Flora Petrik: „Eine Partei, die Kritik als Bedrohung auffasst, ist in einer Krise“

Der Streit zwischen den Jungen Grünen und der Parteispitze wird offen auf Facebook ausgetragen. Spitzen der Grünen richten dabei ihrer Jugendorganisation aus, sie sei wie Sebastian Kurz und stellt ihr ein Ultimatum, das de facto dem Ausschluss gleich kommt. mosaik-Redakteurin Hanna Lichtenberger sprach mit Flora Petrik, Bundessprecherin der Jungen Grünen, über den Konflikt zwischen GRAS und Grünen Studierenden, dem Verhältnis zwischen den Jungen Grünen und der Bundespartei und den Perspektiven eines demokratischen Aufbruches in oder außerhalb der Grünen. 

mosaik: In einem offenen Brief hast Du Eva Glawischnig zum Rücktritt aufgefordert und damit eine Welle der Empörung erzeugt. Warum?

Flora Petrik: Um den wachsenden Rechtsruck in der Gesellschaft zu stoppen, müssen sich die Parteien öffnen – auch die Grünen. Sie müssen möglichst viele Leute einbinden, ihre Strukturen breiter aufstellen und auch interne Debatte ermöglichen. Das ist der einzige Weg, wie wir Gesellschaft verändern und die Rechten aufhalten können. Dass so eine demokratische Öffnung von der Grünen Parteispitze nicht erwünscht ist, merken wir am Umgang der Partei mit der eigenen Jugendorganisation. Etwa aktuell in der Situation mit dem Konflikt um die Grünen Studierenden, die den Versuch starten, eine professionelle und starke Studierendenorganisation aufzubauen, die sich für mehr Mitglieder öffnet und lokal stark verankert ist.
Die Partei braucht einen demokratischen Aufbruch und Eva Glawischnig scheint nicht die Person zu sein, die dafür die Begeisterung, das Interesse oder die Vision mitbringt. Klar liegt es nicht nur an einer Einzelperson – doch Eva Glawischnig hat die politische Verantwortung für die Ausrichtung der Partei und scheint nicht den notwendigen Mut mitzubringen, die Grünen in eine derartige Öffnung der Partei zu führen.

War es wirklich notwendig, die Studierendenorganisation zu spalten, schwächt das eure Bewegung nicht insgesamt? Kann das nicht auch für eine linke ÖH zum Problem werden?

Die Grünen Studierenden haben sich gegründet, nachdem jahrelange Versuche die GRAS (Grüne und Alternative Studierende) zu demokratisieren, am totalen Konsensprinzip gescheitert sind. Bereits im Laufe des Jahres 2016 sind die Grazer und Linzer GRAS-Gruppen aus diesen Gründen aus der GRAS-Bundesorganisation ausgetreten. Diese Gruppen haben sich zusammen mit AktivistInnen aus anderen Bundesländern am 10. Oktober 2016 als Grüne Studierende neu gegründet. Der Anspruch der Grünen Studierenden war es, sich zu öffnen und demokratische Mindeststandards einzuführen, wie die geheime Wahl von KandidatInnen und FunktionärInnen. Ziel ist es, eine Organisation zu schaffen, die nicht weiterhin 30-40 Leute bundesweit stellt, sondern viele Leute einbindet, sich langfristig öffnet und starke Wurzeln an der Basis hat. Gerade jetzt, wo flächendeckende Studienplatzbeschränkungen drohen, braucht es eine starke Studierendenorganisation. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie eine kleine schwache Studierendenorganisation verabsäumt, eine schlagkräftige und professionelle Vertretung der Studierenden gegenüber der Regierung aufzubauen.

Die ÖH ist momentan sehr schwach. Gerade um den Rechtsruck erfolgreich zu stoppen, braucht es eine strukturelle Veränderung und eine Öffnung, die mehr Leute einbinden und politisieren kann. Als Grüne haben wir die Verantwortung, eine starke Studierenden-Fraktion aufzubauen, um gemeinsam mit möglichst vielen unabhängigen StudierendenvertreterInnen eine durchsetzungsfähige ÖH zu schaffen. Eine solche Vertretung braucht es dringend, um endlich erfolgreich für den offenen und freien Hochschulzugang, soziale Gerechtigkeit an den Hochschulen und eine vielfältige Lehre zu kämpfen.

Ihr werft der GRAS das „Konsensprinzip“ vor – was ist denn so schlimm daran, wenn der Konsens gesucht wird, statt dass eine Seite eine andere niederstimmt?

Die GRAS ist aufgrund ihres absoluten Konsensprinzips de facto nicht veränderbar. Selbst mit einer Mehrheit von 80 oder 90 Prozent ist nach dieser Logik keine Veränderung möglich. Einzelne können alles blockieren. Dieses Modell ist nicht zum Wachstum geeignet. Das sagen OrganisationsberaterInnen und hinter vorgehaltener Hand auch alle in der Grünen Partei. Die Grünen könnten leicht die größte ÖH-Fraktion mit 200 bis 300 Mitgliedern sein und bei Wahlen locker erste werden anstatt mit 20 bis 40 Leuten bundesweit erschreckend schwach aufgestellt zu sein.

Das absolute Konsensprinzip ist politisch enorm autoritär. Konsens bedeutet, dass alle für etwas sein müssen, weil die Organisation sonst handlungsunfähig wird. Das bedeutet, es ist ein Raum, in dem man so lange streitet, bis alle weg sind, die anderer Meinung sind. Einige wenige haben es hartnäckig genug ausgesessen und setzen sich durch. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass man Menschen ausschließen muss, die nicht gleicher Meinung sind, um politisch arbeiten zu können. Da bleibt dann bei unklaren und undemokratischen Strukturen nur das Rausekeln übrig, um die Gruppe zu vereinen. Es ist kein Platz für Opposition. Das ist ein politisches Modell, das dazu einlädt, autoritär und undemokratisch zu werden.

Welche Repressalien werden gegen Grüne Studierende und Junge Grüne parteiintern konkret eingesetzt und gibt es intern Widerstand dagegen? Warum stellt sich die Parteispitze auf die Seite der GRAS?

Obwohl die Grünen Studierenden noch nicht mal beschlossen haben, wo sie bei der ÖH-Wahl kandidieren werden, geht die Parteispitze gerade massiv gegen die Jungen Grünen vor, um jede Unterstützung für die Grünen Studierenden zu unterbinden. Das geht über das Sperren von bereits zugesagten Geldern bis hin zum Ausschluss aus Parteiräumlichkeiten und persönlichen und rechtlichen Drohungen. Unsere AktivistInnen waren erstmal schockiert darüber, dass die Partei diesen autoritären Weg eingeschlagen hat.

Erfolgreiche Projekte wie die Jungen Grünen, die größte Ehrenamtlichen-Organisation in der Geschichte der österreichischen Grünen, jetzt auch einfach abdrehen zu wollen, ist sicher nicht im Sinne der Grünen Bewegung. Es ist aber leider symptomatisch für die Entwicklung der Partei in den letzten Jahren. Verschlossene, kleine Gruppen können sich bequem Posten aufteilen und Jobs sichern. Ich habe das Gefühl, die Parteispitze will bewusst keine mitgliederstarke und professionelle Organisation haben. Ihr ist ein winziger und kontrollierbarer Kreis lieber, der nie eine Herausforderung für das Partei-Establishment darstellen wird. Das mag für den Parteiapparat bequem sein, ist aber für die Grüne Bewegung als Ganzes fatal.

Welche Konsequenzen zieht ihr aus den Versuchen der Parteispitze, Druck auf die politischen Entscheidungen der Jungen Grünen auszuüben?

Die Jungen Grünen werden für den Vorabend des 1. Mai einen Kongress einberufen, bei dem der gesamte Verband die politischen Perspektiven und Optionen diskutieren wird. Dort wird auch beratschlagt, was das erschreckend autoritäre Vorgehen der grünen Parteispitze für uns als Teil der Grünen Bewegung bedeutet. Dass die Partei nun alles daran setzt, das totale Konsensprinzip durchzusetzen und diesen demokratischen Aufbruch sowohl in ihren eigenen Strukturen als auch in der Studierendenpolitik zu unterbinden ist ein politisches Armutszeugnis. Dann überlegen wir, wie mit diesen autoritären Schritten der Partei uns gegenüber umzugehen ist.

Du hast ja schon bei deinem Antritt als Bundessprecherin der Jungen Grünen massive Kritik an der grünen Parteispitze geübt. Was sind aus deiner Perspektive die gröbsten strategischen Fehler der Grünen. Wie bewegungsnahe sind die Grünen noch?

Die Grünen sind selbst als demokratischer Aufbruch gestartet, heute bekämpfen sie diesen. Sie wirken und handeln zunehmend wie die alten Großparteien, von denen sie sich einst abheben wollten – und selbst die reagieren auf Kritik ihrer Jugendorganisation nicht derart autoritär.

Momentan habe ich das Gefühl, die Grünen stellen Forderungen auf, die keinem wehtun. Ihnen ist es wichtiger, nirgendwo anzuecken und in der Wiener liberalen Polit-Blase beliebt zu sein, als den ernsthaften Anspruch zu stellen, Gesellschaft zu gestalten. Es gelingt ihnen nicht, zentrale Fragen zu stellen, die Leute in ihrem Alltag berühren. Sei es bei der Debatte um die Mindestsicherung oder beim rasant fortschreitenden Abbau unserer Grundrechte: Die Grünen können dort bestenfalls das Schlimmste verhindern, aber selbst keine zugkräftigen Visionen anbieten, die Leute für eine solidarische Gesellschaft begeistern können. Wir als Grüne sind verantwortlich dafür, die grundlegenden Fragen unserer Gesellschaft zu stellen. Und wenn wir sie nicht stellen und das nicht schaffen, dann müssen wir unsere Strategie ändern. Denn daran fehlt es offenbar grundlegend: Eine Partei, die Kritik nicht als Mittel zur Weiterentwicklung, sondern als Bedrohung ihrer kleinen heilen Welt auffasst, ist in einer ernsthaften Krise. Es braucht offene Räume für grundlegende Strategie- und Programmdebatten.

Parteiintern, was kritisiert ihr da besonders? Welche Veränderungen konntest du in den letzten jahren innerhalb der Partei wahrnehmen?

Den Grünen fehlt es immer mehr an einem politischen Kompass. Immer mehr drücken sie sich davor, klare Positionen zu beziehen, immer öfter knicken sie in zentralen Debatten ein, weil es ihnen an Orientierung, an politischer Leitlinie fehlt. Und dort, wo es klare Positionen gibt, hält sich die Parteispitze in vielen Fällen nicht daran. Ein Beispiel ist die Legalisierung von Cannabis, die im Parteiprogramm steht, gegen die sich Eva Glawischnig aber öffentlich laufend ausspricht.
Wenn die Grünen ihre Positionen verändern, geht das in den seltensten Fällen mit interner Diskussion einher, sondern mit Entscheidungen von oben. Es fehlt an Räumen und Möglichkeiten für interne Debatten zu zentralen Positionen und Forderungen. Es fehtl auch an einem Verständnis für eine starke Basis. Das ist enorm schade, weil sich bei den Grünen viele engagierte Leute auf lokaler Ebene einbringen. Doch wenn von heute auf morgen die Hälfte aller Mitglieder weg wäre, würde es wahrscheinlich niemandem in der Parteispitze auffallen. Denken wir nur an die tausenden Freiwilligen, die sich im Wahlkampf für Van der Bellen engagiert haben. Es wurde gar nicht ernsthaft versucht, die vielen Interessierten für die Partei zu gewinnen.

Die Grünen müssen sich demokratischer organisieren und öffnen, um möglichst viele Leute einbinden zu können. Das heißt Strukturen verbreitern, die Mitgliederzahl mindestens verdoppeln, Ehrenamtliche ernst nehmen und die interne Debattenkultur fördern. Grüne Bundeskongresse sind beispielsweise eine von der Parteiführung kunstvoll inszenierte, aber inhaltsarme Politshow. Das wissen alle, die einmal dort waren. Um ernsthafte Debatte geht es dort nicht. Dank der hohen Parteienförderung, an der die Grünen auch ordentlich absahnen, ohne sie ernsthaft in Frage zu stellen, sind sie nicht einmal auf ihre Basis angewiesen. Ohne die Millionen aus einer der höchsten Parteienförderungen Europas wäre die Partei verloren. Sie hat keine tragfähigen Strukturen aufgebaut, die Ehrenamtliche einbinden und motivieren können. Und das lässt sich in ihrer politischen Praxis erkennen.
Dass es auch anders geht, sehen wir in unserer tagtäglichen Arbeit als ehrenamtliche Jugendorganisation. Dass es mit minimalen Mitteln möglich ist, viele engagierte Leute einzubinden. Man kann nicht als Partei Demokratie fordern und selbst nicht Demokratie leben.

Warum macht es Sinn, überhaupt noch in einer „grünen“ Jugendorganisation aktiv zu sein?

Der Gründungsgedanke der Grünen ist das Streben nach einer demokratischen Gesellschaft, in der alle selbstbestimmt leben können. Dieser Gründungsgedanke ist für die Grüne Bewegung bis heute auch eine Verpflichtung. Zwischen damals und heute liegen leider Welten. Aber das muss nicht sein: Wenn wir uns auf unsere Gründungswerte zurückbesinnen, dann können wir als Grüne Bewegung viel bewegen. Dafür müssen wir aber auch uns selbst bewegen – indem wir uns nicht vor dem dringend notwendigen demokratischen Aufbruch fürchten.

Es gibt viele Personen in der Grünen Bewegung – sei es die Partei, die Bildungsakademie oder andere Bereiche –, die extrem wichtige politische Arbeit leisten und täglich die Grünen Grundwerte leben. Diese Arbeit kommt derzeit aber nicht so zur Geltung. Sie könnte besser zur Geltung kommen, wenn die Partei sich öffnen würde und wieder den Anspruch aufnimmt, Gesellschaft grundlegend zu verändern und dafür Strategien entwickelt. An einer breiten und offenen Debatte über demokratische Strategien und begeisternde Visionen können wir als Grüne Bewegung nur wachsen.

Flora Petrik ist seit Jänner 2017 Bundessprecherin der Jungen Grünen. Die Burgenländerin studiert Germanistik und Bildungswissenschaft an der Universität Wien.

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