Feministischer Streik am 1. Mai: Arbeitskämpfe ausweiten

Am 1. Mai finden in Österreich zahlreiche Aktionen anlässlich des internationalen Kampftags der Arbeiter:innenklasse statt. Warum es für Streiks wichtig ist, unbezahlte Arbeit mitzudenken und den Care-Bereich miteinzubeziehen, erläutern Aktivist:innen der Gruppe Feministischer Streik Graz.

In Diskursen rund um den 1. Mai liegt der Fokus selbst innerhalb der Linken nach wie vor auf den Errungenschaften und Kämpfen im Kontext der Lohnarbeit (d.h. Arbeiter:innen erhalten Geld für ihre Arbeit), wie besseren Arbeitsbedingungen oder gerechter Entlohnung. „Weiblich“ konnotierte Tätigkeiten, wie der Haushalt, emotionale Fürsorge, Pflege oder Erziehung, sind in Arbeitskämpfen meist unsichtbar. Diese Tätigkeiten werden häufig als Care-, Sorge- oder Reproduktionsarbeit bezeichnet. Erhalten Care-Kämpfe öffentliche Aufmerksamkeit, so entscheidet letztendlich der Lohn darüber, wer die Möglichkeit hat, sich zu organisieren, Gleichgesinnte zu mobilisieren und die Ressourcen für einen anhaltenden Arbeitskampf aufzubringen. 

Trennung der Arbeitsbereiche drängt Arbeiter:innen in Isolation

Die feministische Theoretikerin Silvia Federici ruft die Linke in ihrem Buch „Revolution at Point Zero – Hausarbeit, Reproduktion und feministischer Kampf“ dazu auf, mit der Trennung von Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit zu brechen. Die weitläufige Akzeptanz dieser Trennung habe zu einer Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse beigetragen. Es werde zwischen Arbeitenden und vermeintlich Nicht-Arbeitenden unterschieden. Der Lohn lege fest, so Federici, welche Tätigkeiten als Arbeit gelten und welche nicht. Dies ermögliche es Lohnarbeiter:innen, sich zu organisieren und Arbeitskämpfe zu führen. Arbeiter:innen im Bereich der unbezahlten Reproduktionsarbeit treibe es aber in die Vereinzelung und Ohnmacht. 

Anstatt darauf zu warten, dass sich durch das Kapital eine Möglichkeit der Organisierung ergibt, plädiert Federici für eine Abkehr von dem einseitigen Fokus auf Lohnarbeitskämpfe. Eine Neubestimmung dessen, wer zur Arbeiter:innenklasse gehört, bedeute nicht nur ein Überdenken bisheriger Klassenbedürfnisse. Es bedeutet auch die Entfesselung einer viel größeren Klassenkraft als bisher angenommen. Durch die gezielte Niederlegung unbezahlter reproduktiver Tätigkeiten, holen Streikende ins Private gedrängte Kämpfe aus der Isolation und legen ihre politischen wie ökonomischen Komponenten offen. Der Feministische Streik Graz veranstaltet am 12. Juni jedes Jahr einen Streiktag, um es FINTA*(Frauen, non-binären, trans und agender)-Personen zu ermöglichen, gemeinsam zu streiken und über eine gerechtere Gesellschaft zu diskutieren. Bis zum 12. Juni arbeiten FINTA*-Personen gratis, wenn Care-Arbeit mitgezählt wird.

Kämpfe für bessere Bedingungen im Care-Bereich

Viele westliche Staaten schmücken sich mit der vermeintlichen Emanzipation von FINTA*-Personen, die heute einer Lohnarbeit und Karriere nachgehen können. Die geschlechtliche Arbeitsteilung scheint damit beinahe überwunden. Streiks von Pflegekräften sowie Elementar-, Hort- und Freizeitpädagog:innen für bessere Arbeits- und Lohnbedingungen zeigen jedoch auf, wie groß die Unzufriedenheit von Personen selbst im zumindest prekär entlohnten Care-Bereich ist.

Durch den erleichterten Zugang zu Erwerbstätigkeit für privilegierte FINTA*Personen übernehmen andere die Reproduktionsarbeit. Das sind in vielen Fällen weniger privilegierte und in Österreich meist aus Osteuropa stammende Personen. Diese Verlagerung der Versorgungsverantwortung nennt sich „Global Care Chain“. Denn in den Heimatländern der Arbeiter:innen entstehen Versorgungslücken, die wiederum von meist weiblich gelesenen Verwandten geschlossen werden müssen.

Das Bündnis „Mehr für Care“ möchte verdeutlichen, wie zentral Sorge- und Pflegearbeit für das Aufrechterhalten der Gesellschaft sind. Es fordert unter anderem die Entlastung von Alleinerzieher:innen und mehr Ressourcen, Geld und Aufmerksamkeit seitens der Politik für den Care-Bereich. Die „IG24“ vertritt die Interessen von 24h-Betreuer:innen. Sie haben erschwerte Möglichkeiten zu Organisation und Repräsentation und werden zudem häufig rassistisch diskriminiert. Aktuell sammelt die IG 24 Geld für einen Prozess gegen die Scheinselbstständigkeit der 24h-Betreuer:innen.

Ausbeutungsstrukturen entladen sich in geschlechtsspezifischer Gewalt

Ein Anliegen des Feministischen Streiks ist zudem, auf den Zusammenhang der beschriebenen Ausbeutungsstrukturen mit geschlechtsspezifischer Gewalt aufmerksam zu machen. Laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern gab es in Österreich im Jahr 2022 bereits neun Femizide und zehn Mordversuche bzw. schwere Gewalttaten. Eine Statistik zu Gewalttaten gegenüber genderqueeren Personen ist nach wie vor ausständig. 

Ausgehend von feministischen Kämpfen in Lateinamerika haben sich auch in Österreich, zum Beispiel in Innsbruck, Linz, Wien, Salzburg und Graz viele Kollektive geformt, um gegen Femizide und die gesellschaftlichen Strukturen, die sie ermöglichen, vorzugehen. Der Feministische Streik Graz veranstaltet aktuell jeden letzten Donnerstag im Monat eine Demonstration gegen patriarchale Gewalt. Ziel ist es, nicht mehr nur auf Femizide zu reagieren, sondern eine langfristige Bewegung aufzubauen und Möglichkeiten für gesellschaftliche Transformation zu schaffen. 

Federici erläutert, dass die systematische Verdrängung von Arbeitskämpfen im Haushalt dazu beiträgt, Femizide als zwar tragische, aber insgeheim für viele nachvollziehbare „Beziehungstaten“ darzustellen. Die Niederlegung von Reproduktionsarbeit und der damit verbundenen Geschlechterrolle soll aufzeigen, wie die Organisierung von Arbeit zu geschlechtsspezifischer Gewalt beiträgt. Die Erweiterung von den am 1. Mai thematisierten Arbeitskämpfen ist somit auch für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt wichtig, da die ihnen zugrundeliegenden Verhältnisse tief miteinander verwoben sind.

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