„Festung Europa“. Sofort werden Bilder in unseren Köpfen wach gerufen. Entweder das Bild einer wehrhaften Burg mit hohen Mauern, die jedem Ansturm und allen Gefahren trotzt. Oder aber das Bild von Menschen in kleinen Booten, die verzweifelt versuchen, das sichere Ufer zu erreichen, von toten Kinder, die an die Strände Europas gespült werden und von Frontex-Schiffen, die alles unternehmen, um die Boote und Kinder abzuwehren. In diesem Begriff steckt schon vieles drin, vor allem das Bedürfnis, vermeintliche „Eindringlinge“ fernzuhalten, sich selbst also in Sicherheit vor scheinbar negativen Einflüssen und externen Gefahren zu wahren.
Dieser Begriff wurde vor allem von linken und progressiven Kräften verwendet und war klar negativ gegen eine restriktive Asylgesetzgebung konnotiert. In dieser Bedeutung tauchte er zum ersten Mal Anfang der 1990er auf, also zeitgleich mit der deutschen Einigung. Interessant ist, dass er damals auch verwendet wurde, um eine Anti-Freihandels-Haltung zu kritisieren. So sei das Gegenteil des neoliberalen Freihandels eine „Festung Europa“, wie Helmut Kohl feststellte.
Diese Bedeutung verlor sich aber in weiterer Folge. Aktuell schwirrt dieser Begriff wieder in vielen Köpfen herum. Gründe hierfür sind die Debatten über die aktuelle Asylpolitk auf der einen Seite und gleichzeitig der positive Bezug der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die meinte, man müsse „an der Festung Europa bauen“.
Nazi-Begriff
Wenigen ist bei der „Festung Europa“ wohl bewusst, dass es sich um einen NS-Begriff handelt. In diesem Sinne war er eine Metapher, welche zu Beginn des Zweiten Weltkriegs für die „Stärke gegen die Alliierten“ stand. Im „Dritten Reich“ erklärte Hitler die von den Nazis besetzten Gebiete Europas zur „Festung“, welche gegen die Invasion der Allierten zu verteidigen sei.
Das NS-Regime konstruierte dabei externe Feindbilder wie beispielsweise die USA oder die Sowjetunion und prinzipiell alle nicht mit Deutschland verbündeten Länder. Auf nationaler Ebene wurden bekannterweise ebenso Feindbilder wie Juden und Jüdinnen, Homosexuelle, Roma und Sinti, Kommunist_innen und Widerstandkämpfer_innen konstruiert. Aber auch in Albert Speers Rüstungsministerium tauchte der Begriff als Vorschlag von Speers Referenten auf, der diesen zur „Mobilisierung der europäischen Wirtschaftsreserven“ nutzen wollte. In den Folgejahren und mit dem Ende des Kalten Kriegs wurde der Begriff für eine vermeintliche Gefahr für „Ordnung, Sicherheit und Stabilität“ durch Migration aus ostmitteleuropäischen Staaten in Westeuropa verwendet.
Kampfbegriff der Neuen Rechten
In jüngster Zeit wurde der Begriff von Rechtsextremen und hier insbesondere von Vertreter_innen der Neuen Rechten positiv verwendet. So etwa die Identitäre Bewegung Österreich, die Kultur und ethnische Identität der europäischen Bevölkerung durch Flüchtlinge bedroht sehen. Ihren Rassismus versuchen die Identitären dabei mit Begriffen wie Ethnopluralismus zu kaschieren. Das Ziel ist aber altbekannt: Ein „weißes“ Europa ohne Flüchtlinge und Migrant_innen.
Bereits im September 2013 benutzten die Identitären bei einer Aktion vor der Europäischen Agentur für Menschenrechte den Begriff „Festung Europa“. In ihrem Text dazu hieß es: „30 Teilnehmer protestierten gegen Asypolitik der EU forderten die Errichtung einer Festung Europa zum Schutz unserer Heimat.“ Der Wortlaut ist nahezu identisch mit dem Mikl-Leitners.
Menschenfeindliche Sprache
Die rechtsextreme Forderung nach einer aufgrund vermeintlich gemeinsamer Abstammung homogenen Gemeinschaft kommt bei den Identitären noch hinzu. Sowohl die Identitären als auch Mikl-Leitner historisieren den Begriff beziehungsweise ignorieren seinen Ursprung und seine Bedeutung völlig. Beide bedienen dabei rechtsextreme Erzählungen und eine menschenfeindliche Sprache, die von „Asylströmen“, „Flüchtlingswellen“ und einem „Ansturm“ auf Europa spricht.
So verfestigt sich das negative Bild von Flüchtlingen als Bedrohung, als amorphe Masse und nicht als schutzsuchende Individuen in den Köpfen der Menschen. Wer Begriffe wie „Festung Europa“ oder „Invasoren“ (findet sich sowohl bei den Identitären als auch bei Pegida) benutzt, schafft ein Klima, in dem Rechtsterrorismus die Folge ist, weil die Täter_innen meinen, im Sinne der Bevölkerung zu agieren. Damit hat der Begriff bei Rechten nahezu die identische Bedeutung wiedererlangt, die er im Zweiten Weltkrieg hatte, als die NS-Propaganda die „Festung Europa“ ausrief.
Julian Bruns ist Mit-Autor der Bücher Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa sowie des gerade erschienen Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute? und Teil der Bildungswerkstatt Antifaschismus und Zivilcourage – BIWAZ.
Lara Möller studiert Politikwissenschaft und ist Studienassistentin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich Rechtsextremismus, Faschismus und Nationalismus.