militarisierung und den Ausnahmegesetzen. Schluss mit den Abschiebungen in „sichere Drittländer“. Stattdessen: Her mit dem Niederlassungsrecht für Flüchtlinge im Land und der Stadt ihrer Wahl.
  • Wohnraum vor Profit: Für die Aufbringung von leerstehendem Wohnraum. Für eine massive staatliche und kommunale Wohnbauoffensive.
  • Für eine offensive Kampagne der Gewerkschaften zur Aufklärung der Asylsuchenden über ihre sozialen Rechte und Arbeitsbedingungen. Es liegt in der Hand der ArbeiterInnenbewegung, durch eine offensive Integration der neuen ArbeiterInnen in die eigenen Reihen Sozialmissbrauch und die Untergrabung der Kollektivvertragsbedingungen durch die Organisierung von vorneherein zu unterbinden.
  • Für eine offensive Lohn- und Arbeitsmarktpolitik. Die vorhandene Arbeit muss aufgeteilt werden. Unbefriedigte gesellschaftliche Bedürfnisse (Bildung, Pflege,…) müssen angegangen werden.
  • Keinen Euro, keinen Soldat und keine Patrone für neue militärische Interventionen im Nahen Osten

Lis Mandl arbeitet psychotherapeutisch im Kinder- und Jugendbereich, ist Betriebsrätin und Unterstützerin von Der Funke.

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